Momente von Memento

Nicht-lineare Erzählungen gehören mittlerweile zum Standardrepertoir des Mainstream-Kinos. Die Zuschauer haben sich mit Filmen wie „Groundhog Day“, „Memento“ oder „Lost Highway“ an den Aufbruch der erzählten Zeit gewöhnt, so dass dieses Verfahren nicht mehr nur dazu genutzt werden kann, die „ästhetische Brüchigkeit“ von Erzählen in der Moderne zu charakterisieren, sondern es für bestimmte Narrationen zu funktionalisieren. Vor allem der fantastische Film bedient sich nicht-linearer Erzählweisen, um seine Protagonisten selbst in Zeitschleifen gefangen zu nehmen, sie durch die Zeit (via Jump-Cut und Ellipse) zu transportieren und daraus möglichst geläutert zu entlassen. Mit Mennan Yapos „Die Vorahnung“ ist diese Erzählweise nun scheinbar vollends in Hollywood angekommen, könnte man sagen, denn sowohl die Darsteller als auch der Sujet des Films haben bislang stets nach linearer Entwicklung verlangt.

dievorahnung_bluray_2d-1.jpgEs geht nämlich um eine jäh tragisch endende Liebesgeschichte: Jim (Julian McMahon) fährt eines Morgens zu einem Kongress und lässt seine Frau Linda (Sandra Bullock) sowie die beiden Töchter zurück. Am selben Vormittag klingelt die Polizei bei Linda und ein Beamter teilt ihr mit, ihr Mann habe einen tödlichen Autounfall gehabt. Wie in Trance holt Linda die Kinder von der Schule ab und versucht ihnen die Tragödie mitzuteilen. Am nächsten Morgen wacht sie auf und im Bett neben ihr liegt der durchaus lebendige Jim. Sie glaubt zunächst an einen Alptraum, versucht über den Tag hin zu vergessen, was sie „erlebt“ hat. Doch als sie am nächsten Morgen erwacht, ist bereits die Beerdigung Jims. Zeichen mehren sich, dass verschiedene Dinge geschehen sind, die mit dem Tod Jims zusammenhängen. Linda glaubt zunächst an eine Verschwörung, versucht den Leichnam Jims zu sehen und wird mit der Tatsache konfrontiert, dass er wirklich tot ist. Sie bekommt einen Nervenzusammenbruch, der Psychiater Dr. Norman Roth (Peter Storemare) taucht auf und interniert sie in ein Krankenhaus. Am nächsten Morgen erwacht Linda in ihrem Bett und Jim liegt neben ihr. Sie versteht nun langsam, dass sich der Zeitverlauf nicht mehr wie gewohnt verhält, dass sie einmal an Tagen nach Jims Tod, ein anderes mal an denen davor aufwacht und beginnt, ein Muster zu erkennen. Mehr und mehr muss sie feststellen, dass sich ihr Verhalten selbst auf den Verlauf der Ereignisse in Zukunft und Vergangenheit auswirkt. Als sie schließlich erfährt, dass Jim gar nicht zu einer Tagung, sondern zu einem romantischen Wochenende mit einer Arbeitskollegin aufbrechen wollte, nimmt „das Fatale“ seinen endgültigen Lauf.

dievorahnung_016-1.jpgDie Erzählung von „Die Vorahnung“ ist überaus clever konstruiert und montiert. Zeitweise erinnert der Aufbau an Christopher Nolans „Memento“, nur dass sich die Protagonistin hier voll bewusst ist, Opfer von Zeitsprüngen zu sein. Das macht eine Lektüre des Films sehr reizvoll, die den Versuch, bloß die Geschichte zu durchdringen, hinter sich lässt und zusammen mit der Linda-Figur auf eine Metaebene wechselt: Es entsteht eine Erzählung über eine Filmfigur, die feststellt, dass sie in einer Welt lebt, die den Regeln von Filmschnitt und den Konflikten von Erzählzeit und erzählter Zeit unterworfen ist. Ihr Leben ist ein Film, montiert von einem avantgardistischen Cutter. Sie strebt nach Linearität, findet jedoch Chaos vor. Sie ist die einzige, die dies bemerkt, weswegen bei allen anderen Figuren schnell der Verdacht entsteht, Linda sei wahnsinnig – ihnen fehlt schlicht die Metaperspektive. Den „Drehplan“, den Linda nach und nach auf ein großes Stück Papier zeichnet, versteckt sie sorgsam vor den Blicken der anderen. Sie könnten ihn nicht verstehen. In dem Maße, wie Linda die Oberhand über ihre Erzählung zurück gewinnt, begreift sie, dass Erzählen im Film immer teleologisch auf eine Climax, ein Ende, eine Auflösung hinzu läuft und dieser Lauf ganz wesentlich von dem beeinflusst wird, was die Protagonisten tun oder nicht tun. Der Film- wie der Lebenslauf, könnte man sagen, ist ein mehr oder weniger vorhersehbares Ergebnis von zielgerichteten Handlungen.

dievorahnung_018-1.jpg„Die Vorahnung“ wäre ein sehr reizvoller Film, ließe er solche Lektüren widerspruchsfrei zu. Das tut er aber leider nicht, denn es ist vor allem immer noch der Zwang zur standardisierten Dramaturgie, die Angst vor dem a-linearen, a-kausalen Denken und die insbesondere an die Schauspielerin Sandra Bullock gekoppelte Konvention des Hollywood-Melodrams, die eine derart avantgardistische Lektüre verunmöglichen. „Gib mir einen festen Punkt und ich hebe die Welt aus ihren Angeln“ lautet die Aufforderung des Archimedes, die Linda, ohne sie auszusprechen, beständig an ihre Geschichte und damit an unser hermeneutisches Lektüre-Vermögen richtet. Und ihre Bitte wird erhört: Sie bekommt vom Drehbuch sogar zwei Deutungsangebote, an denen sie ihre Geschichte „wieder festmachen“ kann. Die erste liegt in einer äußerst fragwürdigen und überaus antiquierten Darstellung von Psychiatrie. Dr. Norman Roth vertritt eine Medizin des 19. Jahrhunderts, die für Zwangstherapien, Drogenverabreichung, Lobotomie und Elektroschocks steht. Allzu gern würde Linda glauben, sie sei verrückt und sich in die „Obhut“ dieses Folter-Psychiaters begeben, aber es gibt zu viele widersprüchliche Indizien, die sie an ihrem Verstand nicht zweifeln lassen. Anders schon der zweite archimedische Punkt. Es ist – wie in so vielen fantastischen Filmen der letzten Zeit – der liebe Gott. Linda besucht einen Pfarrer um ihm von ihrer Misere zu berichten. Der tröstet sie mit der altbekannten Shakespeare-Weisheit von dem, was so alles zwischen Himmel und Erde sein kann. Und vor allem sei es ja Gott, der sich etwas dabei gedacht haben wird, als er Linda auf diese Weise prüfen ließ. Das erklärt gar nichts, tröstet aber offensichtlicht sowohl Linda als auch den vermuteten Zuschauer von „Die Vorahnung“. Das Schlussbild, das uns eine Linda zeigt, die „mehr“ ist, als sie zu Beginn des Films war, offenbart, worin dieser Trost und die ewig christliche Logik begründet sind. Er ist ein recht erbärmliches Ende für einen Film, der ganz etwas anderes hätte sein können.

Die Vorahnung
(Premonition, USA 2007)
Regie: Mennan Yapo; Buch: Bill Kelly; Musik: Klaus Badelt; Kamera: Torsten Lippstock; Schnitt: Neil Travis
Darsteller: Sandra Bullock, Julian McMahon, Shyann McClure, Courtney Taylor Burness, Nia Long u. a.
Länge: 96 Minuten
Verleih: Kinowelt

Die Blu-ray-Disc von Kinowelt

Kinowelt veröffentlicht den ursprünglich 110 Minuten langen Film in der auf 96 Minuten gekürzten Fassung. Das Bild liegt in Full HD (1080p/24p) vor und steht in der noch recht jungen Tradition tadelloser Blu-ray-Veröffentlichungen von Kinowelt. Auf eine 7.1-Abmischung hat man bei „Die Vorahnung“ leider verzichtet, dafür liegt der deutsche Ton in DTS 6.1 und der englische in DTS 5.1 vor. Erstaunlich ist das Zusatzmaterial, das die obige Kritik des Films beinahe bestätigt. Neben den üblichen Audiokommentaren, Interviews, Making ofs und anderem Begleitprogramm befindet sich ein Dokumentarfilm mit dem Titel „Reale Vorahnungen“ auf der Disc, in der der Plot von „Die Vorahnung“ auf naivste Weise zu einem paranomalen, esoterischen bzw. religiösen Erleben herunter gebrochen wird.

Die Ausstattung der Blu-ray-Disc im einzelnen:

Bild: 2,40:1 (1080/24p Full HD)
Sprachen/Ton: Deutsch 6.1 DTS-HD, Englisch 5.1 DTS-HD
Untertitel: Deutsch
Extras: Audiokommentar mit Regisseur Mennan Yapo und Sandra Bullock (OmU), Audiokommentar mit Mennan Yapo und Kameramann Torsten Lippstock (dt.), Making of, Deleted Scenes (mit optionalem Audiokommentar), Filmpannen, Behind the Scenes, Interviews, Featurettes, Dokumentation ”Reale Vorahnungen”, Fotogalerien, Trailer
FSK: ab 12 Jahren
Veröffentlichung: 20.03.2008
Preis: 33,95 Euro

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