Schwein oder Nichtschwein?

Ein Greis sackt im Wüstensand zusammen, stößt einen beinahe unmenschlichen Schrei aus, unter dem sich sein Körper aufbäumt; ein Autowrack hängt kopfüber in einem vertrockneten Baumgerippe, wird von einer rätselhaften Lichtquelle angestrahlt; ein Mann sitzt auf dem Turm eines Windrades, das von einer Horde Schweine umgestürzt wird; eine Känguruhschlachterei in einer verrotteten Fabrik mitten im Nirgendwo.

razorback.jpgPassend zu einem Film, der von einem amoklaufenden Riesenwildschwein handelt, sind es eher die Bilder als einzelne Handlungselemente oder Figuren, die von „Razorback – Kampfkoloss der Hölle“ hängenbleiben. Kein Wunder, war mit Russell Mulcahy doch einer der wichtigsten Videoclip-Regisseure seiner Zeit für die Regie verantwortlich. Mulcahy inszenierte mit dem „Wild Boys“-Clip von Duran Duran und „Highlander – Es kann nur einen geben“ zwei ebenso berühmte wie stilprägende Beiträge zur Populärkultur der Achtzigerjahre und seine stilistische Handschrift, seine gestalterische Akribie, der unbedingte Wille zum Style behalten auch in „Razorback – Kampfkoloss der Hölle“ jederzeit das Übergewicht gegenüber der Inhaltsebene. Das verhindert zwar letztlich, dass sich Mulcahys Film zur Spitze des Tierhorrorfilmes emporschwingt, macht ihn aber gleichzeitig zu einem der interessantesten und ungewöhnlichsten Vertreter des eher konservativen Subgenres.

Das beginnt schon beim tierischen Protagonisten selbst, dem rasenden Wildschwein. Doch wer sich im Tierhorrorfilm etwas umgeschaut hat, weiß, dass sich dort neben den obligatorischen Haien, Krokodilen und Spinnen auch allerhand anderes kurioses Getier umher getrieben hat. Und zwischen Würmern („Squirm“), Schnecken („Slugs“) und Fröschen („Frogs“) nimmt sich auch ein Wildschwein nicht mehr so außergewöhnlich aus. Aber Mulcahy verlässt sich längst nicht auf seinen grunzenden Hauptdarsteller, drängt diesen mit seiner Inszenierung im Gegenteil sogar oft in den Hintergrund. Das australische Outback ist der heimliche Star des Films, wird in den Bildern des Oscar-Preisträgers Dean Semler („Der mit dem Wolf tanzt“) zu einer surrealen Höllenlandschaft verzerrt, die von nicht minder bizarren Kreaturen bevölkert wird. So ist der titelgebende Razorback nur eine der zahlreichen Repräsentationen des Schreckens, der hinter jedem Felsen, jeder Scheune, jedem Wasserloch zu lauern droht. Und mit dieser Überzeichnung verweigert sich Mulcahy sowohl dem genretypischen ökologischen Subtext des Tierhorrorfilms als auch klassischer Suspense – auch wenn er sich den größten dramaturgischen Kniff seines Films bei Meister Hitchcocks „Psycho“ ausgeliehen hat. „Razorback – Kampfkoloss der Hölle“ ist vor allem eine sinnliche Erfahrung, der man sich mit entsprechender Rezeptionshaltung nähern sollte.

Razorback – Kampfkoloss der Hölle
(Razorback, Australien 1984)
Regie: Russell Mulcahy, Drehbuch: Everett De Roche, Peter Brennan, Kamera: Dean Semler, Musik: Iva Davies, Schnitt: William M. Anderson
Darsteller: Gregory Harrison, Arkie Whiteley, Bill Kerr, Chris Haywood, David Argue
Länge: 91 Minuten
Verleih: e – m – s

Zur DVD von e – m – s

e – m – s bringt den Film in einer schon beinahe verschwenderischen Doppel-DVD als „Uncut Special Edition“ im Pappschuber inklusive eines 12-seitigen Booklets heraus, die der Film selbst nicht so ganz zu rechtfertigen scheint. Dennoch zeugt das auch von einer Liebe für die kleinen Randerscheinungen des Genres, die man durchaus honorieren sollte. Bei einem Film wie diesem ist die technisch ansprechende Präsentation natürlich das A und O und tatsächlich erstrahlt „Razorback – Kampfkoloss der Hölle“ in hellem Glanz. Die in kräftigen Primärfarben ausgeleuchteten Bilder kommen perfekt zur Geltung, ebenso wie der maschinelle Synthiescore des Films. Leider hat man es versäumt, eine optionale deutsche oder englische Untertitelspur mitzuliefern, was den Genuss etwas trübt, weil das breite australische Englisch nicht ganz einfach zu verstehen ist. Immerhin hat man die bislang geschnittene Szene mit Untertiteln versehen, weil sie eben nicht in deutsch synchronisiserter Form vorlag. Auf der zweiten DVD finden sich eine recht lange Dokumentation, in der viele Beteiligte zu Wort kommen, sowie Deleted Scenes. Nette Beigaben, die aber wohl auch zusammen mit dem Film auf eine Scheibe gepasst hätten.

Zur Ausstattung dieser DVD:

Bild: 2,40:1 (anamorph/16:9)
Ton: Deutsch (Doby Digital 2.0 Mono), Englisch (Dolby Digital 2.0 Mono)
Länge: 91 Minuten/93 Minuten Bonusmaterial
Extras: Trailer, Biografie, Deleted Scenes, Making of
FSK: ab 16
Preis: 12, 95 Euro

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