Es regnet aus Kübeln an diesem Tag im Juni 1993. Auf der malerischen Wiener Donauinsel warten über 100.000 Menschen auf den Auftritt ihres Idols bei einem der größten Konzerte, die Österreich je erlebt hat. Wenige Stunden zuvor lassen Falcos besorgte Bandmitglieder eiligst einen Arzt herbei rufen, denn ihr Frontmann liegt im Delirium. Nachts hat er sich mal wieder mit allem Möglichem zugedröhnt – so lange, bis nichts mehr ging. Der Star, nur noch ein Zombie. Abends ist er dann doch noch rechtzeitig fit. Es wird sein größter Auftritt, der Höhepunkt seiner Karriere.
Aufgewachsen in problematischen Verhältnissen, Schulabbrecher, aber musikalisch hochbegabt, landet das Wiener Arbeiterkind Hans Hölzel mit der Szeneband Drahdiwabberl 1979 den ersten Erfolg. Ganz Wien heißt die verquaste Drogenhymne, die in windeseile den Underground erobert. Es folgen erster Plattenvertrag, der Durchbruch in sämtlichen europäischen Hitparaden und schließlich mit Rock Me Amadeus der bis heute einzige deutschsprachige Nr.-1-Hit in den amerikanischen Charts. Keine Frage, der Mann, der von sich selbst sagte, in dem Business müsse er „immer verdammt heiß“ sein, ist auch 10 Jahre nach seinem tragischen Unfalltod nach wie vor ein Phänomen.
Mit Falco-Verdammt wir leben noch liegt nun die erste fiktionalisierende Darstellung des österreichischen James Dean vor, dessen Huldigung inzwischen unzählige posthume Alben, Dokumentationen und Lebensbeschreibungen hervor gebracht hat. Thomas Roth hat sich an diesen Spielfilm gewagt und ist dabei kein kleines Risiko eingegangen, denn Falco ist inzwischen eine reichlich ausgeleuchtete Ikone. Nachdem dann auch Roths Wunschdarsteller Robert Stadlober dem Projekt prompt einen Korb gegeben hatte, entdeckte man schließlich Manuel Rubey als Falco-Double. Man muss schon sagen Double, denn wie bei fast jedem Biopic besteht die größte schauspielerische Leistung auch hier in dem Unterfangen, dem Porträtierten so ähnlich wie möglich zu sein. Rubey macht dies erstaunlich überzeugend, gerade, wenn man bedenkt, dass er alle Gesangseinlagen selbst interpretiert. Den exaltierten Charme des Vorbilds erreicht er dennoch nicht.
So schwierig Falco als Mensch und öffentliche Person war, so unverwechselbar und originell ist seine Kunst. Mit dem Cool-Sprech, einer provokanten Mischung aus Dialekt und Yuppie-Englisch, und den originellen, an der Poesie geschulten Texten, adaptierte er schon früh den sprachlichen Gestus des gerade beginnenden Hip-Hop – veredelte diesen aber gleich noch mit einer gehörigen Portion Weltläufigkeit. Sein künstlerischer Anspruch, seine Unnachgiebigkeit in Stilfragen machten ihn zum Schreckgespenst für Produzenten, und die ewigen Ups und Downs prägten Falcos Karriere so nachhaltig wie den Rhythmus eines Wiener Walzers. Kulturell ein Zwitter aus kleinbürgerlichem Volksmusikanten und kosmopolitischem Avantgardekünstler sind Falcos inszenierte Präpotenz und die gespielte aristokratische Arroganz letztlich auch Ausdruck des Scheiterns – des Scheiterns am bürgerlichen Leben, nach dem er sich oft sehnte. Nur aus diesem Verfehlen heraus ist der geniale Exzentriker zu verstehen.
Der Film tut daher auch gut daran, die private, weniger bekannte Seite des Stars auszuleuchten, denn hier liegt das eigentliche Drama des Menschen Hans Hölzel. Als Falco konnte er die Welt haben, als Ehemann und Familienvater scheiterte er grandios. Glut und Glamour, völlige Losgelöstheit und schlimmste Depression liegen in diesem Leben immer ganz dicht bei einander. Falco war ein Grenzgänger im besten Sinne, der in seinen genialen wie profanen Momenten jedem Maß entrückt sein konnte. Und der um das Stigma des furiosen Künstlers wusste. Kurz vor dem Ende empfängt er noch einmal seinen langjährigen Manager und Freund Horst Brok (Christian Tramitz) in seinem Haus in der Karibik. Brok versucht bis zuletzt seinen Schützling zum Umdenken zu bewegen, beschwört ihn, endlich von den Drogen zu lassen. „Ach, weißt´ Horst“, kontert Falco darauf im schönsten Wiener Schmäh, „man lebt nur einmal – und so wie ich gelebt habe, ist einmal auch genug.“
Nicht von ungefähr war der Smoking – neben den zahlreichen Phantasieuniformen – Falcos Lieblingskleidungsstück. Die perfekte zweite Haut, die den beredten Chic der Wiener Salons mit dem unterkühlten Geckentum des Halbweltkönigs vereint. Mit seinem stechenden Blick und den strengen, kaukasischen Zügen erinnerte er darin stets ein wenig an Scarface Paul Muni im schwarzweißen Original von 1932. In Roths Film wirken die Kostüme dagegen leider immer ein wenig verrutscht, die Masken teilweise zu hastig aufgetragen. Schade auch, dass viele Passagen des ebenfalls von Roth geschriebenen Drehbuchs bereits aus der lobhudeligen Dokumentation Hoch wie nie des Wiener Produzentenduos Dolezal/Rossacher bekannt sind. Ein bisschen mehr Einfühlungsvermögen hätte nicht geschadet.
Falco wäre es wahrscheinlich egal gewesen. Ihm hätte der Film ohnehin geschmeichelt. Nur das zählte. Genügt hätte er ihm nicht. Dafür lagen seine Ansprüche auch für ihn selbst oft zu hoch. Kein Wunder. Er, der der Dekadenz längst „einen Preis verliehen“ hatte, verstand sogar das Unvermögen noch als Ausdruck eines entgrenzten Ichs umzudeuten: „Wo wir sind ist vorne. Sind wir hinten, ist hinten vorne. Schonungslos.“
Falco – Verdammt wir leben noch!
(A/D, 2008)
Regie und Drehbuch: Thomas Roth, Kamera: Jo Molitoris, Schnitt: Bernhard Schmid, Musik: Rob & Ferdi Bolland/Lothar Scherpe
Darsteller: Manuel Rubey, Christian Tramitz, Susi Stach, Patricia Aulitzky, Nicholas Ofczarek u.a.
Länge: 109 min
Verleih: Drei-Freunde Filmverleih