Margit Frölich/Hanno Levy/Heinz Steinert (Hgg.): Lachen über Hitler – Auschwitz-Gelächter?, München: Edition text + kritik 2003
Roberto Benignis großer Filmerfolg La Vita è bella (Das Leben ist schön, 1997) hat die lange Zeit als obsolet geltende und nur vereinzelt ernsthaft diskutierte Frage neu aufgeworfen und neu beantwortet: Kann – und darf – man den Holocaust im Modus des Komischen darstellen? Dass man kann und sich erlaubt zu dürfen hat vor Begnini etwa schon Art Spiegelman mit seinem per Genre respektlosen Comic Mouse gezeigt und wie Benigni ein breites Publikum erreicht. Inwiefern man kann und darf, ohne sich dem Verdikt der Blasphemie gegenüber dem Genozid auszusetzen, und was über seine defensive Zulassung hinaus das Komische bei diesem Thema zu leisten vermag, diskutierten nunmehr die Teilnehmer einer Tagung der Evangelischen Akademie Arnoldshain, des Fritz Bauer-Instituts und der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main im April 2001. Die Ergebnisse stellt der Tagungsband zur Diskussion.
Oftmals bestehen sie darin, die Fragen neu zu formulieren. Die wichtigste lautet: Was folgt aus der langjährigen Debatte über die „Grenzen“, wenn nicht die „Unmöglichkeit der Repräsentation“ des Holocaust für die Kunst, die sich gleichwohl dem Thema stellt? Insofern in der Regel narrative Gattungen in der Perspektive des Tragischen gemeint waren, die stets die inkommensurable Realität im Ästhetischen versöhnen, lautet die Frage: Was leistet das Komische, wenn das Tragische den „falschen Trost“ einer Sinnhaftigkeit des Sinnlosen spendet? Die generelle Antwort heißt: Das Komische verdeckt nicht das Unmögliche, sondern verweist darauf. Das Komische lässt keinen Zweifel am Missverhältnis zwischen dem Gegenstand und der Form der Repräsentation, denn genau das ist sein Metier. Das Komische verhält sich kontrovers zur mimetischen Darstellung: nicht möglichst authentisch, sondern tunlichst verfremdet zeigt es die Realität.
So wird Benignis Film nicht zufällig auch als „Antwort“ auf Steven Spielbergs Schindler’s List (Schindlers Liste, 1995) gesehen. Spielbergs Authentisierungsstrategien zielen auf die Engführung von Dokumentarischem und Melodramatischem, und sehr folgerichtig werfen seine Gegner diesem Film die irreführende Generalisierung vor, nicht den Untergang, sondern die Rettung der Opfer zu fokussieren. Derselbe Vorwurf ist bei Benignis Film zumindest leiser und niemals zentral. Ein Grund: Das Kind überlebt nicht auf Grund der wirklichen, sondern dank der vom Vater vorgespiegelten „falschen Realität“ des Vernichtungslagers. Der Film stellt seinen artifiziellen Charakter deutlich heraus: Er blendet Elend und Tod aus, er adaptiert Märchenstereotype, und er zitiert vor allem Elemente von Holocaustfilmen von Chaplins The Great Dictator (Der große Diktator, 1940) über Lubitschs To be or not to be (Sein oder nicht sein, 1942) bis zu Rossellinis Roma Città aperta (Rom, offene Stadt, 1945) u.v.a. Das heißt, dass hier über Topoi und Bilder ein Wissen über den Holocaust voraus gesetzt wird, das als Referenzgrundlage der komischen Effekte fungiert.
Das Komische als reflexive Figur: Mehrere Beiträge konstatieren die Figur der Referentialität, der Wiederholung und des Spiels als Charakteristikum einer nichtauthentischen Evokation von Nazismus und Holocaust, die sich gleichsam spielerisch der frühzeitig geahnten, später gewussten Aporien der Darstellbarkeit des Holocaust nähert und ihn gleichzeitig metaphorisch in den Kontext der conditia humana stellt.
Erinnert und neu bewertet werden die historischen Klassiker der Hitlersatire von Chaplin und Lubitsch, aber auch weniger bekannte Werke wie Heinrichs Manns satirischer Filmroman Lidice (1943), der seinerzeit der political correctness in der Exildebatte zum Opfer fiel, die Verfilmungen von Jurek Beckers Jakob der Lügner (Frank Beyer, DDR 1974 und Peter Cassovitz, USA 1999) und so unterschiedliche Herangehensweisen wie Lina Wertmüllers Pasqualino Settebellezze (Sieben Schönheiten, 1975) und Herbert Achternbuschs Das letzte Loch (1981). Eine kommentierte Filmografie stellt die beachtliche Summe der komödischen Auseinandersetzungen mit Nazismus und Holocaust vor. Die Einzelbeiträge analysieren die Vielfalt der ästhetischen Möglichkeiten, die mit dem voraus gesetzten Tabubruch „Komödie“ nicht die Darstellbarkeit des Unvorstellbaren, sondern dessen per se „unangemessene“ Vergegenwärtigung leisten. Jenseits von akademischer Langeweile wird die Gattungsdiskussion über die Ästhetik der Satire, des Grotesken und des Karnevalesken als spannende Erörterung über Formen der Erinnerung, der Vergangenheitsbewältigung und der Trauerarbeit, der Differenz zwischen Generationen, Opfern und Tätern geführt. Nicht nur für Akademiker: ein in allen einzelnen Beiträgen – und die Autor/innen mögen es verzeihen, wenn sie nicht namentlich erwähnt werden – wirklich erhellendes Buch.
Margit Frölich/Hanno Levy/Heinz Steinert (Hgg.)
Lachen über Hitler – Auschwitz-Gelächter? Filmkomödie, Satire und Holocaust
München: Edition text + kritik 2003
350 Seiten (broschiert)
27,50 Euro
Dr. Sigrid Lange