Vollstrecker des Kapitals

Ben Chamberlain (Henry Fonda), der Held wider Willen, und der Schurke Vince McKay (Michael Parks) stehen sich nach 90 Minuten zum unbewaffneten Duell gegenüber und taxieren sich mit ihren Blicken. Zuvor hatten McKay und seine Männer den Vagabunden durch die Prärie gehetzt – aus reiner Mordlust und weil sie ihm einen Mord in die Schuhe schieben wollten, den sie selbst begangen hatten. Nun sind McKays Männer tot und das Gesetz naht in Form eines einfahrenden Zuges. Das Duell wird nicht stattfinden. McKay erkennt seine Niederlage und wendet sich ab, Chamberlain rennt seinerseits der Famerswitwe Valverda Johnson (Anne Baxter) hinterher …

51jnnswozkl_ss500_1.jpgDie Dekonstruktion klassischer Heldentypen ist eines der zentralen Elemente der Filme von Dons Siegel. Auch in „Ein Fremder auf der Flucht“, Siegels letzten Arbeit für das Fernsehen, wird der Zuschauer mit einem Protagonisten konfrontiert, der keinerlei heroische Züge trägt, sondern ein geradezu jammervolles und mitleiderregendes Bild abgibt. Zwar stellt sich Chamberlain im Laufe des Films den Dämonen, vor denen er zu Beginn noch davonrennt, doch an den aufrechten Helden erinnern nur noch Fondas stahlblaue Augen, die hier aber traurig aus einem unrasierten, ungewaschenen und eingefallenen Trinkergesicht blicken. Diesem gefallenen Engel gegenüber stehen die fragwürdigen Gesetzeshüter um McKay, die ihre Langeweile bekämpfen, indem sie Prostituierte verprügeln oder sich gegenseitig bis aufs Blut reizen. In einem Ort, der nur aus einer Handvoll Häuser besteht, stellen ausgerechnet die, die doch den Frieden sichern sollen, die größte Gefahr dar. Als die Langeweile der Verbrecher mit dem Sheriffstern in dem Mord an der zuvor geschändeten Prostituierten Alma Britten kulminiert, drohen McKay Sanktionen von der Eisenbahngesellschaft, die in „ihrem“ Revier keinen Unfrieden duldet. Da kommt Chamberlain gerade recht: Nicht nur kann man ihm den Mord in die Schuhe schieben, all die aufgestauten Aggressionen, für die es bisher kein Ventil gab, werden nun in die Treibjagd auf den armen Teufel gelegt, dessen Sündenbock-Funktion man ihm noch nicht einmal vorenthält.

Siegels 1967 entstandener Film ist bedeutend zahmer als der drei Jahre zuvor ebenfalls für das Fernsehen gedrehte „Der Tod eines Killers“, dessen Nihilismus und Brutalität seine Produzenten regelrecht schockierte. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich diese Erfahrungen in „Ein Fremder auf der Flucht“ niedergeschlagen haben: Siegels Inszenierung wirkt bieder und unpersönlich, so als habe er sich ständig selbst gezügelt, um seine Geldgeber nicht erneut zu verprellen. Auf der Inhaltsebene ist Siegels grimmige, desillusionierte Weltanschauung aber immer noch gegenwärtig. Die Erschließung Nordamerikas – und mit ihr der wirtschaftliche Siegeszug der USA – ist mit Blut erkauft, der Tod Unschuldiger wird vom Großbürgertum billigend in Kauf genommen. Eigentlicher Schurke des Films ist dann auch nicht McKay, sondern der hinter diesem stehende Eisenbahner, der zwar einerseits billige Schwerverbrecher einstellt, um seine Stadt bewachen zu lassen, mit deren Schandtaten aber nicht in Verbindung gebracht werden möchte. Man darf hier durchaus Parallelen zur drei Jahre vor Entstehung des Films begonnenen Intervention der USA in Vietnam sehen. Diese gesellschaftskritische Ebene macht den ansonsten leider nur mittelmäßigen „Ein Fremder auf der Flucht“ sehenswert und überhaupt erst als Film Siegels erkennbar. Zur Erschließung des Werks dieses wichtigen amerikanischen Filmemachers stellt er also trotz aller Mängel einen weiteren, bisher nur schwer zugänglichen Puzzlestein dar.

Ein Fremder auf der Flucht
(Stranger on the Run, USA 1967)
Regie: Don Siegel, Drehbuch: Dean Riesner, Reginald Rose, Kamera: Bud Thackery, Musik: Leonard Rosenmann, Schnitt: Richard G. Wray
Darsteller: Henry Fonda, Michael Parks, Anne Baxter, Dan Duryea, Sal Mineo Länge: 92 Minuten
Verleih: Koch Media

Zur DVD von Koch Media

In der Reihe „Classic Western Collection” erscheint “ein „Fremder auf der Flucht” in einer weltweiten DVD-Erstveröffentlichung. Für die Bergung dieses Films muss man Koch Media dankbar sein, auch wenn es neben dem Film erwartungsgemäß kaum Zusatzmaterial auf die DVD geschafft hat. Im vierseitigen Booklet gibt es einen kurzen, prägnanten Essay, in dem der Film recht fundiert im Werk des Regisseurs verortet wird. Bild und Ton sind ansprechend, wenn auch nicht von der Brillanz eines neuen Films: Gerade die deutsche Tonspur rauscht doch ein wenig. Käufern sei aber eh der Originalton empfohlen (leider ohne Untertitel): Die deutsche Synchronisation wirkt trotz professioneller Sprecher leider sehr leblos und regelrecht einschläfernd.

Zur Ausstattung der DVD:

Bild: 1,33:1
Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 2.0 Mono)
Extras: Bildergalerie
Länge: 92 Minuten
Freigabe: ab 12
Preis: 14,95 Euro

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