Eine Bombe. Auf den Rücken geschnallt und direkt ins Zentrum gebracht – um der Erleuchtung Willen. Das klingt nach einem Selbstmordattentat und genau darum geht es in Danny Boyles spektalurärem Film Sunshine auch. Nur, dass der Anschlag nicht in den Widerstandsregionen des Weltinnenraums stattfindet, sondern tief im Orbit. Erzählt wird von einem gigantischen Angriff auf die Sonne. Acht Astronauten befinden sich auf dem Weg zu unserem planetarischen Zentralgestirn, um dort einen atomaren Sprengkörper von ungeheurer Zerstörungskraft abzusetzen. Ziel der Aktion ist ein kühner Schöpfungsakt, die Erzeugung einer solaren Supernova. Aus der altersschwachen, kurz vor dem Verglühen stehenden Sonne, soll ein neuer Luxstern geboren und so die Erde vor dem Untergang im ewigen Nachtdunkel bewahrt werden. Und: die Uhr tickt, denn die Mission ist der letzte mögliche Versuch.
Mit reichlich Endzeitfreude und einer Portion Öko-Fatalismus beschwört Boyle das düstere Ableben unserer Galaxie als eine Art SuperGAU im Bereich Klimawandel. Zugegeben, eine Nummer kleiner hat es der Film nicht, und doch trägt diese Science-Fiction Züge einer hochaktuellen Utopie. Ihres kulturpessimistischen Gestus wegen, der auf die geosphärische Entwurzelung des Menschen, auf die Angst vor der Ur-Katastrophe, anspielt. Dabei spielt Sunshine mit der gleichen archaischen Symbolik, die schon Jean-Jaques Annauds Menschwerdungsdrama Am Anfang war das Feuer auszeichnet. Als futuristischer Gegenpol jener urzeitlichen Energiekrise schildert er eine stellare Götterdämmerung, erzählt vom verzweifelten Anrennen gegen die Zeit, vom Kampf wider die Dunkelheit. Eine Geschichte, wie Boyle sie mag. Mit schrägen Typen voller Zweifel und Lebensdurst. Hasardeure eben, melancholische Glücksritter von denen es bereits in Trainspotting wimmelt, stets auf der Suche nach dem Abenteuer – und sei es nur der nächste Schuss.
An Bord der Ikarus II wird die Sonne zur Droge. In rotgoldenen Überdosen konsumiert die Crew ihre Strahlung. „Licht hüllt Dich ein, es wird ein Teil von Dir“ schwärmt Sal, der Bordpsychiater. Licht ist Lebenselixier; der Blick sein gieriger Schlund. Auch das Raumschiff selbst hat ein Auge, in Gestalt eines leinwandgroßen Panoramafensters erlaubt es der Besatzung einen regelrechten Seh-Kult – wie in Platons Höhle. Nur, dass sie direkt ins Feuer schauen. Dazu schwelgen die Bilder in derart flammender Opulenz, sirren die Farben als spektrales Flashgewitter durch den Welt- und Kino-Raum, dass es eine wunderbare Spur von Kubricks Odyssee im Weltraum ist.
Allerdings verebbt das visuelle Effektfeuerwerk ein wenig in den dramaturgischen Komplikationen des Genrekinos, das Boyle munter durchschüttelt und mit einem bunten Reigen an Horrorelementen kreuzt. Passend dazu schlägt auch das Drehbuch die ein oder andere Kapriole. Klar, seit Nietzsche entstehen Sterne nurmehr aus dem Chaos und da es davon auch an Bord eine ganze Menge gibt, entscheiden sich die Astronauten um den Kernphysiker Cappa (von Cilian Murphy als unterkühlte Retter-Ikone gespielt) dafür, den geplanten Kurs zu verlasssen, um das vor Jahren verschollene Schwesterschiff Ikarus I anzulaufen.
Das jedoch entpuppt sich als schwerwiegender Fehler, der Opfer fordern wird. Nur welche? Nach kurzem Zögern beschließt die Crew, unter dem Zwang der schwerwiegenden Mission, ihr schwächstes Mitglied umzubringen. An dieser Stelle stutzt man als Zuschauer schon nicht schlecht ob der mit heißer Nadel gestrickten Märtyrerethik. Obgleich die Alternative nur das übliche Sandalenheldentum wäre, wo jeder immer gleich der Erste sein will, sich mit lüsternem Pathos in den Tod zu stürzen. Darüber, welches Klischee es denn sein darf, erfolgt dann eine Scheinabstimmung im Dienst der guten Sache. Der frühe Brecht hätte sicher seine helle Freude an den atomaren Parteigängern gehabt. Sicher, die Sonne muss leuchten, aber Bomben, Götter und jede Menge missionarisches Kalkül. War da nicht was?
Die etwas eigenwillige Story hält aber auch noch das „echte“, das fremdartige Böse parat. Nicht das übliche Monster aus der Tiefe. Dafür ein phantasmatisches Mumienwesen mit dem Charme einer defekten Festplatte. Ein splatterhafter Lemur, besessen von dem spröden Wunsch, der letzte Mensch unter Gottes Sonne zu sein. Selbstverständlich wird er zur größten Hürde auf dem Weg zur Weltrettung. Und so kommt es schließlich noch zum großen Armageddon um die Hand an der Bombe. Denn der Letzte macht immer das Licht aus.
Sunshine
(Sunshine, Großbritannien, 2007)
Regie: Danny Boyle, Drehbuch: Alex Garland, Kamera: Alwin H. Kuchler, Musik: Underworld, Schnitt: Chris Gill
Darsteller: Cilian Murphy, Chris Evans, Michelle Yeoh, Cliff Curtis, Troy Garity, Benedict Wong u. a.
Länge: 107 min