Shoa

Sven Kramer (Hg.): Die Shoah im Bild, München: Edition text+kritik 2003

So wie die Frage der Repräsentierbarkeit des Holocaust letztlich die Gattungsdiskussion in den Künsten befördert hat (vgl. den ebenfalls bei text+kritik erschienenen Band Lachen über Hitler), so erweist sich die engere Frage nach seiner bildlichen Darstellbarkeit als theoretischer Fokus der Auseinandersetzung. Die Facetten der Problematik spannen sich zwischen den Polen des religiös-moralisch und künstlerisch motivierten Bilderverbots des Unfasslichen und des „Bildergebots“ als fotografisches Augen-Zeugnis der Verbrechen. Gleichzeitig können an den Modifikationen der gleichwohl stets medial präsent gewesenen „Shoah im Bild“ zeitliche Etappen der Erinnerungs- (und Verdrängungs-)Arbeit sichtbar werden.

So sind sie als „Palimpsest vorhergehender Formen der Auseinandersetzung“ (Habbo Knoch) entzifferbar, die ihrerseits Zeitgeschichte schreiben. Die erste verbreitete Reaktion auf die Shoah war bekanntlich Ignoranz. Joachim Paech fügt hier der bekannten These von der Verdrängung der eigenen Schuld die These der Traumatisierung hinzu, nach der das Schweigen nach dem Schock eine sicht- und hörbare Leerstelle in einer Kultur der Erinnerung markiert. Diese Perspektive ermöglicht, die verschiedenen Evokationen der Leerstelle nicht von vornherein nach ihrer „Angemessenheit“ zu werten, sondern als „ent/setzte“ Erinnerungen aufzufassen: als phantasmatische Verschiebungen des traumatischen Erlebnisses in verschiedene Bildräume.

Während diese einleuchtende, mit vielen Beispielen verifizierte Betrachtung generell auf die Mechanismen medialer Katastrophenbewältigung hinaus läuft, konzentriert sich die Mehrzahl der Beiträge auf historisch klar begrenzte Gegenstände und Fragestellungen und liefert nicht minder interessante Antworten. Etwa auf die Frage, warum das sonst so aktuelle und sensationslüsterne Hollywood die Judenverfolgung in Deutschland auffällig spät vermarktete (Jörn Glasenapp), oder die ganz andere Problematik, ob und warum die von den Alliierten nach dem Krieg gezeigten Dokumentationen aus den Konzentrations- und Vernichtungslagern bei der Mehrzahl der Deutschen die intendierte kathartische Wirkung verfehlten (Cornelia Brink). Dabei darf man gewiss gerade für das erste Nachkriegsjahrzehnt keine einsinnigen, homogenen Ergebnisse erwarten.

So fremd und fern diese Zeit heute denjenigen erscheinen muss, die sie nicht bewusst erlebt haben, so befremdlich muten aus dem Rückblick die sich durchkreuzenden politischen und publizistischen Strategien bei der Lenkung des Umgangs mit der Vergangenheit an. Dabei beginnt bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit, was heute als grundlegendes Phänomen der öffentlichen Erinnerung geläufig ist: Die Ikonographie der Bilder entfaltet einen selbstreferentiellen Diskurs, an dem Kino und Fernsehen, Zeitschriften und Schulbücher, Museen und Denkmäler ihren je eigenen Teil beitragen. Inwiefern Hollywood hin diesem Prozess heute führend zu sein scheint, zeigt Matthias N. Lorenz anhand von Bildzitaten nach Spielbergs Schindler’s List.

Der große Gewinn dieses Bandes besteht jedoch darin, dass bekannte Markierungen im Erinnerungsdiskurs der Bundesrepublik Deutschland (für die ihrerseits symbolgeladene DDR-spezifische Aufbereitung der NS-Vergangenheit hat sich im Rahmen des Projekts offenbar kein Interessent und keine Interessentin gefunden) wie der Eichmann-Prozesse und die Frankfurter Auschwitz-Prozesse in den 60er Jahren durch gründliche Sichtung eines vielfältigen Materials angereichert werden. So widmet sich Stephan Braese der Shoah im Film und in der Literatur im ersten Nachkriegsjahrzehnt, Knut Hickethier den Darstellungen der Shoah im Fernsehen und Hanno Loewy der Tauglichkeit des Filmgenres Courtroomdrama, Anja Oster und Walter Uka die Filmkomödien.

Gemäß der Thematik des Bandes arbeiten weitere Beiträge besondere Aspekte in der Rhetorik der Bilder aus. So reflektiert Sven Kramer die Nacktheit der Opfer in filmischen und fotografischen Abbildungen. Detlef Hoffmann vergleicht Plastiken aus der Denkmalskultur mit unmittelbar in den Lagern entstandenen Zeichnungen. Jörg Frieß untersucht die Bildproduktion in diversen Dokumentar- und Kompilationsfilmen, wobei er auch osteuropäische Filme einbezieht. Insofern diese Produktionen gerade nicht von der deutschen Schulddebatte gesteuert waren, trägt seine Analyse wesentlich dazu bei, die eigene Rhetorik im Diskurs der Bilder zu verstehen.

Sven Kramer (Hg.)
Die Shoah im Bild
München: Edition text+kritik 2003
300 Seiten (broschiert) mit Abbildungen
23,00 Euro

Dr. Sigrid Lange

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