Fesselspiele der feinen englischen Art

Die britische Serie „The Avengers“ (dt. „Mit Schirm, Charme und Melone“) aus den 1960er-Jahren hat auch in Deutschland sehr viele Fans, die sich dieses Jahr mächtig freuen dürfen: Nicht nur Arte sendet den Mix aus Krimi-, Agentenfilm-, teils absurden Science Fiction- und Komödienelementen rauf und runter, seit dem Frühjahr 2009 legt Kinowelt in rasantem Tempo die erhalten gebliebenen Staffeln der Serie nach und nach als DVD-Boxen vor.

Die erste Staffel wurde 1961 noch live im Studio gedreht, wurde allerdings in Deutschland nie ausgestrahlt – und aufgrund mangelnder Archivierung und Überspielung alter Bänder existiert nur noch eine Folge der Ursprungsstaffel, die noch eine andere Besetzung aufwies (und die Liste der Umbesetzungen in der Serie ist lang). Daher beginnt die DVD-Auswertung auch nicht mit Staffel 1, sondern mit Staffel 4, die als Edition 1 betitelt wurde, sowie Staffel 5, die hier ebenfalls besprochen wird, als Edition 2.

Die erste Folge, die in Deutschland ausgestrahlt wurde, war eigentlich die 79. Folge, in der „Karate-Emma“ Diana Riggs einen neuen Kleidungsstil und Gestus einführte und damit die Serie zum Kult erhob. Die beiden vorliegenden Editionen 1 (Produktionsjahr 1966) und 2 (Produktionsjahr 1967) haben John Steed (Patrick Mcnee) und Emma Peel (Diana Riggs) zu Protagonisten, die sich als Vexierfiguren hervorragend ergänzen: Die Rolle der emanzipierten, schlagkräftigen, aber zugleich humorvollen und mädchenhaften Emma Peel (von Man Appeal kurz M Appeal, ergibt: Emma Peel) korrespondierte hervorragend mit der Rolle des vor britischem Witz sprühenden Gentleman John Steed, die gemeinsam Kriminalfälle lösen. Der US-Vorspann „Chessboard Sequence“ erklärt die Story rund um die „Rächer“, der deutsche Vorspann erklärt dies nicht, weswegen der Zuschauer sich die – ohnehin leicht herstellbaren – Bezüge selber erklären muss. Dabei wird das klassische Setting „Gediegener Mann in besten Jahren und jüngere, dynamische Frau“ intelligent umgesetzt, denn neben den eigentlichen Fällen stehen vor allem die beiden Protagonisten und ihre Beziehung im Mittelpunkt.

Emma Peel ist dabei ein spannendes Vexierbild zwischen autarker, dominanter Heldin – hier spielt vor allem die ausgefallene, Trends setzende Garderobe, darunter häufig Leder und Lack, sowie die Kampfkunst der Dame eine Rolle – und beschützenswerter zerbrechlicher Frau. So wird Emma Peel beim Staubputzen gezeigt, als knackige Karatekämpferin, die ihren Kollegen raushauen muss – und eben auch als verletzliches Opfer, das allzu oft gefesselt in den Fängen eines Schurken landet und von Steed befreit werden muss. Die Frage, ob Steed öfter Peel als Peel Steed retten muss, stellt sich dabei nicht: Eher die Frage, ob Peel agiler und forscher ist und daher öfter „ins Netz geht“. Dabei wird die coole Lederkluft selbst ambig, ist sie doch zum einen Ausdruck von Agilität und Dominanz, häufig jedoch auch in solchen „Bonding“-Szenen Anzeichen für die Schwäche und das Gefesseltsein der Protagonistin (man beachte dabei, dass Steed scheinbar immer nur einen Anzug trägt, Peel jedoch eine große Bandbreite solch ambiger Kleidungsstücke). Mit der latenten Beziehungsgeschichte der beiden spielt natürlich die gesamte Serie, das ist sicherlich auch einer ihrer Reize („Akte X“ lässt grüßen), man erkennt jedoch schnell, dass das abhängige Oszillieren der beiden Figuren zwischen stark und schwach gewollt und spannungsfördernd ist. Dies wird auf der für das Agentensujet typischen Ebene des Identitätswechsels natürlich weitergesponnen und verstärkt.

Was an „The Avengers“ auch solche Zuschauer faszinieren wird, die die Serie nicht von Kindesbeinen an kennen, ist vor allem die gelungene Mischung eines klassischen Motivs mit vielen neuen, absurden und höchst komischen Ideen, die viel britischen Witz verraten und einen Blick auf den alltäglichen Wahnsinn offenbaren. Einige Fälle erinnern an klassische James Bond-Plots, besonders Edition 2 bietet viele absurde Settings, dort auch vermehrt mit SF-Einschlag; nicht zuletzt erinnert der humoreske und ironische Einschlag an die „Die Profis“ (dt. Synchrofassung).

Nichtsdestotrotz besitzt die Serie eine sehr spannende dunkle Seite, die man beleuchten kann und sollte: Sado-Maso als Geisteshaltung, Bonding, Gewalt, angedrohte Verstümmelung und Folter gegen Frauen – all dies wird hier jugendfrei, innovativ und sehr geschickt an der Zensur vorbei in den Mainstream (im guten Sinne) inszeniert. Emma Peels Abschied und damit das Abklingen der Hochzeit der Serie fand in der Folge „The Forget-Me-Knot“ (!) statt, diese ist jedoch weil zur darauf folgenden Staffel gehörig in Edition 2 nicht enthalten, ist aber auf der just in zwei Teilen erschienenen Edition 3 verfügbar, die dem Verfasser noch nicht vorlag.

Mit Schrim, Charme und Melone
(The Avengers, UK 1961-1969)
Regie: Diverse; Musik: Laurie Johnson
Darsteller: Patrick Macnee, Diana Rigg, Honor Blackman, Linda Thorson, Ian Hendry, Patrick Newell, Ingrid Hafner, Rhonda Parker u. a.

Zu den DVD-Boxen von Kinowelt

Edition 1 und Edition 2 liegen in – gemessen am Alter des Materials – guter Qualität vor, die sich auch auf modernen LCDs keine Blöße gibt. Bei der deutschen Erstausstrahlung nicht inkludierte Szenen wurden nachträglich mit Originalton und Untertiteln eingefügt. Edition 1 in s/w, spätere in Farbe. Schade ist, dass keine Untertitel gibt. Der Kommentar zu jeder Episode durch Bahro/Kalkofe ist zum Glück abschaltbar, auch wenn die Grundidee, zwei (in Deutschland) prominente Fans kommentieren zu lassen, nicht schlecht ist.

Edition 1
Bild: 4:3 PAL, s/w
Ton: Deutsch (Dolby Digital 1.0), Englisch (Dolby Digital 1.0)
Untertitel: Keine (wenige feststehende bei Originalszenen)
Extras: U.a. geschnittene Szenen, „Chessboard“-Sequenz (US-Vorspann)
FSK: 12
1284 Minuten auf 8 Disks

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Edition 2
Bild: 4:3 PAL, Farbe
Ton: Deutsch (Dolby Digital 1.0), Englisch (Dolby Digital 1.0)
Untertitel: Keine (wenige feststehende bei Originalszenen)
Extras: U. a. Einführungen zu allen Folgen von Oliver Kalkofe und Wolfgang Bahro, Interviews, Trailer usw.
FSK: 12
1182 Minuten auf 9 Disks (1 Extras-Disk)

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Autor: Christian Hoffstadt

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