authentes

Das Medium ist als solches nicht nur Mittler zwischen Kommunikationspartnern – es ist bei den technischen Medien auch die Membran zwischen Rezipient und Ereignis zwischen Realität und Medialität. An dieser Membran entsteht die Frage des Authentischen und wird zu einem gravierendem Problem. Denn ob wir den Medien ihre Inhalte „glauben“ hängt nicht allein von unserem Weltwissen ab, sondern auch von den Manipulationsabsichten der Medienmacher.


Zum Problem filmischer Authentizität sind in den vergangenen drei Jahren zahlreiche deutschsprachige Publikationen erschienen, die zu einem nicht unwesentlichen Teil im Umfeld des Hildesheimer Graduiertenkollegs „Authentizität als Darstellung“ entstanden sind. Der Kölner Herbert von Halem-Verlag hat nun zwei Bände zum Thema veröffentlicht: Die Dissertation „Auhentisches Bild – Authentisierende Form“ des Hildesheimer Kollegiaten Volker Wortmann sowie der Sammelband „Authentizität und Inszenierung von Bildwelten“ unter der Herausgeberschaft von Thomas Knieper und Marion Müller.

Wortmann verfolgt seine Zentrale These durch die Geschichte der Bildmedien von der Antike bis zum jüngsten Dokumentarfilm: „Authentische Darstellung ist – anders als es uns das Ideal glauben machen will – keine substanzielle Eigenschaft eines präferierten Mediums, sondern vor allem ästhetisches Format, das den Gestaltcharakter der Darstellung von Authentizität nicht weiß.“ (13) Dieser Ansatz bedeutet vor allem, dass „Authentisieren“ eine ästhetische Technik des Autoren ist, die ganz unabhängig davon eingesetzt werden kann, ob der Bildinhalt auch wirklich authentisch ist. Vor allem den technischen Medien Film und Fotografie erhalten hier subversives Potenzial. Doch auf der anderen Seite der medialen Barriere steht der Rezipient, der Wortmann zufolge erst der Auslöser dieser strategischen Authentisierung ist, weil sein über die Mediengeschichte beständiger „Zweifel an der Echtheit“ die Produzenten der Bilder letztlich hin zur Authentisierung getrieben habe.

Besonders einleuchtend ist dies beim Dokumentarfilm, dessen ökonomisches Überleben davon abhängt, ob der Zuschauer den Bildern „glaubt“. Hier kommt eine dritte Größe ins Spiel, die Wortmann ausführlich referiert und diskutiert: Die Autoren-Theorie des Dokumentarfilms. Die verschiedenen Konzepte ausgehend von der Legende über Lumieres Film „L’Arrivée d’un Train à la Ciotat“ (1896), der den „Ursprungsmythos“ (159) der Dichotomisierung fiktional/dokumentarisch lieferte, über Robert Flaherty, den Pionier des Dokumentarfilms und seiner Authentisierungsstrategie der „non-preconception“ und Dziga Vertovs „Filmfaktum“ zur kritischen Autorentheorie Godards, die schließlich die Unterscheidbarkeit von Fiktion und dokumentarischer Realität entgültig abstritt, rekonstruiert Wortmann eine Geschichte der ästhetischen und kritischen Auseinandersetzung mit dem Phänomen. Zwar seien die Strategien der Authentisierung heute äußerst diffizil, wie er abschließend mit Wenders’ „Nick’s Film“ (1980) nachweist, doch könne keinesfalls davon gesprochen werden, dass die Authentisierungsstrategien einer sich nach und nach substituierenden Progression unterlägen. Denn selbst heute finden sich in den audiovisuellen Medien vielfältige und traditionelle Techniken, Bildwirklichkeit zu suggerieren.

Wortmanns Ausführungen sind „auf der Höhe der Zeit“: Zum einen die Vielfältigkeit der heute benutzten Authentisierungsästhetiken, zum anderen die Hauptthese der „Authentisierung als [medienunabhängiges] kulturelles Handlungsmuster“ (222) werden durch jüngste Hybrid-Formate im Film und Fernsehen („Doku-Soap“) belegt: Dort wird an die Medienkompetenz der Zuschauer angekoppelt und die be/gekannten Authentizitätssignale zur „Verwirklichung“ der Narrationen genutzt. Wortmanns Argumentationsverlauf, der sich zwischen der Kunstgeschichte des Bildes und der ästhetischen Theorie desselben bewegt, ist gleichsam faszinierend wie überzeugend.

Die zweite Schrift aus dem Herbert von Halem-Verlag fokussiert neben audiovisuellen Medien (Tanjev Schulz, Jan Pinseler) vor allem die Print- und Onlinemedien (Thompson & Wasmuth, Grittmann, Dorsch-Jungsberger, Knieper) und damit journalistische Techniken. Hier zeigt sich die heikle Seite der Authentisierung besonders deutlich. Daneben finden auch Betrachtungen zur Selbstdarstellung von Politikern (Schicha) und das Ergebnis einer Umfrage zu „Bildsignalen“ (Petersen) Eingang in den Band.

Auch hier ist der kritische Charakter der Abhandlungen Methode: Vor allem Pinseler versucht durch eine phänomenologische Betrachtung inszenierter Authentizität, wie sie in der Fahndungssendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ benutzt wird, für „Authentizitätssignale“ (43) und „Authentizitätsstrategien“ (43) zu sensiblisieren. Im Prinzip geht seine Argumentation in dieselbe Richtung wie die Wortmanns: „Werden Authentizitätsstrategien benutzt, so knüpft der Filmemacher damit an Rezeptionsgewohnheiten an, mit denen Rezipienten dokumentarische Filme von fiktionalen unterscheiden, und benutzt diese, um fiktionale Filme als dokumentarische Filme auszugeben.“ (43) Damit redet er Theorien der Mediensimulation (Baudrillard) das Wort, die in solcher strategischen Authentisierung zur Verschleierung der „Gemachtheit“ ein Phänomen der Macht sehen.

Tanjev Schulz versucht diesem Eindruck einen emanzipierten Rezipienten entgegenzustellen. Er notiert zwar ebenfalls: „Manipulationsversuche beruhen oft auf Inszenierungen“, konstatiert dann jedoch: „aber nicht alle Inszenierungen sind schon Manipulationsversuche“ (11) und tritt damit vor allem „entdifferenzierenden Diagnosen à la Baudrillard“ (15) entgegen. Hyperbolisches Beispiel ist für Schulz das Fake, welches Authentizitätsfiktionen erzeugt. Diese werden jedoch vom Rezipienten ge/erkannt und nicht unreflektiert mitrezipiert. Schulz sieht die membran, die das Medium zwischen Ereignis und Rezipient schaltet, also nicht als undurchdringbar.

Der Herbert von Halem-Verlag hat mit den beiden Bänden seine Reihe „Bildwissenschaft“ ergänzt, denen vor kurzem die Monografie „Das Bild als kommunikatives Medium“ von Klaus Sachs-Hombach gefolgt ist. Die vorliegenden beiden Schriften stellen wichtige Untersuchungen zum Verständnis audio/visueller Kommunikation dar.

Volker Wortmann
Authentisches Bild – Authentisierende Form
Köln: Herbert von Halem 2003
284 Seiten (Taschenbuch)
25,00 Euro

Thomas Knieper & Marion G. Müller (Hrsgg.)
Authentizität und Inszenierung von Bilderwelten
Köln: Herbert von Halem 2003
216 Seiten (Taschenbuch)
23,00 Euro

Stefan Höltgen

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