Wenn Frisuren töten können

Ein bisschen alt sind sie inzwischen, die Geschichten aus dem Wilden Westen. Alt und schon oft erzählt. Irgendwann ist das dem Kino zu langweilig geworden und so erschuf man ein neues Genre, den Neo-Western. Doch auch der Neo-Western hat sich meist nur dem Aufwärmen des Alten verschrieben und darüber ist ein wenig das Neue am Westen verloren gegangen, der vor allem immer noch eines ist: wild.

Nachzuschauen ist das in den Filmen von Joel und Ethan Coen, die mit ihrem Werk schon viel herum gekommen sind, ob in New York, im tief verschneiten Minnessota oder in Los Angeles, und die jetzt eben Station in Texas machen. Genauer gesagt im unwirtlichen Grenzgebiet zwischen Mojave-Wüste und mexikanischer Sierra. Dort spielen vorzugsweise auch die Erzählungen von Cormack McCarthy, den die New York Times einmal als „best unknown novelist in America“ bezeichnete. Seinen Roman No Country for old Men adaptieren die Coen-Brüder nun für ihren Film und übernehmen gleich auch McCarthys karge Sprache und jede Menge rohe Gewalt. McCarthy, der mit Vorliebe die Grenzfälle der menschlichen Natur seziert und der als Loner selbst Jahre lang in Absteigen und Wohnwagen lebte, konfrontiert seine Helden meist mit einem: dem Tod.

Ums Sterben geht es denn vornehmlich auch in No Country for old men, dessen Bilder, obwohl von der texanischen Sonne gebleicht, ungleich düsterer und blutiger ausfallen, als man es von den Machern gewohnt ist. Der Plot ist dabei im Grunde so unspektakulär wie das Märchen vom bösen Wolf – und mindestens genauso stringent erzählt. Eine Getaway-Fabel, spannend und suggestiv, die von einem abgebrannten Pärchen, gestohlenem Drogengeld und einem besonders irrem Killer namens Anton Chigurh handelt. Der sieht so verstörend aus wie er heißt und wird von Javier Bardem derart beeindruckend verkörpert, dass man sich ab sofort gar keine andere Rolle mehr für diesen Schauspieler denken kann. Chigurh ist nicht einfach ein handelsüblicher Psychopath, er ist das Mensch gewordene Extrem, ein Killer, der ohne Ziel tötet und uns irgendwann sogar Glauben macht, das dass seine Richtigkeit haben muss.

Die Geschichte spielt Anfang der 80er Jahre und gleicht einem bösen Traum. Es ist der Traum vom mythischen Land, in dem die alten Männer sich längst nicht mehr zu Hause fühlen, einem Land, das nur noch auf der Leinwand fortlebt. Folgerichtig eröffnet die Anfangssequenz als Zitat der Cinemascope-Aufnahme aus William Wylers Western-Klassiker The Big Country (Weites Land). Ein langer Schwenk durch die menschenleere Prärie, unterbrochen nur vom Cowboy als furchtlosem Pionier auf der Suche. In eben jener Wildnis wird Moss (Josh Brolin), der abgehalfterte Mechaniker, zum Zeugen eines Massakers mit fünf toten Mexikanern und einem Haufen schmutzigen Geld. Einer der Männer lebt noch, doch Moss zieht es vor, sich mit der Beute davon zu machen. Da ihn bald aber sein schlechtes Gewissen plagt, kehrt er nochmal an den Tatort zurück.

Natürlich ist das gar keine gute Idee und so entwickelt sich eine unbarmherzige Hetzjagd, die, entgegen den üblichen Genregesetzen des Thrillers, nicht den Gejagten, sondern das Werk des Jägers porträtiert. Der durchkreuzt viperngleich die Landschaft und hinterlässt auf der Suche nach Moss eine Menge Leichen. Besonderen Gefallen findet Chigurh dabei an einem Bolzenschussgerät, dass ihm nicht nur zum Öffnen von Türen dient. Den erbarmungslosen Blick von einer Folkrockfrisur umrahmt, auf die vermutlich sogar Neil Young neidisch wäre, wirkt er wie ein grotesker Erzengel, der vorzugsweise per Münzwurf über Leben und Tod entscheidet. „Kopf oder Zahl?“ fragt er einen ahnungslosen Tankwart, der erstmal wissen will, um was der Fremde eigentlich mit ihm spielen möchte. „Um Alles“ entgegnet der Killer trocken.

Trotz, oder gerade wegen seiner todbringenden Willkür, repräsentiert Chigurh das archaische Prinzip des Wilden Westens, das einzige, das bis heute gültig ist: Nihilismus. „Wenn die Regel, die Du befolgst, Dich hierher gebracht hat“ doziert er im Angesicht eines seiner Opfer, „was bedeutet das dann?“ Ein rhetorisches Schweigen folgt, doch der Betroffene weiß es nur zu genau. Man staunt ungläubig, wie beklemmend und lüstern diese Schicksalsmomente in Szene gesetzt sind – reines Thrillergift. Und wenn Chigurh die Unglücklichen lang genug mit seinem stumpfen Blick traktiert hat, seine Augen zum Abgrund werden, dämmert es langsam, in wessen Auftrag er eigentlich unterwegs ist: es ist der Tod selbst.

Der alternde Sheriff Bell (Tommy Lee Jones) schaut nicht in diesen Abgrund. Aus sicherer Distanz und mit gegerbter Würde beobachtet er das ganze Treiben. Wie schon in The Big Lebowski wird der Gesetzeshüter hier zur Erzählerfigur, denn davon Erzählen heißt eben immer auch: Überleben. Allerdings amüsiert den Erzähler die Lächerlichkeit der armen Sünder schon längst nicht mehr, ist doch die menschliche Komödie, die die Coens sonst so gerne feiern, mit No Country for Old Men endgültig zum schwarzhumorigen Drama geworden. Es gibt da mittendrin diese wunderbare Szene, wenn Chigurh sich in Moss´ Fernseher spiegelt. Nur die gespenstische Shilouette, mit dem riesigen Cowboy-Hut. Kurze Zeit später sitzt am selben Platz Sheriff Bell, ebenfalls in der toten Mattscheibe gespiegelt. Beide unterscheiden sich plötzlich nicht mehr von einander, ihre Schatten sind identisch, Gut und Böse sind es auch. Eine Art Geistertreffen nach Sendeschluss.

Der Schritt hin zum Western mit seinen hartgekochten Outlaw-Typen, ist nun insofern konsequent, als dort, an den Rändern des amerikanischen Traums, dort wo der verheißungsvolle Mythos vom Westen seinen Ursprung nimmt, der Puls der Zeit immer noch zuerst gefühlt werden kann. Wie in den Romanen Mc Carthys. „Träume“ erzählt der alte Sheriff am Ende seiner Frau, „sind nur für diejenigen interessant, die sie betreffen.“ Das sind meist Wenige und deshalb wird der Mythos des alten Westens von den Coens zu Ende geträumt. Es ist kein guter Traum. Aber einer, der noch lange im Gedächtnis bleibt.

No Country for Old Men
(USA, 2007)
Regie, Drehbuch und Produktion: Joel&Ethan Coen
Kamera: Roger Deakins, Schnitt: Roderick James, Musik: Carter Burwell, Besetzung: Tommy Lee Jones, Javier Bardem, Josh Brolin, Woody Harrelson, Kelly MacDonald u. a.
Länge: 122 min
Verleih: Universal

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