Nicht ohne meinen Hasen.

4.07.2006. Dortmund, Westfalenstadion. 83. Minute. Mehmet Scholl kommt für Bernd Schneider. Die Menge bebt, Italien taumelt. Plötzlich läuft ein Hase übers Spielfeld, schlägt einen Haken. Zwei. Wackelt kurz – und zieht ab. Deutschland im Finale!


Er ist nicht eingewechselt worden. Nicht bei dieser WM und auch bei keiner anderen. Für den Fußballer Mehmet Scholl, auf den das Prädikat begnadet zutrifft wie auf keinen anderen deutschen Kicker, ist der WM-Titel ein Traum geblieben. Und selbst im Finale der EM 1996 nahm Berti Vogts ihn, nach starker Leistung, vorzeitig vom Feld. Trotzdem häufte Scholl unzählige Titel an – und ebenso viele Verletzungen. Eine Karriere wie ein Wechselbad.

Nicht nur diese fulminante Laufbahn, vielmehr noch das persönliche Drama des Menschen Mehmet Scholl porträtiert der Film Frei:Gespielt. Denn wie kaum ein anderer Spieler ist der Wahl-Münchner zu einer fast mythischen Figur im modernen Fußballmedienzirkus geworden. Spätestens seitdem er vor zehn Jahren gegen alle Widerstände beschloss, sein öffentliches Leben weitgehend zu beenden. Fortan scheute er Objektive und Mikrofone.

Nun gehen die Autoren Eduard Augustin und Ferdinand Neumayr in ihrer Dokumentation Über das Spiel hinaus. Indem sie Scholl selbst erzählen lassen. Von der Rivalität zum fußballernden Bruder, seinem kometenhaften Aufstieg, und den privaten und sportlichen Rückschlägen. Und natürlich von der Selbstblendung durch den Starrummel, den man um ihn machte. Scholl war der erste deutsche Fußballer, den es als Faltposter gab, in Lebensgröße.

Irgendwann glaubte er selbst an das Image vom Teenieschwarm. Hielt sich für unwiderstehlich. Entwaffnend ist die Episode, wie er mit seinem Kumpel am Mittelmeer in einer Urlaubsdisco steht und darauf wartet, dass ihm die Frauen zufliegen. Er, der Bravo-Boy. Doch nichts passiert, denn im griechischen Badeparadies erkennt ihn niemand. Ein Aha-Erlebnis. Zurück in Deutschland beschließt er, den Zwangsmechanismen des Ruhms, dem permanenten Herzeigen und Schönreden, zu entfliehen. Er verweigert sich.

Heute lacht Scholl über den Scholl von damals. Dennoch, oder gerade wegen dieser unter Prominenten seltenen Fähigkeit zur Selbstironie, wird der Karlsruher Junge mit den türkischen Wurzeln zu einem Sympathieträger, zu einem nationalen Idol. Im WM-Sommer sammeln Fans von jetzt auf gleich 175.000 Unterschriften für ihn. 175.000. Obwohl er schon seit vier Jahren aus der Nationalmannschaft zurückgetreten ist, erinnert sich Fußballdeutschland an ihn. Nur nicht der Bundestrainer. Der wohnt in Kalifornien.

Im Film erinnern sich neben zahlreichen Freunden, auch langjährige Wegbegleiter, sowie einige unerwartete Prominente, die alle aus einem kollektiven Gedächtnis an den unvollendeten Ballartisten Mehmet Scholl schöpfen. Harald Schmidt ist dabei von gewohnt präziser Komik, Joschka Fischer bemüht unpolitisch und Uli Hoeneß gibt den Mentor. Ganz anders: Oliver Kahn, der auf jegliche Mimik verzichtet, dafür aber genervt daherstoibert. Im Fußballgeschäft gehe es nun mal nicht darum, ehrlich zu sein, „sondern nur authentisch“. Ach so.

Der Torwartvulkan und der schmächtige Wackler. Das sind zwei völlig unterschiedliche Verkaufsmodelle, sowohl auf dem Platz als auch daneben. Während Kahn gleich an der Kasse aufgestellt ist, versteckt sich Scholl lieber mit feinsinniger Ironie in den unteren Regalreihen. Zuletzt bekannte er gar, dass er mit den Allmachtsansprüchen beim FC Bayern im Grunde nicht viel anfangen kann und genauso gut zum SC Freiburg gepasst hätte. Statt zum Golf spielen, geht er lieber auf die Kegelbahn. Er lebt gern mit seinen Brüchen. Deswegen sei er auch auf einem guten Weg glücklich zu werden, „oder zumindest zufrieden“.

Ganz zu Beginn erzählt Scholl noch von einem Albtraum, der ihn ständig heimsucht. Darin sitzt er verzweifelt in der Kabine und findet seine Sachen nicht. Er sucht und sucht, während draußen schon längst angepfiffen wird. Scholl lacht darüber amüsiert. Dann aber kommt er einen kurzen Moment lang ins Grübeln, spekuliert: Freud hätte ihm den Traum bestimmt erklären können, meint er. Nun, Jürgen Klinsmann vielleicht auch.

Frei:Gespielt. Mehmet Scholl – Über das Spiel hinaus
(Deutschland 2007)
Regie: Eduard Augustin & Ferdinand Neumayr; Kamera: Igor Luther; Musikauswahl: Mehmet Scholl
Darsteller: Mehmet Scholl, Albert Ostermaier, Harald Schmidt, Oliver Kahn, Susi und Uli Hoeneß, Herbert Grönemeyer, Joschka Fischer, Peter Brugger, Markus Kavka, Michael Mittermeier, u. a.
Länge: 101 min
Ab dem 23. August im Mathäser Filmpalast, München.
Auf DVD ab 27. August.

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