Keine Medienwissenschaft aus der hohlen Hand

Die insitutionelle Kluft, die sich in den Geisteswissenschaften zwischen ästhetischen und empirischen Fragestellungen seit Langem abzeichnet, lässt sich an den Medienwissenschaften (vielleicht auch deshalb der Plural) besonders deutlich ablesen. Zwischen soziologisch/psychologisch/anthropologischen und ästhetisch/kunsthistorischen Ausrichtungen gab und gibt es an einigen Fakultäten regelrechte Kämpfe um die Existenzberechtigung. In der nicht-akademischen Öffentlichkeit scheinen diese Kämpfe bereits entschieden zu sein, bevor man sie überhaupt wahrgenommen hat: Medienwissenschaft(!) ist empirisch fundiert und reiht sich ein in den Kanon naturwissenschaftlicher Disziplinen, deren Relevanz im Gegensatz zu den Geisteswissenschaften ja noch nie angezweifelt wurde.


Umso dringlicher muss der Hinweis erfolgen, dass ebenso nicht rein empirisch verfahrende Medienwissenschaften notwendig sind, auch wenn sie keine jederzeit klar definierbaren Grenzen haben und „schnellen Antworten“ zu liefern im Stande sind, wenn sich Politik und Öffentlichkeit fragend an sie wenden. Christa Karpenstein-Eßbachs Buch „Einführung in die Kulturwissenschaft der Medien“, das jetzt im Fink-Verlag erschienen ist, versucht einen Schritt in diese Richtung zu gehen und sowohl den Gegenstand „Medium“ als auch den Methodenkorpus systematisch darzulegen. Die Einführung ist zwar grundsätzlich als Studienbuch konzipiert, versucht jedoch in der Einleitung und in der Zusammenfassung die Ortsbestimmung medienwissenschaftlich orientierter Kulturwissenschaft, die das Buch als „Beitrag zur Debatte“ besonders interessant macht.

Die Definition des Gegenstandes „Medien“ bestimmt bereits dessen methodische Behandlung durch die Wissenschaften. Die Autorin ist sich darüber im Klaren, dass sich „Medien“ nicht leicht definieren lässt, zumal die Begriffsgeschichte selbst recht lang ist und Medium kein „stabile[s] und eindeutige[s] Objekt“ (7) ist. Dies zeigt sich gerade auch in der in den letzten Jahren immer neuere und exotischere Gegenstände aspektierenden Medienwissenschaft, die mittlerweile von der Sprache über den Film bis hin zum elektrischen Strom alles als Medium untersucht, was sich als „technische Mittel des Übertragens, Speicherns und Bearbeitens von ‚Informationen'“ (9) verstehen und auf einen Objektbereich (Telefon, Radio, Fotografie, Film, Computer usw.) eingrenzen lässt. Aus dieser kulturwissenschaftlichen Mediendefinition heraus erörtert die Autorin zunächst ihr Verständnis kulturwissenschaftlicher Medienwissenschaft und differenziert dies von der soziologischen.

Kulturwissenschaftliche Medienwissenschaft kann keine Disziplin sui generis sein, da sich ihre kulturellen Voraussetzungen und historischen Bedingungen ebenso in anderen, älteren Disziplinen finden: Psychologie, Anthropologie, Ästhetik, Kunstgeschichte, Philosophie. Indem sie die Fragestellungen dieser Disziplinen in sich aufnimmt und unter dem Dispositiv „Medium“ beantwortet, trägt sie sich selbst auch in diese Disziplinen hinein. Dieses „dialogische Prinzip“ findet sich bereits im Verhältnis der Medien zur Kultur, von wo die Kulturwissenschaft der Medien ihr Selbstverständnis erwirbt: „Wenn sich also der Komplex Medien zunehmend in die Ermöglichungen und Formierungen kultureller Praxen einschreibt, dann wird sich der medienwissenschaftliche Gegenstand aus den für eine Kultur relevanten Feldern zusammensetzen, in denen sich Welt- und Selbstverhältnisse konturieren, und sich auf sie beziehen müssen.“

Diese „relevanten Felder“ sieht Karpenstein-Eßbach in „Medien und Sinne“ (der Anthropologie und Technisierung des Sinnesapparats), „Medien und Techniken“ (der Historie der Medien, in der diese auf ihre kulturelle Determinationskraft untersucht wird), „Medien und Wirklichkeiten“ (einer philosophischen Perspektive, die die Wirklichkeitskonstruktion durch die Medien ebenso untersucht wie die fiktionaler Welten) und schließlich „Medien und Künste“ (also einer Ästhetik und Ästhetikgeschichte der Medien). Das Buch widmet sich in vier Großkapiteln den einzelnen Aspekten dieser Felder.

Diese Einzelkapitel sind vor allem – daher das „Einführung“ im Buchtitel – didaktischen Erfordernissen verpflichtet. Neben der reichhaltigen Illstration, die die Argumentation begleitet, finden sich an den Seitenrändern immer wieder stichwortartige Zusammenfassungen des Argumentationsgangen bzw. thesenhafte Überschriften zum Textverlauf. Kernsätze oder besonders relevante Passagen sind in grau unterlegten Textboxen abgesetzt. Das einzige, was man bei dieser Art der Darstellung etwas vermisst (und was sich in anderen UTB-Büchern durchaus findet), ist ein dem didaktischen Prinzip verpflichteter Apparat am Ende jedes Großkapitels, der vor allem die wichtige Literatur zum Thema (die so in Fußnoten abgehandelt wird) noch einmal gebündelt darstellt. Soweit zu gehen wie Stefan Weber in seinem UTB-Band „Theorien der Medien“, auch noch Übungsfragen zu formulieren, muss man gar nicht – hätte man aber können.

Doch auch so bietet diese „Einführung in die Kulturwissenschaft der Medien“ genügen Material und Anregung zur Vertiefung der einzelnen Fragestellungen der Felder – und fordert gerade durch sein Selbstverständnis dazu auf, in den relevanten Disziplinen weiterzulesen. Den medienwissenschaftlichen Filter für eine solche Lektüre gibt das Buch vor, indem es Autoren wie Marx, Nietzsche, Benjamin oder Foucault aus genau dieser Perspektive in den Text integriert. Doch ist der etwas komplizierte Stil der Autorin sicherlich erst für höhere Semester geeignet, die zudem schon erste Leseerfahrung in den Randdisziplinen besitzen, vor allem aber auch die nicht wenig kritisierte (ja im Schlusswort schon fast marginalisierte) soziologische Medienwissenschaft bereits kennen, um mit der Kritik richtig umgehen zu können und auch diese Disziplin als Bestandteil kulturwissenschaftlicher Medienwissenschaft nehmen zu können.

Christa Karpenstein-Eßbach
Einführung in die Kulturwissenschaft der Medien
Paderborn: W. Fink 2004 (UTB)
322 Seiten (Paperback)
15,90 Euro

Stefan Höltgen

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