Sich Horrorfilme zusammen mit Kindern anzuschauen bedarf schon eines sehr ausgefeilten medienpädagogischen Konzeptes oder Erziehungsprogramms. Das Weltwissen von Kindern reicht nicht aus, um viele der Genre-Motive verstehen zu können, ihre Selbstsetzung als Subjekt, das sich von den Objekten der Welt abzugrenzen in der Lage ist, ist noch zu unvollständig, um den Horror nicht über die Maßen als Bedrohung für die eigene Existenz zu empfinden – erst recht, wenn darin die Erwachsenen als Instanzen der Sicherheit und des Vertrauens so nachhaltig beschädigt werden. Umso erstaunlicher ist es vor diesem Hintergrund eigentlich, dass es so viele Filme gibt, in denen von den Kindern selbst der Horror ausgeht und die damit eben auch auf Kinder als Darsteller zurückgreifen müssen. In den entscheidenden Situationen werden die kleinen Schauspieler dann mit Handlungen konfrontiert, die sie auf der anderen Seite der Leinwand besser gar nicht sehen sollten. In Tom Shanklands neuem Horrorfilm „The Children“ wird aus dieser vermeintlichen Diskrepanz ein ästhetisches Prinzip gemacht.
Die titelgebenden Kinder sind nämlich eigentlich nie zu sehen, wenn das mit ihnen konnotierte Grauen ins Leben der Erwachsenen tritt. Zwei Familien treffen sich im Winter im Haus der einen Familie, das ziemlich weit ab von der übrigen Zivilisation liegt. Bei den Besuchern handelt es sich um eine typische Patchwork-Familie: Der Mann ist neu eingeheiratet und bringt eine eigene kleine Tochter mit in die Familie der Frau, die selbst schon eine Tochter – mittlerweile ein Teenager – hat. Beide zusammen bekommen noch ein neues Kind, einen kleinen Jungen, der schon zu Beginn des Films kränkelt. Die Gastgeber haben nur eine kleine Tochter, die sie verhätscheln. Während die Erwachsenen ein nettes Sylvester miteinander planen, macht sich unter den Kindern eine seltsame Krankheit breit, die sie sich zuerst übergeben, sodann immer unruhiger und aggressiver werden lässt, um sie schließlich in eiskalt kalkulierende kleine Monster zu verwandeln, die einen Erwachsenen nach dem anderen in den Tod befördern. Weil das alles zunächst nach Unglücksfällen aussieht und dem Teenager-Mädchen, das Zeuge vom Komplott geworden ist, niemand glauben will, begeben sich die Erwachsenen zusehends selbst in die Gefahr, indem sie ihre Kinder davor schützen wollen.
Interessant im Sinne der Ausgangsfrage ist nun, wie „The Children“ den Kinder-Horror inszeniert und dabei schon beinahe über das Phänomen kindlicher Gewalt reflektiert. Der überaus beunruhigend inszenierte Film setzt eine ganze Reihe von Standard-Ästhetiken zur Gruselerzeugung ein: Gruppen werden in einzelne Personen getrennt, die dann der Gefahr viel stärker ausgesetzt sind als zuvor; Standard-Handlungsorte, wie der Wald oder ein Treppenhaus, in dem sich das Böse langsam seinen Weg nach oben zum ausweglosen Opfer bahnt, werden benutzt, und der Schnitt lässt die Bedrohung und die Ermordeten von einer Einstellung zur nächsten einfach verschwinden, als habe der in diesem Moment blickende, der ja auch der Zuschauer ist, das alles nur geträumt.
Und exakt in dieser Montage-Praxis steckt auch das größte Potenzial des Films. Sie sorgt nicht nur für unerträgliche optische Beschleunigung der anscheinend sehr langsam vorwärtsrückenden Mörderkinder; sie schneidet diese Kinder auch förmlich aus den Gewalt-Situationen heraus. Für den Zuschauer, der an Point-of-View-Montagen gewöhnt ist, erscheint es nicht ungewöhnlich, wenn er in einer Einstellung eine über ein wackliges Klettergerüst kriechende Frau und ein vor ihr fortkrabbelndes, weinendes Kind sieht, danach dann eine Großaufnahme nur des verzerrten Kindergesichts, und schließlich im Gegenschuss eine halbnahe Einstellung der Erwachsenen, die hintenüber kippt, mit dem Bein im wackelnden Klettergerüst stecken bleibt und sich so einen offenen Bruch des Kniegelenks zuzieht. Das Kind ist optisch längst nicht mehr da; der Kinderdarsteller beim Dreh der Splatter-Szene wahrscheinlich längst am Pudding-Buffet.
Doch hinter dieser eher filmpraktischen Betrachtung steckt auch eine narratologische Strategie: Bedrohungen im Horrorfilm manifestieren sich in den seltensten Fällen sofort und verschwinden auch häufig früher als das Übel, das sie verursachen. Monster, Mörder und – wie im Fall von „The Children“ – Kinder werden auf diese Weise im Horrorfilm zu einer Art von Katalysatoren. Sie wandeln eine Atmosphäre der Bedrohung in eine konkrete Gefahr und – wenn der Prozess einmal eingeleitet ist und sie nicht mehr benötigt werden – verschwinden genauso unvermittelt wieder, wie sie gekommen sind. Die Katastrophe lässt sich dann schon längst nicht mehr aufhalten. In „The Children“ lässt sich diese Strategie in etlichen Sequenzen beobachten – und sie führt letztlich zu einer Antwort auf die zentrale Frage des Films: Warum werden die Kinder eigentlich zu den Mördern ihrer Eltern?
Als sich am Schluss des Films zeigt, dass es sich hierbei keineswegs um ein begrenztes Phänomen handelt, wird der katalytisch-metaphorische Charakter der Kinder schnell deutlich: Natürlich sind die Erwachsenen selbst Schuld durch die Art, wie sie ihr Leben leben, wie sie sich in ihren Unaufrichtigkeiten und Uneigentlichkeiten eingerichtet haben und sich so von der direkten Unverstelltheit des kindlichen Blicks auf die Welt entfernt haben. An der Figur der Jugendlichen kondensiert diese Erkenntnis, weil sie noch genau zwischen diesen Sphären steht und für die Kinder zur Bedrohung wird, weil sie sich zu erwachsen, für die Erwachsenen aber zu verdächtig erscheint, weil sie sich zu kindisch verhält. „The Children“ ist eine junge Produktion in einer Reihe von Filmen um böse Kinder, die bis in die frühe Film-Moderne („The Bad Seed“ von 1956 oder „Village of the Damned“ von 1960) zurück reicht; alle diese Filme operieren mit denselben ästhetischen Prinzipien, um ihre zumeist gleichbleibende Moral eines aus dem Ruder gelaufenen Generationenkonflikts zu bebildern. „The Children“ macht diese Prinzipien jedoch so sichtbar, wie nur selten vorher ein Film – und bleibt dabei zugleich ein spannender und beunruhigender Horrorfilm klassischen Zuschnitts.
The Children
(UK 2008)
Regie & Buch: Tom Shankland; Musik: Stephen Hilton; Kamera: Nanu Segal; Schnitt: Tim Murrell
Darsteller: Eva Birthistle, Stephen Campbell Moore, Jeremy Sheffield, Rachel Shelley, Hannah Tointon, Raffiella Brooks, Jake Hathaway, William Howes, Eva Sayer
Länge: 84 Minuten
Verleih: Ascot Elite
Die Blu-ray-Disc von Ascot-Elite:
Bild: 1.85:1 (1080p/24p)
Ton: Deutsch (DTS-HD Master Audio 5.1, DD 5.1), Englisch (DTS-HD Master Audio 5.1)
Untertitel: Deutsch, Englisch
Extras: Interviews, Killing Kids – Making of, Featurettes: Die Drehorte, Körperteile mit Paul Hyatt, Schneedesign, Tom Shanklands Höhle, Working with the Children, Deleted Scenes, Trailer
FSK: ab 18 Jahren
Preis: 19,99 Euro
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