Der Feind in meinem Blick

Seit ein paar Jahren gibt es einen neuen Trend im Kriegsfilm – ein Trend, der vielleicht mit Terrence Malicks „The Thin Red Line“ seinen Anfang genommen, jedoch erst von Brian de Palma mit „The Redacted“ in einen tradierbaren Stil überführt wurde. Der Krieg wird als große Erzählung von Heldentum, Feindschaft und Ideologie zu Gunsten einer Mikroperspektive aufgegeben. In dieser soll sich das Schicksal desjenigen, der zuvor nur eine Zelle im „Menschenmaterial“ gewesen ist, mitteilen. Der Soldat als Individuum und mehr noch als jemand, der in sich in einer Rolle wiederfindet, die ihm mehr oder weniger oktroyiert wurde, ist das Zentrum dieser neuen Erzählperspektive. Damit verbunden ist auch eine gänzlich neue Darstellungsweise, die zuletzt sehr eindrucksvoll von Kathryn Bigelows „The Hurt Locker“ in Anschlag gebracht wurde – in Deutschland ist der Film mit dem unsäglich dummen Titel „Tödliches Kommando“ im Kino und nun auf DVD und Blu-ray-Disc erschienen.

„Tödliches Kommando“ erzählt von der Sprengstoff-Einheit der Kompanie „Bravo“, die noch etwas länger als einen Monat Dienst im Irak hat. Sergeant James, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird, kommt neu in die Kompanie und fällt gleich durch sein waghalsiges Verhalten auf: Er vernachlässigt Sicherheitsanweisungen, begibt sich in Lebensgefahr, indem er unter extremen Bedingungen an Sprengsätzen herum manipuliert. Er hat jedoch immer Erfolg – oder Glück und erst, als er einen kleinen Jungen als Leiche in eine „Körperbombe“ verwandelt vorfindet, ändert sich sein Verhalten. Er vermutet, dass es sich bei dem Kind um einen kleinen Freund handelt, mit dem er auf dem Militärgelände häufiger zusammengetroffen war und versucht die Hintermänner des grausamen Mordes zu finden. Als dies misslingt, werden seine Aktionen immer waghalsiger und führen schließlich zur Verwundung eines Team-Mitgliedes kurz vor Beendigung der Einsatzzeit. Für James scheint eine Rückkehr aus dem Irak in die USA immer schwieriger zu werden – er hat den Bezug zum normalen, spannungsarmen Leben längst verloren.

Der Krieg als Sucht – das Motto wird bereits in einem Zitat im Vorspann des Films vorgegeben: „The rush of battle is a potent and often lethal addiction, for war is a drug.“ Auch für den Protagonisten von „The Hurt Locker“ ist es aber mehr als nur Abhängigkeit; es ist eine existenzielle Seinsweise geworden: Als James von seinem Kollegen gefragt wird, warum er sich so waghalsig verhalte, kann er es nicht erklären. In solchen Momenten spürt man als Zuschauer, dass ihn eine Art Schutzpanzer umgibt, in dem er seine Verwundbarkeit verbirgt und dass er doch nichts mehr verlangt, als das dieser Panzer endlich durchbrochen wird, damit er etwas spüren kann. Nicht ohne Grund legt er in besonders heiklen Einsätzen alle Schutzkleidung ab, um die Gefahr näher an sich heranzulassen. Vor allem diese somatische Einschreibung des Krieges in den Körper und die Psyche des Soldaten hat „The Hurt Locker“ von Malicks „The Thin Red Line“ übernommen. Dort wurde das blutige Kampfgeschehen mit überaus lyrischen Gedankenstimmen und malerischen Landschaftsaufnahmen kontrastiert, um die Irrealität der Situation zu verdeutlichen. Bei Bigelow ist es ein Durchdringen der „emotionalen Epidermis“.

Dies wird vor allem durch die Kameraarbeit geleistet, denn „The Hurt Locker“ ist fast ausschließlich mit der Handkamera gefilmt. Sie bringt uns das Geschehen und die Protagonisten so nahe, dass wir jede Veränderung in der Perspektive schon als Bedrohung erfahren. Oft, wenn sich eine Bedrohung in Form irakischer Zivilisten, von denen man nie weiß, ob sie nicht terroristische Absichten haben, nähert, schaltet die Kamera auf Tele-Objektiv, wird noch unruhiger und der Schnitt versucht – gleich einem sich hastig umsehenden Blick – noch mehr Situationen einzufangen und einzuschätzen. Diese extrem personalisierte Optik ist das Hauptmerkmal jener neuen Kriegsfilme, die versuchen alle möglichen Kamerabilder zu einem Film zu montieren ohne dabei auf die „unsichtbare Optik“ des Hollywood-Erzählfilms zurück zu greifen. Denn gerade dieser sorgt selbst bei krassesten Kriegsdarstellungen für ein Gefühl der Unbeteiligtheit und Unverwundbarkeit des Zuschauers – ein Gefühl, an dem „The Hurt Locker“ nicht interessiert ist.

Die optische Verunsicherung, die im Prinzip mit der Personalisierung der Kamera einhergeht, ist zu einem wichtigen Faktor des neuen Genrekinos, insbesondere des Horror-, Thriller- und Kriegsfilms, geworden. Ob nun George A. Romero in „Diary of the Dead“ auf eine diegetische Kamera zurück greift, um die Katastrophe authentisch zu bebildern, Ari Folmann in seinen Zeichentrickfilm „Walz with Bashir“ – für die Gattung überaus ungewöhnlich! – subjektive Perspektiven einfügt, um das Kriegsgeschehen zu personalisieren oder zuletzt Oren Peli in „Paranormal Acitvity“ die Kamera selbst zum Protagonisten erklärt: Die Verunsicherung des Blicks durch gleichzeitige Identifikations- und Distanzierungsgeste ist das wesentliche Merkmal dieser Erzählweise geworden.

Damit gelingt es dem Film vielleicht endlich aus seiner Illusionsmaschinerie auszubrechen und zu einer Narrativität zu gelangen, die bisher nur der Literatur vorbehalten war, in der die vom Text erzeugten Bilder auch immer „persönliche Bilder“ sind. Dass „The Hurt Locker“ wie auch einige andere Filme dies auf Basis einer authentischen Kriegserzählung vornimmt, zeigt zugleich, dass es bei dieser Ästhetik nicht um Selbstzweck gehen muss: Vielmehr vermittelt Bigelows Film-Fiktion einen emotionalen Zugang zum faktischen Kriegsgeschehen, das eben nicht bloß aus dem Dokumentieren des Geschehens besteht, sonder immer auch aus der Perspektive der Beteiligten.

Tödliches Kommando
(The Hurt Locker, USA 2008)
Regie: Kathryn Bigelow; Buch: Mark Boal; Musik: Marco Beltrami & Buck Sanders; Kamera: Barry Ackroyd; Schnitt: Chris Innis & Bob Murawski
Darsteller: Jeremy Renner, Anthony Mackie, Brian Geraghty, Guy Pearce, Ralph Fiennes, David Morse, Evangeline Lilly u. a.
Länge: 131 Minuten
Verleih: Concorde

Die DVD von Concorde

Concorde veröffentlicht „Tödliches Kommando“ auf DVD und Blu-ray-Disc. Obwohl die DVD tadellos gelungen ist, ist der Blu-ray-Disc der Vorzug zu geben. Denn gerade in den hochaufgelösten Digitalbildern des Films verbirgt sich die angesprochene optische Strategie und es ist daher ratsam mit der Bildauflösung dem Kinobild so nahe wie möglich zu kommen. (Über die Qualität der Blu-ray-Disc von Concorde soll das jedoch keine Aussage sein. Der Verleih hat uns trotz Anfrage nicht damit bemustert.)

Ausstattung der DVD:

Bild: 16:9 (1.78:1)
Ton: Deutsch (Dolby Digital 5.1), Deutsch (DTS 5.1), Englisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch
Extras: Kinotrailer, Interviews, Behind the Scenes, B-Roll, Programmtipps
FSK: ab 16 Jahren
Preis: 14,95 Euro

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Eine Antwort auf „Der Feind in meinem Blick“

  1. Ist REDACTED nicht eigentlich das Gegenteil von THE HURT LOCKER? Während DePalma die Medialisierung (und Medialität) des modernen Krieges reflektiert und sich über das „Authentische” lustig macht, bleibt Bigelow ganz klassisch an der Wahrheit der Körper, löst immer identifikatorisch auf und enthält sich jeder politischen Perspektive. Sie hat – auf eine fantastisch unterhaltsame Weise – einen „zeitlosen” Abenteuerfilm gemacht, der den Professionalismus feiert.

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