Jäger des verdrängten Schatzes

Der moderne Don Quichotte putzt. Wie die Hausfrau, die davon berichtet, sie habe ihre Wohnungen einzig danach auswählt, ob sie sich auch gut vom Staub befreien lassen. Dann legt sie los. Ihr unermüdliches Wischen, Wedeln und Saugen gipfelt im schließlich im Aufschrauben des Fernsehgeräts, um dessen Innenleben ebenfalls zu entstauben. Am Ende ist ihr Kampf gegen die Partikeln doch aussichtslos, er hilft lediglich die eigene innere Leere zu besiegen – bis der Staub wiederkommt.

Staub, das ungewöhnliche Porträt eines Ur-Stoffes, ist wohl der erste Versuch überhaupt, die flüchtige Materie zum Hauptdarsteller zu machen. Einerseits trägt Staub das Gesicht der Zerkleinerung, wie wir auf dieser Reise in die meist faszinierenden, oft schwer zugänglichen Mikro- und Nanowelten der Industrie und Wissenschaft erleben. Andererseits, und da offenbart sich die höchst zwiespältige Natur des Staubs, entstehen aus ihm neue Planeten, sind Wüsten nichts anderes als Staubansammlungen, wäre der Himmel ohne Staub ebenso wenig zu sehen wie dieser Film. Obwohl wir also Tag für Tag mit ihm leben, ihn ständig selbst produzieren, führt der Staub dennoch ein Schattendasein. Er ist ein Hauptprodukt des Lebens, phänomenologisch betrachtet ist seine Geschichte jedoch die, einer gescheiterten Wahrnehmung.

staub_08_press1.jpgMit dieser Verfehlung räumt Hartmut Bitomskys dokumentarische Spurensuche gründlich auf und erhebt den Staub zum kulturhistorisch relevanten Alltagsphänomen. In geradezu detektivischer Manier bringt er historische Wegmarken wie den Krieg im Irak oder die Anschläge von New York auf ihren kleinsten gemeinsamen Nenner: sie alle bringen Unmengen gefährlicher Stäube hervor. Es erstaunt umso mehr, dass durch den physikalischen Blick, durch das bloße Interesse für die materiellen Transformationsprozesse, diese erschütternden Großereignisse das ursprüngliche Maß ihres Schreckens zurückgewinnen. Wenn Bitomsky sämtliche bei der Zerstörung der Zwillingstürme freigesetzten Kleinstrückstände in einer quälend langen Aufzählung benennt – einschließlich des pulverisierten menschlichen Gewebes – überkommt einen das Schaudern. Ein Schaudern, das aus der verdrängten Vorstellung des Unfassbaren rührt.

staub_01_press.jpgÄsthetisch birgt die Unsichtbarkeit des Staubs ganz andere Probleme. Findet sich in der filmischen Betrachtung doch per se ein gewisser Widerstand des Themas gegenüber seiner visuellen Veranschaulichung. Wer den Staub in allen Facetten zeigen will, der stellt damit das Kino selbst auf die Probe, denn das Erzählen von etwas, das von der Kamera kaum eingefangen werden kann, ist mindestens ein Wagnis. Es ist die Jagd auf eine anwesende Abwesenheit. Nur selten gelingt es Bitomsky daher auch, dem Staub, diesem „nicht einholbaren Rest“, wie der französische Schriftsteller Raymond Queneau ihn nannte, ein anderes als das wissenschaftlich exakte, nämlich ein poetisches Gesicht zu geben.

Dafür nimmt die mosaikartige Dokumentationsform des Films Anleihen an Queneaus postmodernem Schreibverfahren, das dieser so beispielhaft in seinen Stilübungen angewandt hat. So wie dort eine kurze Geschichte immer wieder aufs Neue erzählt wird, und jedes Mal unter leicht verändertem Blickwinkel, so setzt sich auch die Geschichte des Staubs mit seinen unterschiedlichsten Erscheinungen immer anders zusammen. Ein Spiel mit den Perspektiven, die, je nach dem, Werden oder Vergehen sichtbar machen. Der schwebend-assoziative Gestus, erinnert dabei an Die Sammlerin, Agnes Vardas großartige Exkursion durch das Unterholz der Konsumgesellschaft. Immer geht es um die Kleinigkeiten, die der Mensch schon weggeworfen hat, oder ganz einfach nicht mehr sehen will.

staub_05_press1.jpgDas dann sogar Staub zum Objekt der Sammelleidenschaft werden kann, demonstriert eine junge Frau, die nach Art der linnéschen Systematik hunderte verschiedenster Staubquaddeln archiviert. Wertvollen Schmetterlingen gleich werden diese ´Wollmäuschen´ auf Stecknadeln gespießt und es gehört zu den schönsten Momenten des Films, wenn die Frau darüber ins Schwärmen gerät. Letztlich sei der Staub doch nichts anderes als ein verdrängtes Gegenüber, eine Art unsichtbarer Mitmensch, den es zu schätzen gelte. Wie sie da steht, inmitten ihrer merkwürdigen Sammlung, ist sie selbst das Gegenmodell zur staubsaugenden Hausfrau. Dabei wollen beide eigentlich das gleiche: sammelnd und saugend die Zeit aufheben.

Staub
Deutschland/Schweiz, 2007, Deutsch
Buch und Regie: Hartmut Bitomsky, Kamera: Kolja Raschke
Verleih: Real Fiction
Länge: 90 Minuten

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