»Lasset die Kinder zu mir kommen«

Es hat beinahe 40 Jahre gebraucht, bis der Papst 2008 Worte der Entschuldigung gefunden hat für ungezählte Verbrechen, die katholische Geistliche begangen haben. Es geht nicht um die Massaker der Inquisition oder der Conquista, nicht um das Schweigen angesichts der Völkermorde, die unter den Augen der Kirchen bis ins 20. Jahrhundert hinein verübt wurden, nicht um die Frage nach der Mitschuld der Kirche an der Ausbreitung von HIV in Afrika. Es geht um sexuelle Übergriffe Geistlicher an Kindern. Seit die Kirche im 4. Jahrhundert das Zölibat für Priester eingeführt hat, sind diese Fälle dokumentiert – und seither werden sie sorgsam verschwiegen und in den Archiven der Bistümer und des Vatikans verschlossen.

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Civil Defense Cinema

Als „Panik im Jahre Null“ im Juli 1962 seine Premiere in den US-amerikanischen Kinos hatte, dürfte kaum ein Zuschauer geglaubt haben, es handele sich bei dem Film des Schauspielers Ray Milland um einen bloßen Science Fiction. Wenige Wochen zuvor hatten die USA in der Türkei Atomraketen stationiert, die die UdSSR bedrohten; in der Startwoche des Film verschoben die Sowjets zigtausende ihrer Soldaten nach Kuba und stellten dort nun ebenfalls Atomraketen auf, die gegen die USA gerichtet waren. Die Kubakrise nahm ihren Lauf und es sah ganz so aus, als habe Milland in seinem Film den mehr als möglichen Ausgang derselben – nämlich den Atomkrieg – vorweg genommen. Jetzt, über 40 Jahre später, wirkt „Panik im Jahre Null“ wie ein typisches Film-Dokument dieser Zeit – weniger wie ein Spielfilm als wie ein Civil-Defense-Lehrfilm.

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Filmlektionen vom Theater

Monster, türkische Muskelhelden, Porno-Queens, Yoga-Akrobatinnen in Nazi-Uniform und ein Live-Hörspiel über Zombies und Kannibalen: Die bunte Mischung von Motiven und Genres, die der Berliner Allround- aber eigentlich doch immer noch Film-Künstler Jörg Buttgereit in den Sälen des „Hebbel am Ufer“-Theaters auf die Bretter brachte, war zeitweise nicht leicht verdaulich. Es dürften wohl vor allem seine Fans angesprochen gewesen sein, die Buttgereit mit Reprisen seines filmischen Werks und Aufarbeitungen seiner Radioprogramme ins Theater zog. Und dennoch war das Publikum letztlich genauso bunt gemischt wie auch das Programm. F.LM war bei allen Vorstellungen dabei, hat einiges sogar gefilmt (was hier exklusiv angeboten wird) und liefert einen Rückblick.

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Die Phallokraten im 21. Jahrhundert

Auf den ersten Blick, der bei einer DVD notwendigerweise ja immer auf die Paratexte, das Cover und den Titel, fällt, würde man nur schwer glauben, dass es sich bei „Sexmission“ um einen Science-Fiction-Film handelt: Der Unterkörper einer Frau im schwarzen G-String mit hochhackigen, goldenen Schuhen, zwischen ihren Beinen ein angebissener Apfel – Sinnbild für Verführung im westlichen Abendland. Im Bildhintergrund eine Barbusige, dann noch eine Frau in Dessous mit provokativ gespreizten Beinen in der Rückansicht – und schließlich, ganz unten, zwei entsetzt schauende Männer, die sich hinter dem FSK-Logo verstecken, und eine schwach dargestellte Zahl: „2044“.

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Maschinenherz und Herzmaschine

Berlin im Februar 2010. Auf dem Potsdamer Platz herrscht die alljährliche Hektik der Berlinale. Es ist das 60. Jubiläum des Filmfestivals und einer der diesjährigen Höhepunkte wird kein ganz neuer, sondern ein ganz alter Film sein, der in lange Zeit nicht gesehener Version vorgeführt wird: Fritz Langs „Metropolis“ von 1927, der in einer jetzt 24 Minuten längeren, restaurierten Fassung fast wieder vollständig vorliegt.

Zwei Kilometer vom Potsdamer Platz entfernt erlebt kurz vor Beginn der Berlinale noch das Werk eines zweiten Künstlers nach Jahrzehnten ein erneutes öffentliches Wiedersehen: Fritz Kahn und die von ihm konzipierten Grafiken zur Physiologie und Anatomie des menschlichen Körpers. Die Ausstellung über Kahn findet im Medizinhistorischen Museum der Charité statt und heißt „Menschmaschine“. Zu beiden Kulturereignissen sind vor kurzem ausführliche Kataloge erschienen.

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Aufbruch nach Rhea

Sei es nun Pandora oder die Axiom oder Rhea – im jüngeren dystopischen Film wird es auf der Erde ungemütlich und fremde Welten oder, falls diese nicht zu finden sind, Raumschiffe müssen der Menscheit als Zwischenwohnraum herhalten, bis es mit dem Heimatplaneten wieder aufwärts geht, das heißt, bis die Natur sich wieder erholt hat und das tut sie in den meisten filmischen Fällen. Hinter diesen Fluchtpunkt-Fantasien steckt immer auch ein Heilswunsch und die Hoffnung, dass es – obwohl der Prozess der Naturzerstörung nicht mehr umkehrbar ist – einen Neuanfang geben könnte. Bleiben die Menschen auf der Erde, wie in „Book of Eli“ oder in Form puppengewordener Menschlichkeit in „9“, dann liegt die Hoffnung in einer neuen Metaphysik. Der schweizerische Science-Fiction-Film „Cargo“ bündelt etliche dieser Motive und holt sie quasi „zurück nach Europa“.

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Schießbudenspielfiguren

Casual Games bieten sich für die Wii-Konsole an und sind dementsprechend häufig auf dem Markt zu finden. Selbst in Spielen, die einen Story-Mode haben, finden sich Casual-Elemente als so genannte „Mini Games“. Hier hat man dann mit dem Spielfiguren des „Hauptspiels“ kleine Spiele zu absolvieren, die zumeist mehr auf das Bewegungskonzept der Controller ausgerichtet sind. Die „Mini-Spiele“, könnte man sagen, sind ein „in-package Franchise“ fürs große Spiel. Bei Disneys „Toy Story Mania“ verhält es sich aber genau anders herum: Hier finden sich eine Reihe Mini-Games und noch mehr Mini-Games getarnt als Story-Mode. Das sieht nach Bauernfängerei aus und ist es auch.

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»Die Menschen verfilmen heutzutage aber auch alles!«

Zu den medialen Vorboten des Kinos zählt neben der Oper vor allem das Wachsfigurenkabinett. Bereitete erstere den Weg für die synästhetische, multimediale Darstellung von Inhalten, so lieferte zweitere die „Einstellung“ einer Szenerie, die durch die stillgestellte Bewegung auf ihre Kunsthaftigkeit (die Mise-en-scène) hinweist. Die große Affinität zwischen den beiden Medien hat sich bereits recht früh darin niedergeschlagen, dass das Wachsfigurenkabinett zu einem filmischen „Topos“ wurde. 1924 hatte Paul Leni ein solches zum Handlungsort seines Films „Das Wachsfigurenkabinett“ ausgewählt; neun Jahre später entstand Michael Curtiz‘ „Das Geheimnis des Wachsfigurenkabinetts“, von dem André de Toth 1953 ein Remake mit dem Titel „Das Kabinett des Professor Bondi“ drehte, das zuletzt 2005 von Jaume Collet-Serra neu aufgelegt wurde. All diesen Filmen ist gemein, dass sie Horrorfilme sind. Und auch der 1988 entstandene Film „Waxwork“ von Anthony Hickox fällt in diese Reihe – und beteiligt sie wie alle anderen ebenfalls an der allgemeinen Reflexion über die Filmizität des Wachsfigurenkabinetts.

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Alice im Burtonland

Tim Burton gibt seit etwa 20 Jahren den Hollywood-„Märchenonkel“, der immer wieder dasselbe Märchen erzählt – könnte man etwas böswillig formulieren. Doch was er seit seinem ersten Spielfilm „Pee-Wee’s Big Adventure“ leistet, ist weit mehr als nur Kindheits- bzw. Kinder-Fantasien in Bilder umzusetzen. Seine Filme übergreifen literaturhistorische Traditionen ebenso sehr wie sie national-kulturelle Grenzen überschreiten. Das ihnen dies gelingt, liegt vor allem daran, dass sich Burton bei seinen Plots eigentlich stets monomythischer Erzählmuster bedient oder selbst welche konstruiert, woraus die Selbstähnlichkeit seiner Stoffe resultiert. Mit „Alice im Wunderland“ adaptiert er nun ein weltberühmtes Märchen in seine Erzählwelt und hat dabei gleich mehrere Probleme zu lösen: Wie entzieht er die Story der ihr seit 60 Jahren anhaftenden Disney-Verkitschung, wird gleichzeitig der Vorlage Lewis Carrolls gerecht und macht einen typischen Burton-Stoff daraus?

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Vom Filmspiel zum Spiel-Film

Das von David Cage entwickelte Videospiel „Heavy Rain“ hat schon vor etwa einem Jahr Aufsehen erregt, als erste Details daraus auf Spiele-Messen bekannt wurden. Nachdem sein Studio mit „Fahrenheit“ bereits ein Videospiel zum Thema Serienmord veröffentlicht hatte, sollte „Heavy Rain“ das Motiv wieder aufgreifen. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden ist die Komplexität der Handlungsentwicklung. Das Studio Quantic Dreams hat dabei eine weitestgehende Annäherung an die Spielfilmästhetik angepeilt – unter anderem auch dadurch, dass in „Heavy Rain“ etliche (Film)Genre-Elemente integriert wurden.

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Mutation und Regression

„‚Mad Max‘ trifft auf ‚Dawn of the Dead'“ heißt es auf dem Klappentext des DVD-Covers, und wenn ein Film schon über Vergleiche zu großen Vorbildern beschrieben wird, hat man meist allen Grund misstrauisch zu sein. Umso verwunderter wird man sich vielleicht zeigen, wenn man sich dann den Prolog dieses angeblichen Mad-Max-Zombie-Amalgams ansieht: „Mutant Chronicles“ zeichnet eine beeindruckende Dystopie, die sich als Mischung von Gestern, Heute und Morgen zeigt, wie man sie beinahe nur aus ost-asiatischen Genrefilmen kennt.

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Eine Bibel fürs Regal

In den vergangenen Jahren geht die Welt im Kino mit immer größerem Aufwand unter. Filme wie Roland Emmerichs „2012“ oder demnächst der lang erwartete „The Road“ von John Hillcoat entwerfen Szenarien, in denen die Menschheit zum größten Teil vom Erdboden verschwindet – verbinden damit jedoch immer auch eine moralische oder häufiger sogar religiöse Agenda, nach der diejenigen, die übrig bleiben, „bessere Menschen“ werden sollen, die aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Der Tiefpunkt dieser Entwicklung findet sich in der christofaschistischen Utopie des „Left Behind“-Zyklus, der auch schon einige Filmadaptionen erfahren hat. „The Book of Eli“ von den Hughes-Brothers greift gleich mehrere filmhistorische Traditionen auf, liefert aber gleichzeitig eine beruhigende Entkrampfung des religiösen Backlashs, der in vielen dieser Filme zuletzt angeklungen war … auch wenn es zunächst ganz anders scheint.

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Sawival Horror

Die Marke „Saw“ hat sich mittlerweile zu einem lukrativen Franchise entwickelt: Sechs Spielfilme sind unter dem Titel zwischen 2004 und 2009 bereits entstanden. Dass das Konzept erst jetzt für eine Videospiel-Adaption aufbereitet wurde, verwundert da schon beinahe – erinnert das Sujet der Serienmörder-Erzählung von „Saw“ doch sehr stark an einen Game-Plot. Es mag auch der dem Stoff inhärente Zynismus gewesen sein, der seine „Interaktivierung“ bislang verhindert hat: Immerhin gibt es im „Saw“-Universum keine reinen Opfer-Täter-Dichotomien mehr. Egal, welche Figurenperspektive man einnimmt: Man wird zum (virtuellen) Mörder.

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Kein Superman mit Rückenschmerzen

Werner Herzog, der gerade die Festival-Jury der Berlinale leitet, meldet sich selbst mit einem neuen Spielfilm in der Filmszene zurück. Von Abel Ferraras „Bad Lieutenant“ hat er ein Remake angefertigt, ohne – wie er er behauptet – das Original gesehen zu haben. Mit Jörg Buttgereit und Sirkka Möller haben wir den Film in der Pressevorführung gesehen und danach ein Podcast aufgenommen. Moderiert hat Stefan Höltgen.

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Wasserpest aus dem Weltraum

Wenn Spielfilme für das Fernsehen produziert werden, hat das leider oft genug einen Grund: Sie sind für den „schnellen Verzehr“ gedacht, zur Ablenkung, Unterhaltung, Entspannung am Feierabend. Vor allem das deutsche Fernsehen liefert genügend Belege dafür – auf DVD erscheint daher auch nur selten ein fürs TV produzierter Film. Wenn nun in einem US-amerikanischen Fernsehfilm Isabella Rossellini mitspielt, scheint das schon eher ein Grund für die Archivierung und gegen das schnelle Vergessen zu sein. An „Infiziert“ zeigt sich allerdings sehr gut, dass man da auch falsch liegen kann.

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Der Feind in meinem Blick

Seit ein paar Jahren gibt es einen neuen Trend im Kriegsfilm – ein Trend, der vielleicht mit Terrence Malicks „The Thin Red Line“ seinen Anfang genommen, jedoch erst von Brian de Palma mit „The Redacted“ in einen tradierbaren Stil überführt wurde. Der Krieg wird als große Erzählung von Heldentum, Feindschaft und Ideologie zu Gunsten einer Mikroperspektive aufgegeben. In dieser soll sich das Schicksal desjenigen, der zuvor nur eine Zelle im „Menschenmaterial“ gewesen ist, mitteilen. Der Soldat als Individuum und mehr noch als jemand, der in sich in einer Rolle wiederfindet, die ihm mehr oder weniger oktroyiert wurde, ist das Zentrum dieser neuen Erzählperspektive. Damit verbunden ist auch eine gänzlich neue Darstellungsweise, die zuletzt sehr eindrucksvoll von Kathryn Bigelows „The Hurt Locker“ in Anschlag gebracht wurde – in Deutschland ist der Film mit dem unsäglich dummen Titel „Tödliches Kommando“ im Kino und nun auf DVD und Blu-ray-Disc erschienen.

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Kino zum Mitmachen

Die Popularität des Films hat seinen Eingang in andere Unterhaltungsprodukte von Beginn der Filmgeschichte an schon fast zwangsläufig herausgefordert. Ob nun das Vergleichen und Erraten von Fakten über Filme oder die Verlängerung der Filmnarration in andere Erzählungen im Vordergrund steht: Film-Spiele bilden als Paratexte eine Parallelgeschichte zum Film und greifen wie dieser selbst ständig auf neue Medien zu. Zwei jüngere Produkte – ein Videospiel und ein Gesellschaftsspiel sollen im Folgenden vorgestellt werden.

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Die kinematografische Unschuld der Kinder

Sich Horrorfilme zusammen mit Kindern anzuschauen bedarf schon eines sehr ausgefeilten medienpädagogischen Konzeptes oder Erziehungsprogramms. Das Weltwissen von Kindern reicht nicht aus, um viele der Genre-Motive verstehen zu können, ihre Selbstsetzung als Subjekt, das sich von den Objekten der Welt abzugrenzen in der Lage ist, ist noch zu unvollständig, um den Horror nicht über die Maßen als Bedrohung für die eigene Existenz zu empfinden – erst recht, wenn darin die Erwachsenen als Instanzen der Sicherheit und des Vertrauens so nachhaltig beschädigt werden. Umso erstaunlicher ist es vor diesem Hintergrund eigentlich, dass es so viele Filme gibt, in denen von den Kindern selbst der Horror ausgeht und die damit eben auch auf Kinder als Darsteller zurückgreifen müssen. In den entscheidenden Situationen werden die kleinen Schauspieler dann mit Handlungen konfrontiert, die sie auf der anderen Seite der Leinwand besser gar nicht sehen sollten. In Tom Shanklands neuem Horrorfilm „The Children“ wird aus dieser vermeintlichen Diskrepanz ein ästhetisches Prinzip gemacht.

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Der pawlowsche Zuschauer

Der Film „Porndogs“ war eine der großen Überraschungen des diesjährigen, vierten Berliner Pornfilmfestivals: Ein Pornofilm, in dem ausschließlich Hunde mitspielen, sychronisiert von teilweise bekannten Pornofilmstars. Nach dem Festival hat Stefan Höltgen mit dem Regisseur Greg Blatman gesprochen und ihn über den Produktionshintergrund und die Rezeption von „Porndogs“ befragt.

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