Wenn der Engel schweigt, schlägt die Stunde Null. Irgendwie aber sind wir immer eingehüllt in seine Rede. Die allerdings wird erst vernehmbar im Prozess des Übersetzens aus einer „Engels- in eine Menschensprache“ (J. G. Hamann). Eben diesem heiklen Destillationsvorgang widmet sich die Zeitschrift sprachgebunden in ihrer jüngsten Ausgabe.
Autoren und andere Künstler nicht nur ins Gespräch zu bringen, sondern einander Ins-Gespräch-kommen-lassen, das ist das erklärte Ziel der Herausgeber. Übersetzen gehört dabei ohnehin zum Anspruch dieser hochwertig aufgemachten Publikation. Als Zeitschrift für Text+Bild ist sprachgebunden auf dem besten Weg sich als feste Größe im Dialog zwischen den Medien und Kulturen zu etablieren. Immer mit einem feinen Gespür für interessante Neuentdeckungen ausgestattet, ermuntern die Macher zur ästhetischen Grenzüberschreitung. Ob nun innerlich, expressiv oder eben geografisch.
Zwei, die diesen artistischen Paarlauf zusammen unternehmen sind der in Berlin lebende Dichter Hendrik Jackson und der in Deutschland bislang wenig bekannte Russe Aleksej Parschtschikow. Sie färben Nahtstellen, versuchen in ihrer Lyrik sprachliche Zwischenräume sichtbar zu machen. Wenn es in einem von Aleksej
Parschtschikows Versen heißt: „sehe die Umlaufbahn der Dinge, vorsichtig verkettet“, drückt dies ganz gut das Geflecht aus Annäherungen, Übertragungen und Verwandlungen aus, die im Zuge der wechselseitigen Sprachverschickung entstehen.
Neben dem Anbahnen kultureller Gedanken- und Befindlichkeitsemulsionen, das sei betont, geht es dem Band vor allem um eine Enthierarchisierung des Übersetzens. Weg vom sturen Eklektizismus, hin zur gleich-gültigen, verbindenden Auseinandersetzung mit dem fremden Ich. Erst in der Gestalt des Spalt/-Worts erscheint der Über-setzungsprozess nämlich als sprachträchtiges Insekt, dem in anagrammatischer Verkehrung der Inzest vorausgeht. Im poetologischen Akt des Über-Setzens zwischen den Gestaden werden mystische Taue ausgeworfen, in der Bemühung das gemeinsam Eigentliche an Land zu ziehen.
Dass darin immer schon ein Scheitern liegen kann, das weiß auch Ron Winkler. Seine Übersetzungsmühen der amerikanischen Lyrikerin Sarah Manguso kennzeichnet er als die lustvolle Wahl zwischen der „meisten Richtigkeit“ und dem „auch Richtigen“ – fast wie im Jazz, möchte man hinzufügen. Wenn Dichten Harmonie ist, dann ist Übersetzen reiner Ausdruck. Die Zeitschrift schneidet beides gegeneinander: Eigene Werke und die Übersetzungen anderer Autoren. So klingen die verschiedenen Tönungen, Rhythmen und Stimmlagen, ob nun Lyrik oder Prosa, immer im Echo des fremden Idioms nach.
Nicht nur zwischen Dichtern und literarischen Gattungen, auch zwischen den Medien übersetzt sprachgebunden. Auf eine nostalgisch naive Winnetou-Fotoserie Stefka Ammons etwa, antwortet Daniela Dröscher mit einer famosen Abhandlung über Verwandlungszwang und –freiheit des Künstlers im Griff der kapitalistischen Wunschmaschine. Ihr Plädoyer für eine Profanierung der Kunst gipfelt in der Forderung nach der Wiederaneignung der Bilder. „Reclaim the pictures“, meint die Befreiung der Bilder, Lyrik, ja, der Kunstdinge schlechthin, von den zum Kitsch verkommenen Oberflächen, von den flüchtigen Emotionen. Die Voraussetzung für solches Gelingen ist der mutige Gebrauch der Dinge, ihre aneignende Umformung ins offene Andere.
Das es dabei zu Wiederholungen kommen kann ist unvermeidlich. Was aber, wenn gerade die Wiederholung das Neue ist? Mit der Figur des Dokumentarfilmers James Benning zitiert der Düsseldorfer Künstler Peter Rusam ein Motiv, das selbst stets auf Motivsuche ist und sich dabei immer wieder selbst zitiert. Rusam verfremdet Standbilder Bennings indem er sie wie Palimpseste übermalt, ihnen andere Konturen gibt. Er setzt sie somit dem fremden Blick des Pinselstrichs aus und schließt die unterschiedlichen Medien kurz. Auch das führt zu faszinierenden Verwandlungen.
Dann folgt, etwas überraschend, eine Philippika auf ganz anderem Terrain. Denn mit der kritischen Ausleuchtung des deutschen Theaterraums liefert das Autorenduo Viola Eckel und Axel von Ernst, beide selbst Theatermacher, eine provokante Übersetzung des geschlossenen Bühnenmilieus. Aus dem dramaturgischen Innenraum heraus nehmen sie den Theaterbetrieb, seine Produzenten und Produktionen, aber auch sein Publikum aufs Korn („Theater ist ausschließlich Feuilletonrezeption“). Interessant ist zudem, dass sich der Text an die generative Thesenstrukur von Wittgensteins Tractatus anlehnt. Womit die Autoren einen formalen Gestus finden, der ihre Argumentation bestens transportiert.
Nicht zuletzt wartet der Band mit Jean Baudrillards zuvor nie ins Deutsche übertragenem Gedichtzyklus „l´ange du stuc“ mit einer kleinen publizistischen Sensation auf. Noch kurz vor seinem Tod im März dieses Jahres ermöglichte Baudrillard, Vordenker der Postmoderne und studierter Germanist, die Herausgabe der nun vorliegenden Übersetzung. Gott sei Dank muss man sagen, denn die Engel sprechen und so bleibt einmal mehr Staunen über eine wunderbare Essenz aus Zwischenwesen.
(Hrsg.) Jan Valk/Jonas Reuber
sprachgebunden – Zeitschrift für Text+Bild
Ausgabe 3, 2007, Edition Chiméra, BerlinMit Beiträgen von Jean Baudrillard, Ron Winkler, Hendrik Jackson, Aleksej Parschtschikow, Daniela Dröscher, Uljana Wolf u. a.
Preis: 9 Euro