Kein Medium hat das 20. Jahrhundert so nachhaltig geprägt wie der Film. Er ist das „Schlüsselmedium“, beginnt das Vorwort des Sammelbandes „Die Spur durch den Spiegel“ aus dem Bertz-Verlag. Dabei hat der Film das Jahrhundert im aktiven wie passiven Sinne „bebildert“: In intensivem Diskurs zwischen Produktion und Wirklichkeit. Thomas Elsaesser, zu dessen letztjährigem 60. Geburtstag der Sammelband erschienen ist, hat den Film aus wissenschaftlicher aber auch leidenschaftlicher Distanz beobachtet und vor allem zum deutschen Film eine beachtliche Bandbreite an Studien veröffentlicht. In seinem Sinne dürften die Essays des Sammelbandes ausgefallen sein.
In sechs Kapiteln widmen sich die Autoren, die teilweise zum direkten Forschungsumfeld des Amsterdamer Filmprofessors zählen, den diversen kulturellen Aspekten des Films. Die Überlegungen reißen ihre jeweiligen Problemfelder dabei ausdrücklich nur an und wollen nicht als „unumstößliche Festschreibungen“ (11) verstanden sein. Diese Offenheit und die Vielseitigkeit der Untersuchungen lassen daher kaum einen erschöpfenden Überblick über den 450 Seiten dicken Band zu. Dennoch soll ein kursorischer Einblick vermittelt werden.
Im ersten Kapitel „Räume und Rahmungen“ beschäftigen sich sechs Autoren mit den ästhetischen und ontologischen Bedingungen des Films und seiner Rezeption. Die Analysen reichen dabei vom sozialen Raum „Kino“ bis hin zu simulativen Praktiken unter dokumentarischen Bildern. Das mit „Traum und Trauma“ betitelte zweite Kapitel versucht einen der wichtigesten kulturwissenschaftlichen Diskurse, den der Psychologie (besonders der Psychoanalyse) mit dem Film zu koppeln. Dass diese Kopplung reichhaltige Ergebnisse zu Tage gefördert hat, wissen wir spätestens seit Hugo Münsterberg; ein Blick auf die Theoriegeschichte(n) liefern die fünf Autoren dieses Kapitels von poststrukturalistischer Psychoanalyse (Zizek) bis hin zu Wirkungs- und Wahrnehmungsfragen. Im dritten Kapitel „Geschichte – Ereignis und Erlebnis“ eröffnen sechs Autoren filmhistorische Fragestellungen von den Frühjahren des Kinos bis zum Autorenfilm der 70er und 80er Jahre. Kapitel vier blickt wieder auf das Raum-Phänomen, dieses mal jedoch unter der Perspektive der Darstellung kultureller Räume im Film. Hier wird genauso über Filmexil wie die politischen Implikationen bei Ophüls, Lubitsch und Resnais sinniert. Das vorletzte Kapitel „Spuren und Spiegel“ widmet sich der „Auflösung einer statischen Architektonik von Differenz und Verhältnismäßigkeit“, so die Herausgeber. Hier wird Film als industrielles Kulturprodukt und mittel zur nationalen Identitätsstiftung untersucht. Schließlich wird in „Re-Visionen“ versucht, der Wandelbarkeit und Multiperspektivität von Werkinterpretationen Rechnung zu tragen. Die Versuche hier reichen von einer Untersuchung über die Untersuchungen zur Pornografie bis hin zu Kunst-Traditionalität im Werk Werner Herzogs.
Die Autoren der 33 Texte des Bandes bringen ihren jeweiligen theoretischen Horizont und ihre Forschungsperspektiven mit ein. Das macht das Buch ungleich vielfältig – zusammengehalten wird die Textsammlung allein durch den „Kultur“-Zusammenhang und die Beziehung zu Elsaesser. Doch gerät die Festschrift dabei keineswegs zur Verneigung gegenüber dem Jubilar; hierzu sind die Kontroversen in den Texten zu offensichtlich, das Vorwort benennt es beim Wort: „Elsaessers Schüler wäre nicht die seinen, wenn sie sich nicht auch emanzipierten. […] Allen gemein ist eine Anerkennung der enormen intellektuellen Reichweite, die seine Interessen bestimmt.“ (13) Diese Reichweite bekommt der Leser in „Die Spur durch den Spiegel“ zu lesen.
Malte Hagener, Johann N. Schmidt, Michael Wedel (Hrsgg.)
Die Spur in den Spiegel. Der Film in der Kultur der Moderne
Berlin: Bertz 2004
448 Seiten (Paperback)
28,00 Euro
Stefan Höltgen