Es ist eine gewisse Freude, mitansehen zu dürfen, dass sich die ehemals „schmuddeligen“ Filmgenres Sexfilm, Pornofilm und Horrorfilm nun nach und nach in den Betrachtungen kulturwissenschaftlicher Seminare und Tagungen wiederfinden. Stellt sich doch ein Verständnis der Kultur nicht in den hohen Sphären künstlerischen Schaffens, sondern gerade „in der Trivialität“ (Engell) ein. Und so haben sich die Untersuchungen zum Erotik- und Pornofilm von den zuvor häufig ideologisch-feministischen Perspektiven abgewandt und stellen nun multiperspektivisch Fragen an das Genre. Doch an den Anfang der Auseinandersetzung mit der Interpretation sollte auch hier die Auseinandersetzung mit dem Film und seinen filmografischen Daten stehen, damit die empirische Basis der Untersuchung stimmt. Bei Königshausen und Neumann ist vor kurzem ein Sammelband zum „erotischen Film“ erschienen, der diese Notwendigkeit leider nicht immer ganz beherzigt.
Die Reihe „Film – Medium – Diskurs“ wird eröffnet mit einem elf Aufsätze versammeln Band dessen Beiträge sich jeweils einem Film und den sich in ihm konzentrierenden Diskursen widmen. Dass damit keinerlei Vollständigkeit oder gar Überblick über das nicht einmal abgrenzbare Genre „Sexfilm“ geboten werden kann, wird klar formuliert und vorangestellt. Vielmehr ginge es darum, die Ambivalenz, die sich im Genre abzeichnet und sich etwa an dem Phänomen „Sex und Gewalt“ kondensiert, zu verdeutlichen und zu diskutieren. Daher haben vor allem Untersuchungen zu Filmen wie „Lolita“, „Fritz the Cat“, „Die Geschichte der O.“ und „Basic Instinct“ Eingang in das Buch gefunden.
Jeder der untersuchten Filme wird auf einen bestimmten, sich an ihm aufdrängenden Diskurs „abgeklopft“. Drei Beispiele seien stellvertretend genannt: Stefan Neuhaus problematisiert in seinem Lolita-Artikel etwa die Frage der filmischen Adaption von Sex-Literatur im Kontrast zu Zensurbechränkungen und vergleicht in dieser Hinsicht Nabokovs Roman mit den Adaptionen von Kubrick und Lyne. Auch Hans-Edwin Friedrich widmet seine Überlegungen der literarischen Transgression ins „bildliche Medium“ am Beispiel von Fritz Bakshis Film „Fritz the Cat“, der auf eine Comic-Serie von Harry Crumb zurückgeht und erstaunliche erotische „Glättungen“ erfahren hat, um goutierbar zu werden. Ebenfalls die Frage literarischer Adaption in den Film berührt Oliver Jahrhaus in seinem Text zu „Die Geschichte der O.“, in dem er sehr erhellend das Problem sadistischer Beschreibung und Darstellung/Darstellbarkeit aufwirft. Lässt sich Schmerz,, zumal als lustvoll oder qualvoll inszenierter, überhaupt medial Darstellen und welche Modi der Vermittlung verlangt solch eine Darstellung und wie weit darf sie gehen?
An den Beispielen zeigt sich bereits, dass das Thema Erotik viel ergiebiger sein kann, als ausschließlich zum Anlass von Skopophilie-Analysen dienlich zu sein (obwohl eine solche Perspektive in Oliver Jahrhaus‘ Text über „Eyes wide shut“ auch eingenommen wird). Doch was nützt der beste analytische Ansatz, wenn er sich auf die falschen Daten stützt? Das Problem, dass kulturwissenschaftliche Autoren immer noch zu „distanziert“ mit solchen Themen wie Erotik oder Gewalt umgehen offenbart sich vor allem in mangelndem Faktenwissen. So enthält der literaturwissenschaftlich sehr luzide Beitrag Neuhaus‘ zu „Lolita“ falsche Angaben zur Filmografie Adrian Lynes‘: Sein Schaffen lasse sich in erotische und Actionfilme trennen, wobei zu ersteren „9 1/2 Wochen“ und „Eine verhängnisvolle Affäre“, zu zweiteren „Cliffhanger“ und „Terminator 2“ zählen. Doch gerade diese letzten beiden Filme sind nicht von Lyne und haben auch nichts mit seinem Schaffen zu tun. Auf dieser Aufteilung basiert Neuhaus dann im Folgenden einige seiner Überlegungen, die natürlich ganz anders hätten ausfallen müssen, wenn die – im übrigen leicht zu ermittelnde – Faktenlage bekannt gewesen wäre.
Solche Fauxpas schaffen Misstrauen. Misstrauen vielleicht nicht so sehr gegenüber der Analysefähigkeit des/der Autoren, sondern gegenüber deren Kompetenz über Filme sprechen zu können. Gerade die immer noch etwas prekäre Beschäftigung mit den Pulp-Genres bedarf exakter Vorgehensweise um nicht den Kritikern, die den Sinn strukturalistischer Diskursanalyse in den kulturellen Niederungen schon immer angezweifelt haben, ungewollt zuzuspielen, indem man durch schludrige Recherche den Anschein erweckt, es sei „egal“, wer was gemacht hat. Das Misstrauen sollte sich vor allem beim in der Materie (nicht der Methode) uneingeweihten Leser einstellen, der den Ausführungen oftmals blind traut und dadurch falsche Schlüsse zieht.
So stellt sich eigentlich nur einmal mehr die Frage, warum kein Lektorat auf solche Details zu achten im Stande war? Hat es eventuell gar keines gegeben? Das wäre angesichts der Reihenbegründung „Film – Medium – Diskurs“ ein erstaunlich fahrlässiger Auftakt. Das ansonsten sehr erhellende und interessante Buch wird durch dieses Manko etwas überschattet und kann nur mit dem Vermerk „vorsichtiger Lektüre“ empfohlen werden.
Olvier Jahraus & Stefan Neuhaus (Hgg.)
Der erotische Film
Zur medialen Codierung von Ästhetik, Sexualität und Gewalt
Würzburg: Königshausen & Neumann 2003
207 Seiten (mit Abbildungen) (Paperback)
19,80 Euro