Ein zauberhafter Kasten Licht

Ganz ohne weiße Kaninchen erzählt Hollywood von der alten Magie des Kinos.

Wenn man in den letzten Jahren auf der Leinwand eines nicht vermisst hat, dann wohl Magie. Unablässig wimmelt das Magische in Gestalt von notorischen Zauberlehrlingen, Trollen und Drachenjägern durch die oppulent gepixelten Welten des Übernatürlichen. Es herrscht eine Sagenhaftigkeit, die sich vornehmlich in den nackten Zahlen der Einspielergebnisse widerspiegelt und den Fantasy-Film zu einem weltweiten Massenspektakel gemacht hat. Offensichtlich funktioniert das Genre dabei nach der Zauberformel: Je greller der Schein, desto attraktiver das Unglaubliche.

Niemanden fesselt es mehr, einfach weiße Kaninchen aus dem Hut klettern zu lassen. Eigentlich überzeugend, und das gilt für den Film ganz speziell, wird das Phänomen der Weltvortäuschung aber erst durch eine gute Erzählung. Liegt doch im Gelingen des Fabelhaften eben jenes Stück Magie, das den Kinoraum vom Parkplatz trennt. Dann verwandelt sich das Unerklärliche und heraus kommt: eine echte Illusion. Von diesem Effekt erzählen „The Prestige“ und „The Illusionist“. Beide begreifen Film als Illusionskunst im ursprünglichen Sinn, als eine Show mit zischenden Apparaturen, aufwändigen Kostümen und viel Hokuspokus. Eine Geschichte, die das Publikum in den Bann schlägt und vom Eigentlichen ablenkt, darf natürlich nicht fehlen.

Zum einen sehen wir Eisenheim (Edward Norton), der ungeheuer populäre Illusionist im königlich-kaiserlichen Wien, der seine vermeintlich übernatürlichen Kräfte in den Dienst der Eroberung stellt. Er will seine Jugendliebe Sophie (Jessica Biel) zurück, doch die soll ausgerechnet Frau des österreichischen Thronfolgers werden. Folgerichtig entbrennt ein erbitterter Machtkampf zwischen Eisenheim und dem ebenso intriganten wie skrupellosen Leopold. Eisenheims vermeintlicher Zauber besteht in einem technischen Bluff, einem Fabelgenerator, der den ambitionierten Kronprinzen in den Wahnsinn treibt. Ähnlich wie in Bryan Singers „The Usual Suspects“, verlässt sich Neil Burger, der Regisseur von „The Illusionist“, dabei auf auf ein simples aber immer wieder überzeugendes Täuschungsmanöver: die entlarvende Rückblende.

Nicht um Frauen, sondern um den größten, je gesehenen Trick dreht sich hingegen der Magierwettstreit in Christopher Nolans „The Prestige“. So benannt nach dem entscheidenden dritten Teil jeder Zaubernummer: dem plötzlichen Wiederauftauchen des verschwundenen Objekts. Für das Gelingen dieses Moments, der gleichbedeutend mit der perfekten Täuschung und dem entsprechenden Lorbeer ist, geben Bolden (Christian Bale) und Angier (Hugh Jackman) alles andere auf – sogar sich selbst. Die eigene Identität wird zur Kunstfigur und schließlich zum Verschwinden gebracht.

Auffällige Parallelen zeichnen beide Filme aus. So liegen etwa die Schauplätze für die magischen Täuschungsspektakel in der Zeit um die vergangene Jahrhundertwende und sind nicht zufällig in der Frühphase des Films situiert. Dessen Entwicklung zum Massenmedium wäre ohne die Kleinkunstbühnen nicht denkbar gewesen. Varietes und Jahrmärkte dienten nämlich zunächst als Spielorte des Wanderkinos, die erst später von festen Theatern abgelöst werden sollten. Kino als Kirmesattraktion war daher auch ein Tummelplatz für Tüftler und Hasardeure, für zaubernde Unterhaltungskünstler.

In den handwerklichen Anfängen der Filmkunst, dem mechanischen Vorspiegeln des Realen, liegt ebenfalls ein zentrales Thema, dem sich beide Produktionen verschrieben haben. Zu diesem Zweck inspizieren Burger und Nolan mit ihren anachronistischen Magierfiguren, die sich darin überbieten die Wahrnehmung ihres Publikums zu manipulieren, eine filmhistorische Dunkelkammer. Denn lange vor dem digitalen Bild vermochte es das bewegte Zelluloid als neuartiger Simulationsraum und sinnlicher Erzählmodus massenhaft zu verzaubern.

„Alles was ihr in meinem Theater zu sehen bekommt ist eine Illusion“, beteuert Eisenheim schließlich auf dem Gipfel seines Ruhms, „keine Realität.“ Zuvor hat er dem Publikum – nicht wissend, dass es gerade der ersten Lichtspielvorführung beiwohnt – mit Hilfe projizierter Bilder weisgemacht, seine tote Geliebte zum Leben zu erwecken. Augenblicke später ist sie dann wieder verschwunden. Mit Mut zur Naivität erinnert der Film an das ehedem Magische der Kinowirklichkeit, an die photografische Überwindung von Raum und Zeit und die Emanzipation vom Theater. An rasante Lichthäutungen als erlebter Bildertraum. En passant wird so ein kinematografischer Ursprungsmythos erzählt.

Vielmehr noch als Burger, dessen Story nicht mehr als eine romantische Hommage an das Kino ist, ist sich Nolan seiner Aufgabe als innovativer Täuschungskünstler bewusst. Zwar arbeitet er am gleichen Trick, aber mit anderen Mitteln. Nicht nur versteht er es, die Identitäten seiner Protagonisten und damit die gesamte Handlung in einer furiosen und bis dato nicht gesehen Virtuosität ineinander zu flechten. Auch inszeniert sich Nolan mit seinem mehrfach doppelbödigen Erzählstil (der an Komplexität „Memento“ sogar noch übertrifft), selbst als Magier eines atemberaubenden Handlungspuzzles. In einer eigentümlichen Mischung aus Märchenonkel und Karussellbetreiber jagt er den Zuschauer, von einem Vexierspiegel zum nächsten. Nicht zuletzt wird seine Regie durch ein brilliantes Schauspielerensemble – in dem der ewige Verwandlungskünstler David Bowie alle überragt – kongenial ergänzt.

Obwohl der Film geradezu arabesk gewebt ist, bleibt er packend und mysteriös bis zum Schluss. Darüber hinaus sorgt Nolan für eine echte filmische Neuerung, die der Vergleich offenbart. Belässt es nämlich The Illusionist auf der Narrationsebene beim finalen Surprise-Effekt des unzuverlässigen Erzählers, so treffen wir in The Prestige außerdem auf den unzuverlässigen Protagonisten. Wie bei einer guten Zaubernummer spielt sich der Schwindel hier nicht nur auf der Erzähl-, sondern auch auf der Handlungsebene des Films ab. Für den Zuschauer sichtbar und doch unbemerkt.

Einem einzigen langen Crescendo gleich, pulverisiert Nolan seine Hauptfiguren in Schein und Sein, Bewusstes und Unbewusstes. Und obwohl man zu keiner Zeit weiß, welcher Charakter nun eigentlich in Erscheinung tritt, funktioniert die Geschichte her-vorragend. Was vielleicht auch daran liegen mag, dass die eigentliche Zaubermaschine, um die es hier geht, im Grunde ein leerer Kasten ist. Und der be-sitzt nur eine einzige Funktion: Zauberer und Publi-kum glauben zu machen, er enthalte ein Geheimnis.

Der Trick, mit dem der Regisseur hier hantiert, besteht im eloquenten Vertuschen, dass Kino eigentlich nichts weiter ist als eine simple Apparatur, die vorgibt, mehr zu sein, als in Wirklichkeit. Nämlich ein leerer Kasten mit ein bisschen Licht gefüllt. In ihren magischen Momenten kann die Maschine je-doch eine Illusion der Realität erzeugen, die uns hinterher tatsächlich mehr sehen lässt. Man muss nur wissen, wie man sie richtig bedient.

The Prestige
(USA/UK 2006)
Regie: Christopher Nolan; Buch: John & Christopher Nolan; Musik: David Julyan; Kamera: Wally Pfister; Schnitt: Lee Smith
Darsteller: Hugh Jackman, Christian Bale, Michael Caine, Piper Perabo, Rebecca Hall, Scarlett Johansson u. a.
Verleih: Warner
Länge: 130 Minuten

The Illusionist
(USA/Cz 2006)
Regie & Buch: Neil Burger; Musik: Philip Glass; Kamera: Dick Pope; Schnitt: Naomi Geraghty
Darsteller: Edward Norton, Paul Giamatti, Jessica Biel, Rufus Sewell, Eddie Marsan u. a.
Verleih: Senator
Länge: 110 Minuten

Christoph Cöln

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