Schweinefleisch süßsauer

In einem kleinen südkoreanischen Bergdorf, das ausschließlich von der Landwirtschaft lebt und sich damit rühmt, noch nie Schauplatz eines Verbrechens gewesen zu sein, stapeln sich auf einmal die Leichen. Ursache für die Tode ist ein riesenhaftes Wildschwein, das auch vor Häuserwänden nicht Halt macht. Nachdem das Tier während einer großen Veranstaltung gewütet hat, macht sich eine Gruppe Unverzagter auf den Weg in den Wald, um das Tier zu erlegen …

51TgTTbDj3L._SS400_[1]„So etwas hat man noch nicht gesehen“, schwärmt einer der Darsteller des südkoreanischen Films „Keiler“ im auf der DVD enthaltenen Bonusmaterial. Man kennt diese undifferenzierten Selbstbeweihräucherungen und Lobeshymnen, die Darsteller, Produzenten und Regisseure in solchen als „Dokumentation“ oder „Making of“ verkauften Promofilmchen zu singen pflegen, und weiß sie einzuschätzen. Das Gesagte beeindruckt somit eher wenig, wenngleich das krasse Missverhältnis zwischen Aussage und Film ins Auge fällt. „Keiler“ folgt den Konventionen des Tierhorror-Subgenres stets artig, ist zudem noch nicht einmal der erste Horrorfilm mit Wildschweinbezug („Razorback“, Australien 1984, Russell Mulcahy, siehe auch hier), und sämtliche Abweichungen von der Norm ist man schnell geneigt als unverkennbare Note des südkoreanischen Kinos zu akzeptieren, das sich mit dramaturgischer Stringenz und narrativer Ökonomie ebenso schwertut wie seine chinesischen oder japanischen Nachbarn. Das Dorf und seine schrulligen Einwohner werden in einer sehr ausführlichen Exposition vorgestellt, der aus dem asiatischen Kino bekannte Gegensatz von Land und Stadt etabliert, Slapstick-Elemente und Sozialkritisches stehen gleichberechtigt nebeneinander, während der erste publikumswirksame Auftritt des titelgebenden Schweins eine ganze Weile auf sich warten lässt.

Zunächst besteht also durchaus Hoffnung, dass der asiatische Einfluss dem seit mehreren Jahrzehnten stagnierenden Tierhorror-Film ähnlich neue Impulse geben könnte, wie es Bong Joon-Ho mit „The Host“ vor ein paar Jahren für den Monsterfilm gelungen war. Die Hoffnung verfliegt letztlich zwar schnell, doch wie radikal sich der Umbruch vom semioriginellen Genrebeitrag zur Kopie vollzieht, muss schon ein wenig überraschen: Als eine Horde Wochenendjäger angeheuert wird, dem Wildschwein den Garaus zu machen, schließlich das erlegte Tier vor der ausgelassen feiernden Dorfgemeinschaft präsentiert, nur um den unvermeidlichen Skeptiker auf den Plan zu rufen, der nach einer Maulvermessung konstatiert, dass dies wahrscheinlich nicht das gesuchte Tier ist und man ihm vorsichtshalber den Verdauungstrakt öffnen solle, um Gewissheit zu erlangen, befindet man sich unverrichteter Dinge wieder im Jahr 1974, als Spielberg mit „Der Weiße Hai“ Badefreunde aus dem Wasser und ins Kino trieb: Das Vorbild wird fast einstellungsgenau dupliziert. Auch die folgende Jagd der Protagonistenschar orientiert sich an der berühmten Vorlage, vom blutigen Tod des Großwildjägers bis hin zur explosiven Beseitigung des Monstrums.

„Keiler“ ist nun also keineswegs ein Film, den man noch nie zuvor gesehen hat, doch möglicherweise ist diese Behauptung nicht einfach dem Übereifer eines von seiner Arbeit überzeugten Filmschaffenden zuzuschreiben, sondern seiner grundlegend anderen Wahrnehmung: Der Tierhorrorfilm, wie wir ihn kennen, hat nämlich überhaupt keine Tradition im (südost-)asiatischen Kino, was zunächst verwundert, wenn man bedenkt, wie oft Naturgeister und -dämonen etwa im fantastischen Hongkong-Kino oder in den Animes von Miyazaki auftreten. Führt man sich jedoch vor Augen, wie beharrlich man sich in Japan weigert, vom Walfang abzusehen, oder welche tierischen Körperteile man dort in allen möglichen Aggregatszuständen erwerben kann, um seine Potenz zu steigern, dann scheint es plötzlich sehr plausibel, dass ein auf das in den Siebzigerjahren erwachende ökologische Bewusstsein zurückgehendes Genre wie der Tierhorror-Film in Asien bislang noch keine Rolle spielte. Hier sollen nicht etwa rassistische Vorurteile bedient werden, weil der Film selbst sich diese Kritik zu eigen macht: „Keiler“ beginnt mit einer Montage mutmaßlich dokumentarischer Aufnahmen, die das respektlose Verhalten des Menschen gegenüber der Natur ins Bild setzen und kommentieren, bevor zum Auftakt ein Wilddieb dem Titelhelden zum Opfer fällt. Wenig später werden zwei Protagonisten beim gemeinsamen Abendessen gezeigt, bei dem ein lebendiger, zappelnder Fisch in die Pfanne gehauen wird: Lebendig zubereitet erhöhe er die Manneskraft, wie einer von ihnen behauptet. Auch im Folgenden thematisiert Regisseur Shin Jeong-won immer wieder das belastete Verhältnis zwischen Mensch und Natur, als deren Rächer das Wildschwein auftritt: Die Rolle des die Gefahr bagatellisierenden Machtmenschen übernimmt der Bürgermeister, der hochtrabende landwirtschaftliche Pläne hat, dabei aber nur wenig Rücksicht auf seine Umwelt nimmt, und ihm gegenüber stehen unter anderem zwei Biologiestudenten, die die Auswirkungen seines Handelns auf Flora und Fauna untersuchen wollen. So betrachtet ist „Keiler“ vielleicht tatsächlich ein Film, der in seiner Heimat Neuland betritt.

Für den westlichen Zuschauer ist „Keiler“ vor allem als Metaerlebnis goutierbar: Interessanter als der Film selbst sind die Ernsthaftigkeit und der Enthusiasmus, mit der er eine doch eigentlich uralte Geschichte erzählt, der materielle Aufwand, der betrieben, die Kreativität, die in die Waagschale geworfen wurde, um einen großen Blockbuster zu produzieren – und die Differenz zwischen diesem und einer vergleichbaren westlichen Produktion. Wenn man diese Differenz erkennt, versteht man auch schnell, wie subjektiv anscheinend objektive Zuschreibungen tatsächlich sind: Während sich die Südkoreaner nach „Keiler“ aus Angst vor Wildschweinen nicht mehr in den Wald trauen, räumen wir die DVD ungerührt zurück ins DVD-Regal und fürchten uns lieber weiter vor der Schweinegrippe.

Keiler – Der Menschenfresser
(Chaw, Südkorea 2009)
Regie: Shin Jeong-won; Drehbuch: Shin Jeong-won, Kim Yong-Cheol; Kamera: Barry Stone
Darsteller: Eom Tae-woong, Yoon Jae-moon, Yeong Ju-mi, Josiah D. Lee, Earl Wayne Ording
Länge: 120 Minuten
Verleih: Ascot Elite

Zur DVD von Ascot Elite

Bild und Ton sind zufriedenstellend, das Bonusmaterial ist jedoch leider – wie so oft bei asiatischen Veröffentlichungen – nicht besonders aufschlussreich. Schwerer weigen jedoch die technischen Probleme, die ich mit der DVD hatte: Auf meinem Player konnte ich „Keiler“ leider nicht abspielen  – die DVD blieb noch vor dem Menü hängen -, erst mit dem Laufwerk meiner PlayStation 2 hatte ich Erfolg.

Bild: 2,35:1 (16:9/anamorph)
Ton: Deutsch, Koreanisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch
Extras: Making of, Interviews, Trailer
Freigabe: FSK 16
Preis: 11,95 Euro

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