„Der Kalte Krieg ist vorbei. Es gibt keine wahren Auseinandersetzungen mehr“, klagt der soeben gefeuerte CIA-Mann Ozborne Cox seinem Vater. Doch weit gefehlt. Der Kampf der Ideologien ist lediglich abgelöst worden von der Schlacht der Idioten. Nur, dass das noch keiner so recht bemerkt hat.
Wer also wissen will was läuft im Erdenrund (wenn schon die Geheimdienste keine Ahnung haben), der wende sich vertrauensvoll an die Coen-Brüder. Von Zeit zu Zeit tauchen die beiden Joda-gleich aus ihrem Weltraum-Urwald auf, um einen Kontrollblick auf das Geschehen hier unten zu werfen. Das daraus entstehende Kopfschütteln führt dann zu so lakonischen Filmen wie Hudsucker, The Big Lebowksi oder nun eben Burn After Reading. Um es gleich vorwegzunehmen: Bei Burn After Reading handelt es sich um eine schräge Klamotte ohne jegliche Bodenhaftung, dafür aber mit extrem hoher Lachsalvenstreuung.
An dieser Stelle nun die Handlung nacherzählen zu wollen machte keinen Sinn, denn die ist, wie immer bei den Coens, so komplex wie eine Bauernregel und zugleich banaler als der Gordische Knoten. Oder war es andersrum? Egal. Die Versponnenheit mit der sie die aktuellen Auswüchse des Zeitgeistes nachzeichnen macht sie zu Sittenmalern menschlicher Fehlbarkeit. Lustvoll überdreht und stets ein wenig melancholisch halten sie allem dem Spiegel vor, was im Grunde keinen zweiten Gedanken verträgt. Da Spiegel aber gerne Zerrbilder erzeugen wird hier erst mal an der Oberfläche gekratzt. Fitnesssucht, Körperkult oder Sexbesessenheit, alles wird ausgeleuchtet. Die Kamera dient ihnen dabei als Mikroskop, auch wenn der Blick, mit dem sie all die Sünder in ihren Geschichten beobachten, eigentlich ein göttlicher ist. Ob von UFOs, fliegenden Teppichen oder, wie diesmal, von Googles Earth-Satelliten aus, ihr väterliches Argusauge reicht noch in die kleinste Falte und den letzten Kleiderschrank.
Darin verstecken sich meist von Durchschnittlichkeit geplagte Jedermänner. Moderne, seltsam benamte Menschen, wie Harry Pfarrer, Linda Litzke oder Chad Feldheimer, die uns allesamt als Ansammlung hyperaktiver Irrläufer begegnen. Letzterem fällt unverhofft eine CD mit vermeintlich brisantem Datenmaterial in die Hände, woraus sich bald eine groteske Jagd nach Liebe, Geld und Vergeltung entwickelt. Es ist Zahltag der Enttäuschten, doch am Ende stehen alle mit leeren Händen da, oder müssen sich den Rest gar von ganz oben anschauen. Auch das hat Tradition bei den Coens: Im Trottel-Rennen scheiden immer ein paar aus.
Dass dabei meistens diejenigen büßen müssen, die sich am Wenigsten haben zu Schulden kommen lassen, folgt der Logik der Enttarnung. Wirklich interessant sind nur die Befleckten. Und die holen sich ihre Kerben in dieser Screwball-Kömodie vornehmlich durchs Fremdgehen. Katie Cox treibt es mit Harry Pfarrer, der wiederum verführt Linda Litzke, während sich seine Frau Sandy an einem TV-Koch gesundet, dem ´Sultan of Salads´. Wo der Betrug blüht, ist die Erpressung nicht weit, und so versucht Linda mit Chads Hilfe Ozzie um Geld für ihr geplantes Problemzonen-Relaunch zu erleichtern.
Weil man in diesem ganzen Tohuwabohu leicht den Überblick verliert, treten die berufsbedingten Krisenprofiteure auf den Plan: Schnüffler und Advokaten. Da die aber genau so unfähig sind wie ihre Klienten, fällt ihnen nichts anderes ein, als das Chaos am Laufen zu halten. Die Maxime lautet: “SIE könnten auch ein Spion sein!“ Und weil das so einfach klingt, wie das Gesundleben in der Diätgetränke-Werbung, hält sich fortan jeder für einen Meisterdetektiv – in eigener Sache. Überwacht wird dieser kollektive Verfolgungswahn schließlich auch von ganz oben. In den USA ist das aber nicht der Herrgott, sondern die CIA. Hier liegt der Staat halt mit im Bett. Vorsichtshalber.
Es ist bemerkenswert, mit welch traumwandlerischem Gespür sich das Regieduo durch all den phänomenalen Unrat wühlt, den der moderne Mensch so über den Tag verteilt. Ihr Blick ähnelt dem eines Edward Hopper oder Cormack McCarthy, und birgt trotz aller Überspanntheit eine zutiefst realistische, eigentlich traditionell amerikanische Perspektive. Das Besondere am Coen-Universum ist dabei, dass hier bloßes Zuschauen schon zu einer Form der Komik wird. Man muss gar nicht eine Haltung entwickeln wollen, das Gesehene muss keinen Sinn ergeben – es muss einfach gesehen werden.
Vermutlich braucht es in Zeiten allgemeiner Hysterie das Gemüt der beiden Hinterwäldler aus Minnesota, um zu Bänkelsängern Hollywoods zu werden. Die Coens befreien uns nämlich vom Irrsinn, durch dessen Überzüchtung. Indem die sie das Gesehene nur oft genug aufheben und dann im richtigen Moment kollidieren lassen, präsentieren sie das Leben in seiner ganzen Nacktheit. Die ist zwar lächerlich, aber äußerst liebenswürdig – ob nun mit Fettpolstern, oder ohne.
Burn After Reading
(USA 2008)
Regie & Buch: Joel Coen & Ethan Coen; Kamera: Emmanuel Lubezki; Musik: Carter Burwell; Schnitt: Roderick James
Darsteller: George Clooney, Frances Mc Dormand, Brad Pitt, John Malkovich, Tilda Swinton u. a.
Länge: 95 Minuten
Verleih: Focus Features