Eine Bibel fürs Regal

In den vergangenen Jahren geht die Welt im Kino mit immer größerem Aufwand unter. Filme wie Roland Emmerichs „2012“ oder demnächst der lang erwartete „The Road“ von John Hillcoat entwerfen Szenarien, in denen die Menschheit zum größten Teil vom Erdboden verschwindet – verbinden damit jedoch immer auch eine moralische oder häufiger sogar religiöse Agenda, nach der diejenigen, die übrig bleiben, „bessere Menschen“ werden sollen, die aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Der Tiefpunkt dieser Entwicklung findet sich in der christofaschistischen Utopie des „Left Behind“-Zyklus, der auch schon einige Filmadaptionen erfahren hat. „The Book of Eli“ von den Hughes-Brothers greift gleich mehrere filmhistorische Traditionen auf, liefert aber gleichzeitig eine beruhigende Entkrampfung des religiösen Backlashs, der in vielen dieser Filme zuletzt angeklungen war … auch wenn es zunächst ganz anders scheint.

Der Titel legt nämlich schon nahe, dass es um ein ganz besonderes Buch geht – und natürlich ist es „das Buch der Bücher“, die Bibel, die im Zentrum des Films steht. Nach einem Atomkrieg, der mittlerweile 30 Jahre zurück liegt, wurden alle Bibeln verbrannt und zerstört, weil man die destruktive Macht, die von der Religion ausgeht, und der man zumindest Mitschuld am Krieg gegeben hat, vom Erdboden verbannen wollte. Eli (Denzel Washington) hat jedoch ein Exemplar gefunden und eine innere Stimme rief ihn dazu auf, diese Bibel nach Westen zu tragen. Auf dem Fußweg dorthin begegnet er sämtlichen Fährnissen, die die postapokalyptische Wüste zu bieten hat. Neben Wasserknappheit und zumeist kannibalischen Überlebenden ist es aber vor allem die Gier des Emporkömmlings Carnegie (Gary Oldman), der marodierende Banden aussendet, ihm eine Bibel zu suchen. Mit deren Hilfe will er nämlich die Massen auf sich einschwören. Als Eli durch den Ort, den Carnegie regiert, kommt, wird seine seltene und wertvolle Fracht schnell zum Anlass eines brutalen Kampfes. Aber Eli erlebt wie durch ein Wunder jede gefährliche Situation.

Was den Menschen nach der Apokalypse abhanden kommt, fasst „The Book of Eli“ so gut wie nur wenige Filme zuvor zusammen: Es ist die Kultur. Sie stiftet den Zusammenhalt, ihr Sinnbild ist das Buch, weil es für Geschichte und Erinnerung steht. Insofern ist die Tatsache, dass sich hier die Parteien um eine Bibel streiten, tatsächlich erst einmal Nebensache. Und das Ende des Films wird zeigen, dass diese Annahme durchaus berechtigt ist, denn die Hughes-Brothers haben keinesfalls vorgehabt, eine zweite religiös verbrämte Utopie wie im Remake „I Am Legend“ zu begründen, in der der Protagonist schließlich zum neuen Heiland ausgerufen wird. „The Book of Eli“ suspendiert solche Hoffnungen, nachdem er sie zunächst eine Zeit lang genährt hat: Eli ist, anders als verschiedene Übersetzungen seines Namens suggerieren, weder ein Gott noch Gottessohn, noch ist er überhaupt unbesiegbar, sein Gang nach Westen wiederholt auch weder eine Missionierungs- noch eine Kolonialisierungsbewegung (letztere ist in den USA mit extremer kultureller Mythologie aufgeladen), seine Begleiterin ist weder die neue Maria noch noch die neue Eva. „The Book of Eli“ ist kein religiöser Film; viel eher ist er ein Film der Filme.

Denn an Allusionen sparen die Hughes nicht: Es gibt Szenen, die so sehr an die „Mad Max“-Filme erinnern – etwa, wenn Eli aus sicherer Entfernung den Überfall von postapokalyptischen Motorrad-Rockern auf ein Pärchen beobachtet, der mit einer Vergewaltigung endet; oder wenn er dem Anführer von ein paar Wegelagerern, die ihn ausrauben wollen, die Hand abschlägt und dieser sie wiederhaben möchte. Waren George Millers „Mad Max“ und „Mad Max 2“, in denen ganz ähnliche Szenen vorkommen, schon stilistische Verbeugungen vor dem Italo-Western, so ist es „The Book of Eli“ erst recht. Nicht nur lässt er einen seiner Bösewichte ab und zu Soundtrack-Stücke aus Leone-Western pfeifen, er präsentiert westernreife Shootouts und Settings. Dass die Hughes darüber hinaus eine große Verbeugung an L. Q. Jones‘ „A Boy and his Dog“ leisten, wird überdeutlich an der Gestaltung eines Gästezimmers für Eli (an dessen Wand ein Plakat des Films hängt) und an der überaus skurrilen Begegnung mit einem kannibalischen Rentnerpärchen.

„The Book of Eli“ ist also in vielerlei Hinsicht eine Entkrampfung des postapokalyptischen Kinos der jüngeren Zeit – und zwar im Modus der Ironisierung. Das soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um einen exzellent ausgestatteten und fotografierten Film handelt. Derartige, aschgraue Kaputte-Welt-Settings hat man seit „The Day After“ nicht mehr sehen können und wird ihnen wohl auch erst in „The Road“ wieder begegnen. Denzel Washington, der den Eli mit gleichsam gravitätischer Ruhe und akrobatischer Kampfkunst spielt (wenn auch vieles der Agilität der Figur sicherlich eher der Montage als dem Körper des mittlerweile 56-Jährigen entstammt), liefert eine eindrucksvolle schauspielerische Darbietung ab – ebenso sein Widersacher, von Gary Oldman gespielt. Dass daneben beinahe alle anderen Figuren verblassen, ist verzeihlich. Es bleibt zu hoffen, dass „The Book of Eli“ dem Genre einen neuen Impuls verleiht und es endlich aus seinem dogmatisch-religiösen Schlummer weckt.

The Book of Eli
(USA 2010)
Regie: Albert & Allen Hughes; Buch: Gary Whitta; Musik: Atticus Ross, Leopold Ross, Claudia Sarne; Kamera: Don Burgess; Schnitt: Cindy Mollo
Darsteller: Denzel Washington, Gary Oldman, Mila Kunis, Ray Stevenson, Jennifer Beals u. a.
Länge: 117 Minuten
Verleih: Tobis
FSK: ab 16 Jahren

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