Mit der Achterbahn durchs Kinderzimmer

Dass es ihnen zwischen Teddybären und Vereinsbettwäsche auf Dauer zu langweilig werden würde, war abzusehen. Ob Hulk, Iron Man oder Batman, die Superhelden von damals dominieren die globale Kinolandschaft von heute: Sie retten mit sagenhaften Einspielergebnissen die Welt der großen Filmstudios. Nebenbei bedienen sie die ewig aktuelle Sehnsucht des Publikums nach Spektakel, nach Feuerwerk und großem Zirkus.

Hoch im Kurs stehen deshalb die schillernden, gut gezeichneten Figuren. Und gut heißt derzeit: überzeichnet, aufgedonnert. Wie die mutierenden Kraftprotze der Marvel- und DC-Comics. Jene populären, flammbunten Bildnovellen aus Jugendtagen, die das Effektkino so gerne als Vorlage für marktgerechte Adaptionen nutzt. Aber Vorsicht! Die Meterware aus dem Sprechblasenkosmos automatisch mit einem Defizit an cineastischem Tiefgang gleichzusetzen, wäre falsch. Gerade die von Frank Millers Graphic Novels inspirierte Batman-Reihe beweist das Gegenteil. Mit Batman als schwierigem, abgründigen Charakter. Miller zeichnet einen erwachsenen Superhero ohne Superkräfte – dafür mit vielen Schattenseiten. Es ist diese psychologische Abgründigkeit, die auch Christopher Nolan stets an seinen Figuren reizt. Er hält Batman für den realistischsten aller Comichelden, weshalb er ihn in Batman Begins, seinem ersten Fledermaus-Werk, auch gleich mal mit einer ordentlichen Biografie ausgestattet hat. Das war weniger Action- als Erzählkino.

Ganz anders dagegen The Dark Knight. Hier ist alles pompös, überdreht und mehrfach gespiegelt. Nicht die Berufung vom Milliardärssohn zum Weltretter, nicht die Entstehungsgeschichte des Mythos´ Batman ist das Thema, sondern die Bürde der Doppelexistenz. Es geht um die schwierige Auseinandersetzung Bruce Waynes mit seinem Alter ego. Batman ist in Gotham City zur Kultfigur geworden, seine Prominenz dröhnt inzwischen aus allen Kanälen und bringt stümperhafte Nachahmer in selbstgenähten Fledermaus-Kostümen hervor. So treffen echte Kugeln auf falsche Helden. Batman braucht einen Plan: Er will den erfolgreichen Staatsanwalt Harvey Dent zur neuen Ikone von Recht und Ordnung aufbauen und sich selbst aus der Schusslinie nehmen. Das Vorhaben geht jedoch schief, weil der smarte Dent plötzlich seine dunkle Seite entdeckt. Durch einen Unfall schrecklich entstellt beginnt er als „Two-Face“ einen Rachefeldzug, bei dem er, eben noch knallharter Law-und-Order-Mann, nun per Münzwurf über Leben und Tod seiner Opfer richtet. Zugegeben, die Story ist nicht gerade überwältigend, aber sie dient dem puren Comicvergnügen.

Überhaupt kommt The Dark Knight mit einer Bildsprache daher, deren Symbolik überdeutlich, manchmal überreizt wirkt. Man muss sich den Film als ungeheures Effektgewitter vorstellen, als eine Art Sprengmeister-Revue, unterbrochen nur von wenigen erzählerischen Atempausen. In gewisser Weise ist diese in-your-face-Ästhetik folgerichtig, weil sie zur Extremlage der Figuren passt. Rein formal vermittelt sich so die Janusköpfigkeit des Helden. Die Enthüllung des zweiten Gesichts durch Aufsetzen oder Abreißen der Maske. Es ist genau dieser Moment der Grenzüberschreitung, der Dent und Batman gemeinsam ist: die Wandlung vom weißen zum dunklen Ritter.

Von solchen Problemen offensichtlich unberührt präsentiert sich der Joker: Größenwahnsinnig und keineswegs ambivalent. Sein Mantra lautet: Chaos. Erlaubt ist was Spaß macht, und Spaß machen ihm vor allem Bomben und alles, was sonst noch umbringt. Er tritt als eine Art Super-Terrorist auf, dessen Anarchokrieg gegen alles und jeden in einer an Zynismus nicht zu überbietenden Massenvernichtungssituation gipfelt. Doch so widerwärtig die Figur auch angelegt ist, Heath Ledger macht sie in einer fantastischen Performance zum eigentlichen Ereignis dieses Films. Er weiß, dass das sardonische Joker-Grinsen allein noch keinen Bösewicht macht. Mit enormer körperlicher Intensität bespielt Ledger deshalb die ganze Palette, vom tieftraurigen Clown bis zum sadistischen Derwisch – und meist alles auf einmal. Gerade noch düster-phlegmatisch, im nächsten Moment schon ein Knallfrosch, der mordend umherspringt. Ein Jongleur des Todes, der immer mit zwei, drei Handgranaten zugleich hantiert.

Bei allem tricktechnischem Budenzauber, der dieses fiese Spiel umgibt, verliert auch der Joker sein Gesicht. Von den Anstrengungen seines Zerstörungswerks gezeichnet, zerfließt es zu einer grotesken Fratze aus Schweiß und Mascara. Je teuflischer seine Taten, desto mehr scheint er sich aufzulösen. Ein bedrückender Effekt, denn hinter der Figur kommt der Schauspieler Heath Ledger in seiner letzten Rolle zum Vorschein- als ob die düstere Realität schon in den Film hineinragen würde. Ebenso verstörend wie preisverdächtig.

Beinahe zwangsläufig haben es neben dem Joker die anderen Rollen schwer. Eine gute Stunde lang darf Aaron Eckhardt dem Star-Anwalt Harvey Dent viel Profil geben. Dann muss er sich mit einer Maske herumschlagen, die allenfalls Tim Burton für ein Remake von Terminator gefallen hätte. Andere, wie die oscardekorierten Morgan Freeman (als Lucius Fox) und Michael Caine (als Master Alfred), verdammt das Drehbuch dazu, einen Kalauer nach dem anderen abzufeuern oder mit der Präsentation von technischem Schnickschnack à la James Bond zu glänzen. Hinzu kommt, dass die vielschichtige Psychologie des Bruce-Wayne-Charakters, wie sie noch in Batman Begins entfaltet wurde, weit gehend verflacht ist. Nur einmal erlaubt uns der Film einen Blick in die zerknirschte Seele Waynes (Christian Bale). Wie er hoch oben in seinem Wolkenkratzer sitzt – das Penthouse genauso kalt und leer geräumt wie sein Inneres – und apathisch über die Skyline Gothams schaut. Erschöpft, einsam und zum Retten verdammt. Ein Superheld mit Burnout-Syndrom.

Zeit zum Ausspannen bleibt aber keine. Schließlich dreht sich die Action-Achterbahn, auf die Nolan seinen Protagonisten schickt, noch einige Runden weiter. Und der Zuschauer muss mit. Bis zum endgültigen Finale hetzt der Film von einem Spannungsgipfel zum nächsten, immer an der Grenze zum affektiven Overkill. Die eingesetzte IMAX-Technik, die ein beeindruckendes szenisches Raumgefühl vermittelt, sowie die opulenten Action-Sequenzen tun dazu ihr Übriges. Wenn man dann nach aufreibenden 153 Minuten wieder auf die Straße gespült wird, „leidet man unter einem post-filmischen Stress-Syndrom“, wie ein amerikanischer Kritiker richtig feststellte. Dann sehnt man sich wieder zurück ins Kinderzimmer, wo man einfach so ein bisschen blättern konnte und „Kawumm“, „Krach“ und „Boing“ einen beruhigenden Klang hatten.

The Dark Knight
(USA 2008)
Regie: Christopher Nolan; Drehbuch: Christopher Nolan, Jonathan Nolan; Kamera: Wally Pfister; Schnitt: Lee Smith, Musik: Hans Zimmer, James Newton Howard
Darsteller: Christian Bale, Heath Ledger, Aaron Eckhardt, Gary Oldman, Maggy Gyllenhaal, Michael Caine, Morgan Freeman u.a.
Länge: 153 Min
Verleih: Warner Bros.
Start: 21. August 2008

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