The Legend of Su

Die Geschichte des Bettlers Su, der als großer Wushu-Meister nach der Ermordung seiner Frau dem Wahnsinn verfällt, aus der Irrationalität seines vernebelten Geistes heraus jedoch den „Drunken Fist“-Stil entwickelt und somit die Welt der Kampfkunst revolutioniert, zählt zu den klassischen Stoffen der chinesischen Kung-Fu-Folklore und wurde bereits mehrfach auf die Kinoleinwände gebracht, in Gestalt von großen Stars wie Chow Yun-Fat, Donnie Yen oder Stephen Chow. Auch Regisseur Yuen Woo-Ping, der 1978 mit dem Klassiker „Drunken Master“ schon einmal eine komödiantische Variation auf den Stoff vorlegte und damit einem jungen Kampfkünstler namens Jackie Chan zum Durchbruch verhalf, versucht sich nun mit „True Legend“ erneut an einer kinematographischen Umsetzung der Legende. Für den großen Choreographen bedeutet dies die Rückkehr auf den Regisseursstuhl nach 14 Jahren, und die allzu oft auf Sparflamme gesetzten Anhänger des Martial-Arts-Kinos erkoren „True Legend“ sehr bald zum großen Hoffnungsträger des chinesischen Kinojahres. Löst der Film, der sich zudem noch mit dem Titel des ersten chinesischen Digital-3D-Films schmücken kann, diese hochgesteckten Hoffnungen aber auch tatsächlich ein?

Zunächst einmal muss konstatiert werden, dass Yuens Kampfchoreographien nichts von ihrer Wuchtigkeit verloren haben. Auf der großen Leinwand – und da gehört „True Legend“ zweifelsohne hin – wird jeder Fausthieb, jeder Tritt physisch spürbar, entwickelt die Montage einen mitreißenden, affektiven Sog. Dafür braucht es dann die Tiefenwirkung der 3D-Technik überhaupt nicht, wird diese doch ohnehin eher spärlich und auf eher ungewöhnliche Weise eingesetzt. „True Legend“ ist nämlich kein vollständig dreidimensionaler Film. Lediglich zwei Sequenzen etwa in der Mitte des Films bedienen sich dreidimensionaler Bilder, durch ein ins Filmbild geblendetes Symbol angekündigt. Damit ist recht deutlich, dass sich das chinesische Kino hier noch in einer Phase des vorsichtigen Herantastens an die neuen Bilder befindet, ähnlich wie es Hollywood vor wenigen Jahren in der IMAX-Version von „Harry Potter and the Order of the Phoenix“ handhabte.

Wo die Verwendung von RealD durch das amerikanische Kino jedoch grundsätzlich auf eine verstärkte Einbindung des Zuschauers in eine phantastische Welt abzielt, die sich in einem Raum hinter der Leinwand auftut – schönstes Beispiel dafür all die Momente des Öffnens, Fallens, Gezogenwerdens in Henry Selicks „Coraline“; aber natürlich auch die Fantasywelt von Camerons „Avatar“ – da scheint das chinesische Kino andere Potenziale im 3D-Bild zu erkennen. Und darin besteht, vom leidlichen Unterhaltungswert der jedenfalls funktionalen Narration des Filmes abgesehen, das eigentliche Faszinosum von Yuens Film.

Dieser nämlich setzt die dreidimensionalen Bilder explizit nicht zur Kreation einer als realistisch zu erfahrenden Welt ein. Im Gegenteil; insbesondere die erste der zwei dreidimensional animierten Sequenzen bebildert die Wahnvorstellungen des dem Wahnsinn verfallenen Helden, macht diese zwar affektiv erfahrbar, verortet sie aber auch in einer bewusst artifiziellen Welt. Damit knüpft „True Legend“ weniger an die realistischeren Darstellungsformen des Martial-Arts-Kinos an, sondern setzt eher die psychedelisch-dekonstruierende Linie fort, die Tsui Hark mit seinen zwei Meisterwerken „Zu – Warriors of the Magic Mountain“ und „The Legend of Zu“ zu Höhepunkten führte.

Das neue 3D-Kino – und es handelt sich hierbei fraglos, den bisherigen Wellen des 3D-Films zum Trotz, um etwas tatsächlich Neues, da erstmals eine tatsächlich akzeptable Technik zur Erzeugung dreidimensionaler Kinobilder vorliegt – steht noch ganz am Anfang seiner künstlerischen Ausformulierung, und eines der großen Projekte des Gegenwartskinos wird es sein, seine tatsächlichen Potenziale, seine Stärken und Schwächen auszumessen. Das heißt nicht, dass es dem klassischen, „flachen“ Kinobild überlegen sei, wie die Katzenbergs dieser Welt gern glauben machen würden. Ebenso wenig, wie der Farbfilm dem Schwarzweißfilm im Grundsatz überlegen wäre. (Nur im Falle des Übergangs vom Stumm- zum Tonfilm hat die Filmgeschichte – leider, vielleicht – anders entschieden.) Es stellt einfach eine weitere künstlerische Möglichkeit dar, derer sich ein Filmemacher bedienen kann oder auch nicht.

Der kulturkonservative Beißreflex der arrivierten Filmkritik zeugt dabei nicht von einer ernstzunehmenden Kritik an der neuen, sicherlich auch auf Jahr(zehnt)e hinaus noch unausgereiften Form, sondern lediglich vom Begehren, den eigenen Claim zu verteidigen und von der Kunst in alle Ewigkeit immer nur aufs Neue das bestätigt und vorgelegt zu bekommen, was man ohnehin schon kennt und weiß und somit mühelos zu klassifizieren versteht. So verunglückt auch manch eine heutige oder künftige Ausdrucksform des 3D-Kinos erscheinen mag, so aufregend wird es doch künftig sein, all diese Irrwege zu verfolgen und das allmähliche Herauskristallisieren einer eigenen Sprache des 3D-Kinos zu beobachten. Bis es eines fernen Tages vielleicht nicht nur die bombastischen Blockbusterbilder Camerons und die Jahrmarktsaffekte von „The Final Destination“ geben wird, sondern auch – träumen wird man doch dürfen! – einen Antonioni des 3D-Kinos.

True Legend 3D
(Su Qi-Er, China 2010)
Regie: Yuen Woo-Ping; Buch: To Chi-Long; Musik: Shigeru Umebayashi; Kamera: Zhao Xiaoding; Schnitt: Wenders Li
Darsteller
: Vincent Zhao, Zhou Xun, Andy On, Michelle Yeoh, David Carradine, Guo Xiaodong, Jay Chou u. a.
Länge: 116 Minuten

Dieser Text ist erstmals erschienen in Splatting Image Nr. 81 (März 2010).

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