Als „Panik im Jahre Null“ im Juli 1962 seine Premiere in den US-amerikanischen Kinos hatte, dürfte kaum ein Zuschauer geglaubt haben, es handele sich bei dem Film des Schauspielers Ray Milland um einen bloßen Science Fiction. Wenige Wochen zuvor hatten die USA in der Türkei Atomraketen stationiert, die die UdSSR bedrohten; in der Startwoche des Film verschoben die Sowjets zigtausende ihrer Soldaten nach Kuba und stellten dort nun ebenfalls Atomraketen auf, die gegen die USA gerichtet waren. Die Kubakrise nahm ihren Lauf und es sah ganz so aus, als habe Milland in seinem Film den mehr als möglichen Ausgang derselben – nämlich den Atomkrieg – vorweg genommen. Jetzt, über 40 Jahre später, wirkt „Panik im Jahre Null“ wie ein typisches Film-Dokument dieser Zeit – weniger wie ein Spielfilm als wie ein Civil-Defense-Lehrfilm.
Regisseur Ray Milland spielt in seinem Film die Hauptrolle des Harry Baldwin, Ehemann von Ann und Vater der zwei Teenager Rick und Karen. Eigentlich plant die Familie einen Angelausflug übers Wochenende, der sie mit ihrem Wohnwagen heraus aus Los Angeles in die Wildnis führen soll. Doch auf halbem Weg setzt plötzlich das Radio aus und die Not-Durchsagen von CONELRAD, des Frühwarnsystems, für das die Funkfrequenzen 640 und 1240 KHz reserviert sind, gibt durch, dass es in Los Angeles zu einer Atomexplosion gekommen ist. Beim Stopp sieht die Familie in weiter Ferne einen Atompilz über der Metropole. Anns erster Impuls ist es, zurückzufahren, um nach ihrer Mutter zu schauen, aber Ray weigert sich: Das Gebiet wird vom Chaos beherrscht, wenn dort überhaupt noch jemand lebt. So überredet er seine Familie dazu, sich mit dem Notwendigsten auszustatten und wie geplant an den Urlaubsort zu fahren und sich dort zu verstecken bis die Katastrophe vorüber ist. Auf dem Weg dorthin stehen zahlreiche Hindernisse: Geschäfte, die Harry keinen Proviant und keine Ausrüstung verkaufen wollen, bewaffnete Dorfbewohner, die die Familie für Plünderer halten und eine gefährliche Gruppe von Halbstarken, die Gewalt und Angst sät.
„Panik im Jahre Null“ steht mit seinem Thema Anfang der 1960er Jahre bei weitem nicht allein da; zwar ist die Spielfilmproduktion, die das Thema Atomkrieg aufgreift, noch nicht so verbreitet, wie es 20 Jahre später der Fall sein wird, doch existieren seit Ende der 1940er Jahren eine beachtliche Anzahl Lehrfilme, die teils mit dokumentarischen, teils mit filmischen Mitteln auf den Atomkrieg vorbereiten sollen. Gerade Ende der 1950er Jahre, als klar wird, dass nun auch die Sowjets über die Wasserstoff-Bombe verfügen, steigt die Zahl solcher Filme noch einmal markant. Der zusehends heißer werdende Kalte Krieg tut ein übriges um die Produktion derselben anzukurbeln. In der Mitte dieser Filme nimmt sich „Panik im Jahre Null“ als „normaler“ Film über das Überleben angesichts der Katastrophe aus.
Millands Figur des Harry Baldwin ist die Verkörperung des Civil-Defense-Gedankens. Er ist ausschließlich um das Wohl seiner Familie besorgt, weil er weiß, dass sich bei einem Atomschlag zunächst einmal jeder der nächste ist. Er ist umsichtig bei der Beschaffung von Lebensmitteln, Werkzeugen und Waffen, wird – auch als ihm das Geld ausgeht – nicht zum Dieb (er hinterlegt Schuldscheine und freundet sich später sogar mit einem von ihm derart „beliehenen“ Händler an) und traut niemandem. Trotzdem vernachlässigt er seine Pflichten als Patriot nicht und sorgt dort, wo es nötig ist, für Ordnung. Ein unbewusstes Motiv – nämlich, dass die westliche Zivilisation zu wahren sei – leitet ihn. Es bringt ihn zu Aussagen, wie in jenem denkwürdigen Tischgespräch, in dem er seinem Sohn aufträgt: „Shave every day to remain civilized.“ Dieses Motiv wird sich im weiteren Verlauf der Geschichte des postapokalyptischen Films zusehends abschleifen – verschwinden wird es jedoch nie.
Vergleicht man „Panik im Jahre Null“ mit gegenwärtigen Produktionen des postapokalyptischen Films, wie etwa „The Book of Eli“ oder dem demnächst startenden „The Road“, ist es natürlich vor allem der Grund des Weltuntergangs, der die Filme voneinander unterscheidet. In den übrigen Aspekten gleicht der alte den neuen Filmen jedoch auf verblüffende Weise. Die Wunde, die die Ästhetik solcher Beiträge in der US-amerikanischen Kultur offenlegt, scheint also keine zeit-politische zu sein. Vielmehr ist sie in der im Katastrophenfall zusehends dünner werdenden Firnis der Zivilisation zu suchen. Alle Filme beschreiben eine kulturelle und zivilisatorische Regression, die jedoch nie über einen bestimmten Punkt hinausgehen darf: den Punkt, an dem das Rechts-/Unrechtsbewusstsein verschwindet und der Barbarei die Pforten öffnet. Es ist kaum erstaunlich, dass viele dieser Filme – so auch „Panik im Jahre Null“ – wie Western aussehen, ist der Western doch gerade das Genre, dass für diese Demarkationslinie eine passende Parabel entwickelt hat, die dann auch zeit-historisch fixierbar ist, wenn „der weiße Mann“ den nordamerikanischen Kontinent „zivilisiert“. Das im Titel enthaltene „Jahr Null“ verweist auf diesen selbst gesetzten Anfang aller Kultur. Es umschreibt den Reset, nach dem es allerdings immer mit den selben Vorzeichen weiter gehen muss.
Panik im Jahre Null
(Panic in the Year Zero, USA 1962)
Regie: Ray Milland; Buch: Jay Simms, John Morton; Kamera: Gilbert Warrenton; Schnitt: William Austin; Musik: Les Baxter
Darsteller: Ray Milland, Jean Hagen, Frankie Avalon, Mary Mitchel, Joan Freeman u. a.
Länge: 88 Minuten
Verleih: Ostalgica
Die DVD von Ostalgica
Ostalgica veröffentlicht Millands Film im Original-Format 2.35:1 (Letterbox) und mit deutscher und englischer Tonspur. Interessant sind die Zugaben zur DVD: Neben dem Drehbuch als PDF-Datei hat das Label drei Civil-Defense-Filme als Extras beigefügt. Damit verortet es den Film in der oben angesprochenen Reihe von 60er-Jahre-Produktionen.
Die Ausstattung der DVD im Einzelnen:
- Bild: 2.35:1 (16:9 Letterbox)
- Ton: Deutsch (DD 2.0), Englisch (DD 2.0)
- Untertitel: keine
- Extras: Kommentartext, Bildergalerie, Kinotrailer, Dokumentationen: „Madness“, „Operation Cue 1955“, „AtomBomb 1946“
- FSK: ab 16 Jahre
- Preis: 13,99 Euro
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