Popkultur

Viel zu oft wird man Zeuge von intellektuellen Grabenkämpfen über Phänomene der Populärkultur, die vorgeben, einen Streit über ein mehr oder weniger wichtiges kulturelles Phänomen auszutragen, sich bei genauerem Hinsehen jedoch allein als Terminologie-Debatten entlarven. Schaut man sich etwa einmal die Debatte um „Gewalt in den Medien“ an, so wird man nicht nur mit den unterschiedlichsten Wirkungs- und Wirkungslosigkeitsargumenten konfrontiert, sondern oft auch mit völlig disparaten Begriffen von „Gewalt“, „Medien“ und „Publikum“. In der widersprüchlichen Nutzung dieser Terminologie spiegelt sich natürlich ebenfalls auch die Position des Diskursteilnehmers. In dem Moment jedoch, wo diese Terminologie unklar wird und durch ihre Unklarheit Fehlinformation produziert, pervertiert sich der Sinn jeder Debatte.


Um einen Überblick über die unterschiedlichen Aspekte und Verständnisweisen populärkultureller Begriffe zu bekommen, hat Hans Otto Hügel ein „Handbuch Populäre Kultur“ herausgegeben. Der Hildesheimer Professor, der einen gleichnamigen Lehrstuhl für Populäre Kultur bekleidet, hat 11 „Konzept“- und 106 Grundbegriffe zum Thema zusammengetragen. Zur Seite standen ihm dabei 85 Kollegen aus Geistes- und Sozialwissenschaften, Publizisten und Journalisten.

Die Bandbreite, Vertiefung und der Überblick, den das 580 Seiten starke Buch bietet, ist bemerkenswert: So fügt etwa – um im Beispiel zu bleiben – die Hamburger Kommunikationswissenschaftlerin Jutta Röser zum „Gewalt“-Begriff die kommunikationswissenschaftlichen, medienpsychologischen, sozialengeschichtlichen, ästhetischen und rezeptionstheoretischen Aspekte zusammen. Sie reflektiert neben den maßgeblichen Forschungspositionen die Standard-Literatur, stellt die Konzepte einander gegenüber und diskutiert Einzelphänomene aus Film, Literatur und Geschichte – immer unter dem Aspekt kultureller Bedeutung. Ihr fünfseitiger Artikel ist dabei, wie auch der aller anderen Autoren, mit einem ausführlichen Literaturverzeichnis ergänzt und liefert im Text Querverweise zu anderen Lexikonartikel – natürlich auch zu „Publikum“ und „Medien“.

Die sehr ausführlichen Artikel des Bandes überraschen vor allem durch ihre Vielfalt: Neben „einschlägigen“ Kulturphänomenen und –begriffen wie „Kulturindustrie“, „Film“ oder „Werbung“ finden sich auch exotischere Begriffe, für die bislang jede lexikalisierte Definition gefehlt hat: „Flipper“, „Kult“ und „Pirat“ kommen – mit ihren vierschiedensten Implikationen ebenso zur Sprache wie „Rebell“, „Sortimentsbuchhandel“ oder „Volksfest“. Hier soll jedoch keineswegs der Eindruck entstehen, es handele sich um die Sammlung von Skurilitäten. Vielmehr offenbaren die Texte vor allem zu solchen Phänomenen, wo eigentlich die Schwierigkeiten hinter der Selbstverständlichkeit eines Begriffs wie „Zukunft“ liegen könnte und vernetzt den Begriff innerhalb eines kulturellen Terminologiegeflechtes, um ihm auf diese Weise die unterschiedlichsten Bedeutungen für das Verständnis von populärer Kultur abzugewinnen.

Das „Handbuch Populäre Kultur“ ist also bestens dazu geeignet, das sich verstärkt seit den 1960er Jahren (durch die Arbeit des Birminghamer CCCS) in der Wissenschaft etablierende Feld der „popular culture“ definitorisch einzugrenzen. Dass damit keine Hermetisierung des Phänomens betreiben wird, versteht sich aus dem Phänomen des „Populären“, dessen Grenzen sich ständig erweitern und verschieben. Dieser „Fraktalität“ leistet das Lexikon durch seine Schnittstellen zur Fachliteratur, die sich in hunderten Verweisen finden, Vorschub. Darüber hinaus ist der Band – üblich für die Lexika aus dem Metzler-Verlag – mit detaillierten Namens-, Sach- und Titelregistern versehen und damit unerlässliches Nachschlagewerk für Studenten, Wissenschaftler und Journalisten.

Hans-Otto Hügel (Hrsg.)
Handbuch Populäre Kultur
Stuttgart & Weimar: Verlag J. B. Metzler 2003
580 Seiten (gebunden)
49,00 Euro

Stefan Höltgen

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