Filmlektionen vom Theater

Monster, türkische Muskelhelden, Porno-Queens, Yoga-Akrobatinnen in Nazi-Uniform und ein Live-Hörspiel über Zombies und Kannibalen: Die bunte Mischung von Motiven und Genres, die der Berliner Allround- aber eigentlich doch immer noch Film-Künstler Jörg Buttgereit in den Sälen des „Hebbel am Ufer“-Theaters auf die Bretter brachte, war zeitweise nicht leicht verdaulich. Es dürften wohl vor allem seine Fans angesprochen gewesen sein, die Buttgereit mit Reprisen seines filmischen Werks und Aufarbeitungen seiner Radioprogramme ins Theater zog. Und dennoch war das Publikum letztlich genauso bunt gemischt wie auch das Programm. F.LM war bei allen Vorstellungen dabei, hat einiges sogar gefilmt (was hier exklusiv angeboten wird) und liefert einen Rückblick.

Der Autor dieses Rückblicks gesteht am Anfang, dass er nicht nur bei jeder Vorführung dabei war, sondern zeitweise auch involviert – als Kameramann im Publikum und einmal sogar als Fachmann auf der Bühne. Der Blick auf die fünf Folgen „Rough Cuts“ ist also nicht ganz ungetrübt von Subjektivität, kann aber vielleicht auch ein bisschen „Innenperspektive“ anbieten, die neutraleren Beobachtern fehlt. Dass der Kulturfond der Stadt Berlin die Reihe überhaupt finanziell gefördert hat und das Hebbel-Theater Buttgereit hier und da eine – wenn auch nicht immer die beste – Nische für seine Idee angeboten hat, muss zuallererst gewürdigt werden. Es ist im Theater- und Kulturleben aber vielleicht ebenso wie im akademischen Milieu: Gefördert wird mit Vorliebe das, was Grenzen überschreitet und verschiedene Sphären verbindet. Das tut Buttgereit gleich in mehrfacher Hinsicht, wenn er Film und Theater zusammenlaufen lässt (die einzelnen Filmlektionen sind von ihm zusammen mit Theater-Leuten geplant und konzipiert) und sich Genres auswählt, die im Ruf stehen, die Grenzen des guten Geschmacks zu überschreiten.

Rough Cuts #1 - Foto: Iris Weirich

Vor etwas weniger als einem Jahr hatte die Reihe am 28.03.2009 mit der Folge über „Monster“ eingesetzt und schon gleich eine Steilvorlage für das Kommende geliefert: Einen bunten Abend, ganz im Stile des Varieté hatte Buttgereit auf die Bühne gebracht: als Skelett verkleidete Musiker im Schwarzlicht, als Zombies geschminkte Kinder, einen filmwissenschaftlichen Vortrag, einen emphatischen Horror-Schauspieler und eine handvoll skurriler Kurzfilme aus der 80er-Jahre-Sammlung des Regisseurs. Gerahmt wurde das Programm von einer „Monster-Disco“ mit VJ Kai Nowak, auf der Trailer zu japanischen Horrorfilmen gezeigt und Retro-Musik gespielt wurde. Um es gleich vorweg zu sagen: Diese Vielfalt hat die „Rough Cuts“-Reihe nicht wieder erreicht – was aber auch Programm war.

Rough Cuts #2 - Foto: Iris Weirich

Die zweite Filmlektion über Action-Filme fiel dem gegenüber fast schon minimalistisch aus: Im viel kleineren HAU 3 hatte Buttgereit eine gemütliche Stube eingerichtet, saß im Unterhemd mit Bierflasche auf dem Sofa und schaute zusammen mit einem Experten (Thilo Gosejohann) einen Actionfilm, der kein gewöhnlicher war: Der als „türkischer Rambo“ bekannte Film „Kurkusuz“ (1986) in der Original-Fassung, live synchronisiert von dem der Sprache mächtigen Berliner Regisseur und Schauspieler Tamer Yigit, der bei seiner Tätigkeit äußerste künstlerische Freiheit walten ließ. Stilecht wurde dem Publikum Bier und Chips gereicht und der Abend mit einer Kick-Box-Live-Performance beschlossen.

Noch privater ging es dann bei der Filmlektion über „Sexfilme“ zu, die eigentlich eine über Pornofilme war. Das Vorspiel dürfte eigentlich schon jeden in die richtige Stimmung gebracht haben: Die Maxi-Version von Donna Summers „Love to Love you Baby“ von Platte lief, bevor es überhaupt richtig losging mit der durch ihre Synchronarbeiten für Angelina Jolie und Jennifer Conelly bekannten Claudia Urbschat-Mingues. Diese trug zunächst einen Lehrtext über das männliche Glied vor (ein Exzerpt aus Buttgereits Hörspiel „Sex Monster“), gab zwischendrin eine Live-Anleitung für Sex-Stellungen aus dem Kamasutra (eine körperliche Höchstleistung bei der ihr allerdings zu keiner Zeit die Erotik in der Stimme verloren ging) und verlas am Ende einen Werbeprospekt für Massagestäbe und Gleitcremes nebst Bestellnummer und Preis. Dazwischen ging es heiß her: Nach meinem Dia-Vortrag über die Frage, was Pornografie ist, sah sich der Regisseur Jörg Buttgereit zusammen mit der jüngst zum Pornstar of the Year gekrönten deutschen Hardcore-Darstellerin Jana Bach ein paar Ausschnitte aus Pornofilmen der 1970er Jahre an. Dabei unterhielten sie sich einerseits über das, was den Zuschauern dort in Überlebensgröße gezeigt wurde, andererseits beantwortete Jana Bach Fragen zu ihrem Beruf – ein sich sichtlich in diesem Genre wenig sicher fühlender Jörg Buttgereit sorgte dafür, dass die Filmlektion zu keiner Zeit schlüpfrig wurde, sondern den naiven Charme der vorherigen und nachfolgenden Teile behielt.


Ausschnitt aus „Rough Cuts #4: Nazi Trash“: Jörg Buttgereit und Marcus Stiglegger

Zum Nazi-Trash-Genre, dem Thema der vierten Filmlektion, hatte Buttgereit selbst schon einiges beigesteuert: Seine Kurzfilme „Blutige Exzesse im Führerbunker“ (BRD 1984), „Captain Berlin – Retter der welt“ (BRD 1982) und das auf diesem beruhende Theaterstück von 2008, aus dem letztes Jahr dann noch eine Filmversion-Version als DVD auf den Markt kam. Passenderweise lief zeitgleich zu „Rough Cuts #4“ Oskar Roehlers „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ (D 2010) auf der Berlinale, worauf Buttgereit sich auch gleich zu Beginn bezog. Vielleicht lag es am doch etwas ernsteren Thema Faschismus (wenngleich auch durch Sexualisierung und Verulkung reichlich aufgelockert), dass diese Filmlektion die „kargste“ von allen geworden ist. Nach einem berückenden Hitler-Yoga-Prolog der in eine schwarze Uniform gekleideten Claudia Steiger (die in Buttgereits Theaterstück/Filmversion „Captain Berlin versus Hitler“ die Wissenschaftlerin Dr. Ilse von Blitzen gespielt hatte) unterhielt sich Buttgereit mit dem Filmwissenschaftler Dr. Marcus Stiglegger, der seine Dissertation „Sadiconazista“ über die Rezeption des Nationalsozialismus im Trash-Film geschrieben hatte. Garniert wurde der Vortrag mit zahlreichen Filmplakaten, Stills und Ausschnitten aus Filmen, in denen das Motiv eine Rolle spielt.

Die letzte Filmlektion der “Rough Cuts”-Reihe war dann noch einmal etwas ganz anderes und besonderes: Für den WDR hatte Buttgereit 2005 das Hörspiel “Video-Nasty” produziert, in dem sich so etwas wie die Quintessenz des Buttgereit’schen Kunstschaffens finden ließe: Eine amüsante Rahmengeschichte über ein Paar in den frühen 80ern, das sich einen Videorecorder gekauft und eine Videocassette geliehen hat, um einen gemeinsamen Filmabend zu verbringen. Zunächst muss das Gerät zum Laufen gebracht werden, dann kommt der Film ins Spiel: “Irgendetwas mit Zombies und Kannibalen” fasst der Mann das Leihgut zusammen und seine zartbesaitete Frau befürchtet schon das Schlimmste. Was die beiden dann sehen ist ein Mixup aller möglichen Zombie- und Kannibalenfilme vornehmlich italienischer Produktion aus den späten 70ern und frühen 80ern – eben die Filme aus jener Zeit, in der auch Buttgereit mediensozialisiert wurde. Sein Zugang zu diesen in vielen Ländern verbotenen Filmen (in Großbritannien firmierten solche Filme als “Video Nasties” – daher der Titel der Filmlektion) ist gleichzeitig einer der Hommage und der für Buttgereit typischen “punkigen” Persiflierung.


Ausschnitt aus „Rough Cuts #5: Video Nasty“: Claudia Urbschat-Mingues, Lars Eidinger und Peter Groeger

Rough Cuts #1: Monster - Foto: Iris Weirich

Auf der Bühne inszeniert er das Hörspiel live nach und lässt fünf Sprecher in die Rollen der Protagonisten schlüpfen: Abermals Claudia Urbschat-Mingues, Lars Eidinger, Viktor Neumann, Peter Groeger, Robert Kreuzaler. Für die Live-Geräusche sorgt Jan Kufenbach. Buttgereit selbst hält sich beim Hörspiel  wortwörtlich im Hintergrund und unterstützt die Ton-Effekte mit Gehilfen bei der Soundgestaltung (etwa, indem er stöhnend und ächzend Zombie-Laute ins Mikro grunzt). Die Live-Performance fand wieder im HAU 2 statt und wurde abermals von einem Film- und Trailerprogramm gerahmt: Zuvor durften sich die Zuschauer einen in Hororfilm-Fankreisen berüchtigten TV-Dokumentarfilm aus den 80ern ansehen, nach der Vorführung gab es wieder eine Trailer-Show von Kai Nowak, der dieses Mal Vorschauen zu bekannten und weniger bekannten Horrorfilmen der 1970er und 1980er Jahre zeigte.

Rough Cuts #4: Nazi Tras - Foto: Iris Weirich

Mit fünf Teilen haben die Filmlektionen Jörg Buttgereits nun ihren Abschluss gefunden – ob die Reihe noch einmal fortgesetzt wird, darf man spekulieren. Da zu allen Episoden Kameraaufzeichnungen angefertigt wurden, wäre es unter Umständen möglich, auf jeden Fall aber wünschenswert, wenn “Rough Cuts” noch einmal auf DVD konserviert zu bekommen wäre. Da sich die Zusammenarbeit Buttgereits mit dem Hebbel am Ufer nun schon über ein paar Jahre auf sehr fruchtbare Weise hinzieht und die Filmlektionen immer stark besucht, wenn nicht sogar ausverkauft waren, wäre es möglich, in Zukunft etwas ähnliches erwarten zu dürfen. Zu einigen Filmgenres hat Buttgereit seinen Zuschauern ja noch keine Lektionen erteilt, auch wenn diese sicherlich unterhaltsam wären: Musicals, Western, Heimatfilme, Science Fiction, … allesamt Genres, die Schnittmengen zu Buttgereits eigenem Schaffen aufweisen und zu denen er sicherlich etwas beizusteuern hätte.

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