Mit der Achterbahn durchs Kinderzimmer

Dass es ihnen zwischen Teddybären und Vereinsbettwäsche auf Dauer zu langweilig werden würde, war abzusehen. Ob Hulk, Iron Man oder Batman, die Superhelden von damals dominieren die globale Kinolandschaft von heute: Sie retten mit sagenhaften Einspielergebnissen die Welt der großen Filmstudios. Nebenbei bedienen sie die ewig aktuelle Sehnsucht des Publikums nach Spektakel, nach Feuerwerk und großem Zirkus.

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Der Falke als Décadent

Es regnet aus Kübeln an diesem Tag im Juni 1993. Auf der malerischen Wiener Donauinsel warten über 100.000 Menschen auf den Auftritt ihres Idols bei einem der größten Konzerte, die Österreich je erlebt hat. Wenige Stunden zuvor lassen Falcos besorgte Bandmitglieder eiligst einen Arzt herbei rufen, denn ihr Frontmann liegt im Delirium. Nachts hat er sich mal wieder mit allem Möglichem zugedröhnt – so lange, bis nichts mehr ging. Der Star, nur noch ein Zombie. Abends ist er dann doch noch rechtzeitig fit. Es wird sein größter Auftritt, der Höhepunkt seiner Karriere.
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Das ideale Produkt

Spielt ein Film in schnneeverwehter Landschaft, heißt das meistens, dass es unter der Oberfläche gewaltig brodelt. Lars (Ryan Gosling) ist 27 und lebt seit Jahren allein in der Garage. Menschen im allgemeinen plagen ihn, besonders im Beisein von Frauen bekommt er keinen Ton heraus. Sein Bruder Gus und dessen Frau trauen ihren Ohren kaum, als Lars ihnen eines Tages die erste Freundin vorstellen will. Vorsichtshalber erwähnt Lars  noch, dass Bianca etwas exotisch ist, sie sitzt im Rollstuhl und kommt aus Brasilien. Was er nicht erwähnt: Bianca ist eine Puppe.
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Ein paar Augenblicke zu viel

Mit in die Jahre gekommenen Regisseuren ist das so eine Sache. Meist entwickelt ihr Werk mit fortschreitendem Alter eine ganz neue Dimension. Dabei gibt es zumeist zwei Kategorien, die einen, die ihren Stil perfektionieren, ihm jenen perfekten Schliff verpassen, das man darin etwas Gravitätisches spürt. Die anderen, die sich einen lange gehegten Traum erfüllen, noch mal einen Salto wagen. Mit Tödliche Entscheidung Sidney zählt Lumet nun wohl zu Letzteren.
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Es fährt ein Boot nach Nirgendwo

Der Bruderstreit als Erzählmotiv ist so alt wie die Erzählung selbst. Und dazu ein Element jeder anständigen Familientragödie. In seinem jüngst erschienenen Werk Tödliche Entscheidung inszeniert Sidney Lumet allerlei Prinzenränke inmitten brodelnder Sippschaft. Ihm gleich tut es nun Woody Allen mit Cassandras Traum. Während Lumet für seinen Film die moderne Form wählt, mit lautem Schnitt-Spektakel und wenig Nachhall, kommt Allens Version im wohltuend klassischen Gewand daher: Griechische Stoffe, englischer Schnitt und ein wenig französisches Odeur.

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Wenn Frisuren töten können

Ein bisschen alt sind sie inzwischen, die Geschichten aus dem Wilden Westen. Alt und schon oft erzählt. Irgendwann ist das dem Kino zu langweilig geworden und so erschuf man ein neues Genre, den Neo-Western. Doch auch der Neo-Western hat sich meist nur dem Aufwärmen des Alten verschrieben und darüber ist ein wenig das Neue am Westen verloren gegangen, der vor allem immer noch eines ist: wild.

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Jäger des verdrängten Schatzes

Der moderne Don Quichotte putzt. Wie die Hausfrau, die davon berichtet, sie habe ihre Wohnungen einzig danach auswählt, ob sie sich auch gut vom Staub befreien lassen. Dann legt sie los. Ihr unermüdliches Wischen, Wedeln und Saugen gipfelt im schließlich im Aufschrauben des Fernsehgeräts, um dessen Innenleben ebenfalls zu entstauben. Am Ende ist ihr Kampf gegen die Partikeln doch aussichtslos, er hilft lediglich die eigene innere Leere zu besiegen – bis der Staub wiederkommt.

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Die Sehnsucht zwischen zwei Küssen

Sicher, dass am Beginn einer Erzählung der Verzehr einer Süßspeise steht, das ist nicht neu. Und das sich der gemeinsame Genuss einer solchen Kleinigkeit schon mal zu einer amourösen Eskapade ausweiten kann, soll es auch schon gegeben haben. Dass es sich dabei allerdings um einen Blaubeerkuchen mit Vanilleeis handelte ist nicht bekannt und man kann auch nicht unbedingt sagen, dass der Blaubeerkuchen zu den traditionellen fernöstlichen Spezialitäten zählt. Wie jedoch Wong-Kar-Wai, dessen Werk tief im asiatischen Kontext verwurzelt ist, in My Blueberry Nights so herkömmliche Hollywood-Zutaten wie Lovestory, Road-Movie und Melodram zusammen anrichtet, das ist alles andere als bloße Zuckerbäckerei, sondern virtuos inszeniertes Gefühlskino.

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Nur das Ich war Zeuge

Cinecittà, die legendäre Filmstadt am Rande Roms: Wir beobachten den Dreh eines Films, sehen Studiobauten, Schauspieler, natürlich die Kamera, die sich mechanisch nähert, immer größer wird und plötzlich herumschwenkt, unseren eigenen Blick erwidernd. Durch eben diesen Riss in die Fiktion schaut in der Anfangsszene aus Jean-Luc Godards Film „Le Mépris“ ein wirklich unwirklicher Abgrund in den Saal zurück. Ein voyeuristischer Schock und ein filmisches Tabu, ausgelöst durch das Herzeigen des Objektivs, das den Zuschauer zur Selbstreflexion zwingt.

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Im Zertrümmern vereint

„Was bedeutet ‚Rosebud'“? Diese anscheinend harmlose Frage ist eine Parole des postmodernen Kinos und „Rosebud“, das geheimnisvolle Wallungswort, der Inbegriff des neuen Erzählens. Jenes letzte Wort des sterbenden Citizen Kane, mit dem Orson Welles epochaler Spielfilm beginnt, verweist auf das Rätsel der Erzählung selbst. Es ist eine Art narrativer Trojaner, den es braucht, um die Geschichte in Gang zu setzen und gleichsam ein früher Abgesang auf den Typus der klassischen, väterlichen Erzählinstanz. Der Erzähler ist tot, es lebe die Erzählung.

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Löcher im Gelsenkirchner Barock

„500kg/m² oder 8t pro Fahrzeug“, so steht es an der Wand einer Lagerhalle, die Frau Moll bewacht. Gäbe es ein Maß für seelische Belastbarkeit, würde es sicher in Royblacks gemessen. Dessen 65er-Schlager Du bist nicht allein steht in dem gleichnamigen Film von Bernd Böhlich für die unerfüllte Sehnsucht der Zukurzgekommenen, der wirtschaftlich Gescheiterten im deutschen Euphoriesommer 2006.

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Die Nacht vor dem goldenen Schuss

Eine Bombe. Auf den Rücken geschnallt und direkt ins Zentrum gebracht – um der Erleuchtung Willen. Das klingt nach einem Selbstmordattentat und genau darum geht es in Danny Boyles spektalurärem Film Sunshine auch. Nur, dass der Anschlag nicht in den Widerstandsregionen des Weltinnenraums stattfindet, sondern tief im Orbit. Erzählt wird von einem gigantischen Angriff auf die Sonne. Acht Astronauten befinden sich auf dem Weg zu unserem planetarischen Zentralgestirn, um dort einen atomaren Sprengkörper von ungeheurer Zerstörungskraft abzusetzen. Ziel der Aktion ist ein kühner Schöpfungsakt, die Erzeugung einer solaren Supernova. Aus der altersschwachen, kurz vor dem Verglühen stehenden Sonne, soll ein neuer Luxstern geboren und so die Erde vor dem Untergang im ewigen Nachtdunkel bewahrt werden. Und: die Uhr tickt, denn die Mission ist der letzte mögliche Versuch.

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Auf der Suche nach der verlorenen Aura

Am Beginn von Werner Herzogs Werk steht einerseits die Perfektion und in ihr bereits der große Mangel. Neben den Kraftmeier und Körperbauer tritt der hochfahrende Selbstzerstörer. Weiters treten auf, die mythologischen Figuren Sisyphos und Ikarus, filmisch rekonfiguriert in Herakles (1962) und nahezu 40 Jahre später wieder aufgegriffen in Wings of Hope (dt.: Julianes Sturz in den Dschungel, 1999). In der Zwischenzeit vollzieht sich im Schaffen des Münchner Filmemachers eine künstlerische Entwicklung, der eine dezidierte Ethik innewohnt, welche ich die Ethik der Aura nennen möchte. Wesentlich ist ihr ein Ge- und Verborgen-Sein, das im Staunen über das Einzigartige der Erfahrung, der Erhabenheit eines numinosen Moments ins Offene drängt. Herzog sucht diesen Momenten, obschon ganz offensichtlich mit der Kamera, vielmehr noch mit seiner ganzen Physis, seinem Körper, ja, mit dem immensen Lebendgewicht seiner kinematografischen Biografie Gestalt zu geben. So soll die unnachgiebige Gewalt seines Blicks Unsichtbares in Erscheinung treten lassen.

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Das Schreckgesicht des amerikanischen Traums

Einer der drei großen Gangsterfilme der dreißiger Jahre (1932). Nach Mervyn Le Roys Little Caesar (1930) und William A. Wellmans The Public Enemy (1931) kann Scarface in der thematischen Entwicklung, Bildsprache und den Handlungsmustern als vorläufige Quintessenz des Gangster-Films jener Jahre gelesen werden. Das für damalige Verhältnisse äußerst gewalttätige Porträt einer Verbrecherkarriere, wie sie im Chicago der Prohibitonsära an jeder Straßenecke wuchert, ist zugleich ein nihilistisches Sittengemälde des amerikanischen Traums. Es ist das böse Märchen vom Aufstieg des unbedeutenden Habenichts zum mächtigen Selfmademan, von Regiemogul Howard Hawks nach der authentischen Lebensgeschichte Al Capones gedreht.
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Ein zauberhafter Kasten Licht

Ganz ohne weiße Kaninchen erzählt Hollywood von der alten Magie des Kinos.

Wenn man in den letzten Jahren auf der Leinwand eines nicht vermisst hat, dann wohl Magie. Unablässig wimmelt das Magische in Gestalt von notorischen Zauberlehrlingen, Trollen und Drachenjägern durch die oppulent gepixelten Welten des Übernatürlichen. Es herrscht eine Sagenhaftigkeit, die sich vornehmlich in den nackten Zahlen der Einspielergebnisse widerspiegelt und den Fantasy-Film zu einem weltweiten Massenspektakel gemacht hat. Offensichtlich funktioniert das Genre dabei nach der Zauberformel: Je greller der Schein, desto attraktiver das Unglaubliche.

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