Ein paar Augenblicke zu viel

Mit in die Jahre gekommenen Regisseuren ist das so eine Sache. Meist entwickelt ihr Werk mit fortschreitendem Alter eine ganz neue Dimension. Dabei gibt es zumeist zwei Kategorien, die einen, die ihren Stil perfektionieren, ihm jenen perfekten Schliff verpassen, das man darin etwas Gravitätisches spürt. Die anderen, die sich einen lange gehegten Traum erfüllen, noch mal einen Salto wagen. Mit Tödliche Entscheidung Sidney zählt Lumet nun wohl zu Letzteren.
todliche-entscheidung-postet.jpgMan kann den Film zwar getrost als Alterswerk sehen, nur das daran alles so frisch wirkt, als hätte es ein Newcomer gemacht. Der Film hat nichts von dem reduzierten, psychologischen Gestus, für den Lumet sonst steht. Er setzt auf eine genauso verzwackte, wie ausgetüftelte Erzähldramaturgie und eine Geschichte, die mit ihrer brutalen Unausweichlichkeit beeindruckt. Erzählt wird der Überfall auf ein Juweliergeschäft, den zwei Brüder begehen, und der schließlich in einem Alptraum endet. Andy, der ältere, ein zweitklassiger Immobilienmakler, plant diesen scheinbar perfekten Coup, bei dem alle nur gewinnen können. Der Juwelier ist ihm bestens bekannt und die Beute gut versichert. Keine Gewalt, keine Spuren, kein Schaden. Ein Kinderspiel im wahrsten Sinne, denn das Geschäft gehört den Eltern. Natürlich geht die Sache gründlich schief und was folgt, ist das Protokoll einer Katastrophe.

Andy und Hank sind die tragischen Figuren eines Familiendramas, in dessen Mittelpunkt eigentlich der ungerechte Vater steht. Hank ist Papas Liebling, ein verwöhnter Looser, der es zu nichts bringt und nicht mal den Unterhalt für seine Tochter zahlen kann. Andy dagegen gibt den zynischen Macher, der sich hasst, weil der Vater ihn nie liebte. Als er den Vater deswegen zur Rede stellt, entgegnet der kühl, der Erstgeborene habe es eben immer schwerer. Innerlich am Ende, muss Andy sich seine Souveränität mühsam ankoksen. Zwar hat er den Plan für den Überfall, Hank aber soll die Drecksarbeit erledigen. Der will weder mitmachen noch erneut als Versager dastehen – also macht er mit. Jeder für sich eigentlich eine harmlose Substanz, ergeben die Brüder zusammen ein explosives Gemisch, das die ganze Familie in eine Tragödie stürzt.

In einem bleibt sich Lumet treu: Er ist nach wie vor der Moralist mit dem Faible für die Abgründe der Zukurzgekommenen und manchmal sind seine Protagonisten dabei von learscher Zerrissenheit. Wenn sich ihre ganze Existenz auf den einen Moment der Entscheidung reduziert und das ganze Leben nur von ein paar wenigen Augenblicken abhängt. Handeln ist bei Lumet immer eine Schicksalsfrage und bleibt für seine Figuren nie ohne Konsequenzen, er ist der große Existenzialist mit dem Gespür für die Qualen des Unvorhersehbaren und der Angst vor der eigenen Schwäche. Darum haben seine Filme häufig etwas kammerspielartiges, etwas von jener aristotelischen Geschlossenheit, die die Spannung auf ein kurzes Zucken, eine winzige Geste komprimiert. Ständig tickt die Uhr diesem einen Moment entgegen.

Dazu passt, dass Ethan Hawke Hanks panisches Versagen spürbar macht und Philip Seymour Hoffman mit seinem grandiosen Spiel jede Leinwand erschüttert. Seine Genialität liegt in einer mephistophelischen Präsenz, die alle Nuancen umfasst, von zerbrechlicher Suggestion bis zu erdrückendem Furor. Leider hängt der ganze Film an Hoffmann, wie die Kanzel am Ballon, denn Lumet scheint weder dem Plot noch seinem exzellenten Ensemble wirklich zu vertrauen, anders ist die Erzählweise, mit ihren zahlreichen Wiederholungen, die selten einen Mehrwert haben, kaum zu erklären. Ebenso willkürlich sind die gescratchten Zwischenschnitte, die als popästhetischer Neochic durchgehen, der menschlichen Tragik jedoch die Schärfe nehmen. Am Ende wirkt die wirklich fesselnde Tour de force der beiden Brüder mit viel zu viel erzähltechnischem Geknatter überfrachtet.

Was bleibt ist die Erkenntnis, dass der Tiefgang einer Geschichte, die Freilegung ihrer verborgenen Facetten, nicht unbedingt durch die Komplexität des Erzählgestus befördert wird. Schließlich kann die Verwendung neuer Formen ohne sinnhafte Funktion für die Fabel auch nach hinten losgehen. Manchmal ist es vielleicht besser von einem Salto nur gut zu erzählen. Springen können ihn ja dann die anderen.

Tödliche Entscheidung
(Before the devil knows you´re dead, USA, 2008)
Regie: Sidney Lumet; Buch: Kelly Masterson; Kamera: Ron Fortunato; Schnitt: Tom Swartwout; Musik: Carter Burwell
Darsteller: Philip Seymour Hoffman, Ethan Hawke, Albert Finney, Marisa Tomei u. a.
Länge: 117 Minuten

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