Auf den ersten Blick, der bei einer DVD notwendigerweise ja immer auf die Paratexte, das Cover und den Titel, fällt, würde man nur schwer glauben, dass es sich bei „Sexmission“ um einen Science-Fiction-Film handelt: Der Unterkörper einer Frau im schwarzen G-String mit hochhackigen, goldenen Schuhen, zwischen ihren Beinen ein angebissener Apfel – Sinnbild für Verführung im westlichen Abendland. Im Bildhintergrund eine Barbusige, dann noch eine Frau in Dessous mit provokativ gespreizten Beinen in der Rückansicht – und schließlich, ganz unten, zwei entsetzt schauende Männer, die sich hinter dem FSK-Logo verstecken, und eine schwach dargestellte Zahl: „2044“.
Die beiden Männer sind die letzten auf der Welt und die Zahl stellt das Jahr der Filmhandlung dar. Bei einem Tiefkühl-Experiment im Jahre 1991 sind sie nicht, wie vertraglich vereinbart, nach zwei, sondern erst nach 54 Jahren 2044 wieder aufgetaut worden. Sie sind gleichermaßen amüsiert wie entsetzt, als sie erfahren, dass es einen Krieg gegeben hat, in dessen Folge alle Männer vom Erdboden verschwanden, dass die Frauen nun die Menschheit repräsentieren und sich via Parthenogenese, also Jungfrauen-Zeugung, vermehren. Zuerst glauben die beiden Männer, sie würden aufgrund von Quarantäne-Bestimmungen in ihrem fensterlosen Verlies festgehalten. Bald jedoch erfahren sie, dass man sie für gefährliche Relikte, für „die Zwischenstufe zwischen den Frauen und den Menschenaffen“ hält, wie eine Wissenschaftlerin sagt, und Experimente mit ihnen plant. Sie versuchen ihrem Gefängnis mehrfach zu entfliehen, werden jedoch immer wieder eingefangen. Denn einen richtigen Ausweg finden sie nicht: Die Welt der Frauen ist unterirdisch, die Erdoberfläche ist eine vom Krieg verwüstete und immer noch tödlich verstrahlte Einöde. Und dennoch wollen die beiden „Phallokraten“, als die sie in einem finalen Tribunal von den Frauen beschimpft werden, lieber oben an den Strahlen sterben als unten „naturalisiert“, also in Frauen verwandelt zu werden.
Das klingt überaus zotig und erinnert an Sexfilme der 1970er und 1980er Jahre, in denen zahlreiche Genres, so auch der Science Fiction persifliert wurden. Vom Gene Roddenberrys „Planet Earth“ (1974) bis zum Zeichentrickfilm „Der große Knall“ (1987) reichen die matriarchalen Dystopien, die in der Satire „Amazonen auf dem Mond“ (1987) ihre vielleicht treffsicherste Persiflage erfahren haben. Der polnische „Sexmission“ ist in dieser Hinsicht recht unbekannt geblieben und vielleicht in seiner dystopischen Qualität auch gar nicht so recht erkannt worden, schaut man sich das Werbematerial einmal an, das auf der jetzt erschienen DVD enthalten ist: Als Sexfilm gewordener Traum jedes Mannes wird er von einer lasziven Frauenstimme beworben. Dass sich hinter dem 1984 von Juliusz Machulski gedrehten Film allerdings eine recht sarkastische ideologische Parabel verbirgt (die sogar heute noch einigen sexual-ideologischen Sprengstoff bereit hält), ist von der zeitgenössischen Werbung als vielleicht nicht marketingträchtig genug unterschlagen worden.
Es ist nämlich alles gar nicht so wie es scheint, in der Welt der Frauen. Das entdecken die beiden Helden, als ihnen die Flucht schließlich doch gelingt und sie hinter die Fassade der Frauenwelt blicken können. Dort zeigt sich eine autoritäre, auf Lügen basierende Gesellschaft, in der Geschichtsklitterung betrieben wird, um dem Feind (die längst als ausgerottet geltende „Seuche namens Mann“) auch noch das letzte bisschen Humanität abzusprechen. Auf was diese Parabel im Polen des Jahren 1984 gezielt haben könnte, muss wohl nicht explizit erwähnt werden. Aber allzu schnell sollte man den Film auch nicht auf eine verborgene Ideologiekritik reduzieren. „Sexmission“ verfällt beim Vorführen seines Ideologie-verbrämten Matriarchats zwar zweitweilig ins Zotige; schildert seine Frauen als technische Analphabetinnen, lässt sie in Ohnmacht fallen, sobald ein Mann sie küsst, und zeichnet insgesamt ein überaus chauvinistisches Bild vom weiblichen Miteinander. Doch Vorsicht ist geboten vor einer allzu undialektischen Lesart, denn im weiblichen Stereotyp spiegelt sich das männliche hier umso deutlicher: Die beiden Helden sind Machos und dass sie das sind, wird vor dem Hintergrund ihrer Begegnung mit dem Anderen besonders deutlich. Die Pointe der Erzählung offenbart dies nur allzu deutlich.
Das Label „Ostalgica“ hat in der Vergangenheit schon einige Science-Fiction-Klassiker zutage gefördert, die in der Menge der Wiederveröffentlichungen bislang keine Berücksichtigung gefunden hatten. Zuletzt war etwa die Stanislaw-Lem-Adaption „Testflug zum Saturn“ erschienen. Dass allerdings nicht nur Ost-Klassiker bei „Ostalgica“ erscheinen, offenbart ein Blick ins Programm schnell: Jüngstes „Rettungsgut“ ist die US-amerikanische Kalte-Kriegs-Dystopie „Panik im Jahre Null“ (1962 – Besprechung folgt). Für die DVD „Sexmission“ hat man sich bemüht, einiges Zusatzmaterial zusammenzutragen. So enthält die DVD entfallene Szenen, Informationstafeln über die Geschichte der Parthogenese sowie Trailer und sogar einen Kommentar.
Das Bild der DVD ist adäquat aufbereitet. Man wundert sich zunächst etwas über die seltsamen Licht-Kontraste: Lampen im Bild produzieren deutlich sichtbare Auren und ihr Licht reißt sternförmig aus … bis einem klar wird, dass es der typische Chic des 80er-Jahre-Science-Fiction ist, der durch die der Verwendung von Trickfiltern zutage tritt und ebenso in der Kostümierung der Frauen (mit Hotpants und Rollerblades) seinen Ausdruck findet. Man ist also gut beraten bei „Sexmission“ auf die Details zu achten. Denn nur ein einziges mal – in der allerletzten Einstellung – wird ein Detail so stark hervorgehoben, dass auch dem Zuschauer eindeutig klar wird, dass der Film eine Parabel ist, die vielleicht auch heute noch kritisches sexual-ideologisches Potenzial besitzt.
Sexmission
(Seksmisja, Polen 1984)
Regie: Juliusz Machulski; Buch: Pavel Hajný, Jolanta Hartwig, Juliusz Machulski; Musik: Henryk Kuzniak; Kamera: Jerzy Lukaszewicz; Schnitt: Miroslawa Garlicka; Ausstattung: Ewa Grocholewicz, Wojciech Saloni-Marczewski, Janusz Sosnowski; Dekoration: Wieslawa Chojkowska; Kostüme: Malgorzata Braszka
Darsteller: Olgierd Lukaszewicz, Jerzy Stuhr, Bozena Stryjkówna, Boguslawa Pawelec, Hanna Stankówna, Beata Tyszkiewicz u. a.
Länge: 120 Minuten
Verleih: Ostalgica
Die DVD von Ostalgica:
Bild: 4:3
Ton: Deutsch (DD 2.0)
Untertitel: keine
Extras: entfallene Szenen, Info „Parthenogenese“, Kommentar, Trailer, Bilder
FSK: ab 16 Jahren
Preis: 13,99 Euro