Über den Katastrophen im Wohnzimmer

Wie sich die Medienwissenschaft der beliebtesten Bildmaschine philosophisch nähert

„Erschrocken“, sei er gewesen, gab Martin Heidegger 1966 in anbetracht der ersten, detailierten Weltraumaufnahmen der Erde zu Protokoll, und fügte an: „ Wir brauchen gar keine Atombombe, die Entwurzelung des Menschen ist schon da.“ Besaß seinerzeit der technische Horizont der Television noch erhebliche philosophische Sprengkraft, so sehen wir heute die Welt durchs Fernsehen als eine allzu vertraute. Dort, wo zu festen Zeiten das immergleiche Personal bei der Bewältigung der immergleichen Ereignisse ausgestellt und zur Beobachtung freigegeben wird, herrscht Selbstverständlichkeit. Eine recht zwanghafte Form der Selbstverständlichkeit, die keiner wirklichen, nach außen gerichteten Verständigung mehr bedarf und die als globalmediale Nachbarschaft des Fernen, die Ferne selbst unsichtbar werden lässt.

Erfahren wir die Welt nurmehr als Fernsehen? Dafür spricht zumindest, dass der Zuschauer inzwischen als Hauptdarsteller einer TV-Kultur in einem Erfahrungsmodus permanenter Selbst-beobachtung aufgeht. Es scheint daher nicht ganz unpassend, dass sich die Herausgeber des Sammelbands „Philosophie des Fernsehens“ methodisch einer ähnlichen Perspektive verschrieben haben. Grundlegend ist dafür ein immanentes Philosophieverständnis; eine Philosophie nämlich, die sich ereignet. Denn Fernsehen, so die These der Medienwissenschaftler Oliver Fahle und Lorenz Engell, produziert aus der spezifischen Organisations- und Operationsweise des Mediums an sich schon eine grundeigene Verschaltung des Denkens und der Erfahrung. Mit anderen Worten: das Fernsehen ist im Kern bereits eine eigene Denk- und Erfahrungsform.

Denkt man diese These von ihrem materialistischen Ende, so gelangt man durchaus zu der Einsicht, dass der technische Aspekt hier nicht ausgeklammert, sondern gerade fokussiert wird. Begreift man etwa mit Freud den Menschen als „Prothesengott“ und das Fernsehen als sein maschinelles Funktionsglied, so lässt sich die allgemeine Technifizierung des Denkens, die ja vor allem eine mediale ist, als ein Mittel der alltäglichen Selbst-Hervorbringung nicht leugnen.

Einleitend spürt Richard Dienst daher zunächst den „Seinsgefahren“ nach, die die televisuelle Welt mit sich bringt und stellt im Anschluss an Heidegger die „onto-technologische Frage“. Das ist insofern interessant, als Dienst die anfängliche Entwicklung des Fernsehens aus dem Denken Heideggers herausschält und damit auch einen der ersten philosophischen Diskurse dieser Art freilegt. Der ist nach wie vor hochaktuell, weil hier Fernsehen quasi ontologisch, in seiner Beziehung zum Menschen als eine bloße Vorrichtung, als ein Schreib-, Vorstellungs- und Mitteilungszeug verstanden wird. Wie Dienst aufzeigt, hat dieses sogenannte Ge-Stell den „Blutsturz der Repräsentation“, mithin eines ganzen, historischen Bildsystems zur Folge.

Nun ist die Kritk an der Unterwerfung der Wahrnehmung durch die technische Apparatur nicht gerade neu. Einigermaßen verstörend ist dagegen die gedankliche Konsequenz aus der global existierenden „Herrschaft des Visuellen“: im betäubend gleichförmigen Bilderstrom suggeriert das Fernsehen die Aufhebung der (realen) Entfernung zugunsten der Verfügbarkeit der Welt. Mit zugegeben großem Gestus stellt die onto-technologische Perspektive daher die Macht einer technischen Errungenschaft in Frage, die sich „vom Sein gelöst hat“, um sich gleichzeitig allem Bestehenden aufzuzwingen.

Konkrete Auswirkungen des Fernsehbetriebs, die Konsequenzen aus dem unaufhörlichen Brei des TV-Angebots untersucht hingegen Mary Ann Doane. Am Beispiel medialer Katastrophenzersetzung diagnostiziert sie eine ausgemachte Krise der Information, die letztlich zu einer Vernichtung des Gedächtnisses und zur Ununterscheidbarkeit von Geschichte führt. So wird die Krise als Scheitelpunkt medialer Erregung zum Dauerzustand des normalen Fernsehens.

Nicht weniger kulturkritisch schreibt Heidemarie Schumacher von einem anderen fernsehbedingten Phänomen: der Hysterie. Eben jene äußert sich besonders augenfällig in den seriellen Formaten der Hyperrealität, im sogenannten Affektfernsehen der täglichen Talk-, Flirt- und Gerichtsshows. Typisch für solche Sendungen ist die emotionale Künstlichkeit der Agierenden, deren Tränen und Wutausbrüche erst durch den Rahmen der TV-Inszenierung „echt“ werden. Im Prinzip findet damit eine Abkoppelung der Bildzeichen von ihren Referenten (den im Bild Handelnden) statt, die ungebremst zu hysterischen Fernsehexistenzen degenerieren. Äußerst massenwirksam hat sich derart ein Verhaltenskodex ins Fernsehen eingeschlichen, den Schumacher „gespielte Symptomatologie“ nennt. Offensichtlich wird also der Auflösung der Realität auch im ganz alltäglichen Programmschema der Boden bereitet und es wäre zu fragen, in wieweit sich fernsehgerechte Scheinwirklichkeit, dass so tun als ob, überhaupt von den Phantasmen interaktiver Computerspiele unterscheidet.

Ähnlich anregend bietet „Philosophie des Fernsehens“ eine ausgesprochene Vielzahl an Themen und Zugängen, die eine fundierte Medienanalyse liefern. Zusammengehalten wird das Ganze durch die inhaltliche Struktur des Bandes, der die wichtigsten Erscheinungsformen des Fernsehens thematisch abbildet. Dazu sind die Beiträge in die drei Kategorien Bild/Ereignis/Serie aufgeteilt. Jede gleichsam eine phänomenologische Teilverfasstheit des Mediums repräsentierend.

So werden die Herausgeber ihrem Anspruch einen ungewöhnlichen Zugang zum Thema Fernsehen plausibel gemacht zu haben zum einen zwar konzeptionell gerecht. Ganz nebenbei: die Methode, Fernsehen als eigenständige Denkform zu betrachten, hat keineswegs nur die notwendige akademische Nobilitierung des Überall-Phänomens Glotze verdient. Vielmehr werden durch solche medienphilosophische Grundlagenarbeit interessante Anschlussmöglichkeiten von anderer Seite, etwa der Soziologie ermöglicht. Nichtsdestotrotz bleibt aber das Versprechen der Editoren, Fernsehen aus sich selbst heraus zu erklären bzw. eine „Selbsterkenntnis des Mediums“ herbeizuführen weitgehend unerfüllt. Das ist kein Nachteil. Beinhaltet dieser Anspruch doch eine bedenkliche Unschärfeautomatik: den Verlust der nötigen Ferne zum Objekt und die Gefahr des Verschwindens in der medialen Simulationsmaschine. Nicht umsonst empfand Heidegger den Fernseher als Atombombe im Wohnzimmer.

Oliver Fahle/Lorenz Engell (Hrsgg.)
Philosophie des Fernsehens
München: Fink 2006
203 Seiten (Paperback)
29,90 Euro

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Christoph Cöln

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