Das also ist es, was der Krieg vom Menschen übrig lässt. Nach seiner Rückkehr aus dem Zweiten Weltkrieg bleibt vom hochdekorierten Offizier Kurokawa nur ein arm- und beinamputiertes, sabberndes, entstelltes und zur Artikulation kaum fähiges Stück Mensch zurück, mit ein paar salbungsvollen Worten und einer Urkunde, die ihn zum „Kriegsgott“ erklärt, bei seiner entsetzten Familie abgeladen. Nachdem sie den ersten Ansatz, ihren Gatten (und vor allem: sich selbst) von seinem Leid zu erlösen, verwirft, beschließt Kurokawas Ehefrau Shigeko, sich fortan um das hilflose Wrack zu kümmern. Sie findet ihren Mann dabei zurückgeworfen auf seine nackte Körperlichkeit: Schlafen, Essen, Pissen, Ficken. Mehr bleibt nicht von Kurokawa, nachdem er vom Krieg vereinnahmt, gefressen, kastriert wurde. Letzteres freilich, darin liegt die böseste Pointe hier, nur symbolisch, an Armen, Beinen und Handlungsmacht. Der Penis bleibt, ebenso wie der bloße Trieb, und der Mensch in der Welt von Kôji Wakamatsu findet sich radikal darauf reduziert.
Der bereits 74jährige Wakamatsu, einst mit einer Reihe wild-avantgardistischer, linksradikaler Sexfilme ein Revolutionär des japanischen Kinos, hat bis heute kaum etwas von seiner Radikalität eingebüßt. Auch „Caterpillar“, seine Adaption einer Erzählung des Schriftstellers Edogawa Rampo, macht in dieser Hinsicht keine Gefangenen, ist brutal, nihilistisch, kompromisslos düster. Dabei funktioniert der Film auf mindestens zwei Ebenen: als grimmiger Antikriegsfilm ebenso wie als ein Vordringen in die eigene Werkgeschichte durch Wakamatsu. Darin knüpft er durchaus an „United Red Army“ an, des Regisseurs epische Bestandsaufnahme der blutigen Selbstzerstörung der japanischen Linken in den 1970er Jahren. Die eigene Ratlosigkeit ob dieser kollektiven wie persönlichen Traumatisierung nahm Wakamatsu nun zum Anlass, weiter in die Geschichte seines Landes vorzudringen und das Scheitern der revolutionären Generation der 1960er aus den Beschädigungen der ihr vorangehenden Elterngeneration zu erklären. Denn eines ist unmissverständlich in „Caterpillar“: Wo immer Handlungsmacht gegeben ist, wo die Möglichkeit besteht zu quälen, schlagen, foltern, vergewaltigen, morden, da wird dies auch getan.
Im Kern erzählen Rampo und Wakamatsu eine Geschichte der Gewalt, die sich nur verschiebt und niemals aus der Welt zu schaffen ist. Sicher, die Geschichte des zu Hilflosigkeit und Passivität verdammten Kurokawa, der bereits in den ersten Bildern von „Caterpillar“ als grausamer Vergewaltiger gezeigt wird und der auch, so erfahren wir später, seine Frau täglich brutal prügelte, ist zugleich die Geschichte einer Ermächtigung. Die Beschädigung der Patriarchen durch den Krieg eröffnet den unterdrückten Frauen der japanischen Gesellschaft erstmals Handlungsspielräume, lässt sie Kontrolle ausüben, Macht tragen. Somit kommt der Vernichtung des militärischen Mannes, der Kriegsgott oder Raupe, jedenfalls aber kein Mensch mehr ist, hier auch eine befreiende Wirkung zu, die hier aber – und da tritt die finstere Konsequenz der Genremechanismen in Kraft; schließlich ist dies hier auch ein Horrorfilm – sogleich in neue Gewalt umschlägt. Shigeko findet allmählich Gefallen an ihrer neuen Macht und beginnt, ihren Mann zu ohrfeigen, zu beschimpfen, zu demütigen. Sie ergreift die Gelegenheit, sich für jahrelange Misshandlungen zu rächen.
Am Ende von „Caterpillar“ fallen Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Der Kaiser kapituliert, der Krieg ist vorbei, das Volk ist glücklich. Kurokawa kriecht quälend langsam zum Tümpel hinter dem Haus und ertränkt sich in dem seichten Gewässer. Der Krieg ist Vergangenheit, seine Brutalität jedoch keineswegs. Die Gewalt bleibt, ist sie einmal in der Mitte der Gesellschaft, und überträgt sich unaufhaltsam. Vom Mann auf die Frau, und weiter in die nächste Generation. Der verstümmelte Krieger ist überflüssig geworden, die militarisierte Gesellschaft hat ihn an sich gerissen, mit den Gliedern auch seine Individualität gefressen und ihn schließlich wieder ausgespuckt, und – ganz buchstäblich –: gefickt.
Caterpillar
(Kyatapirâ, Japan 2010)
Regie: Kôji Wakamatsu; Buch: Hisako Kurosawa, Izuru Deguchi, nach einer Erzählung von Edogawa Rampo; Musik: Sally Kubota, Yumi Okada; Kamera: Yoshihisa Toda, Tomohiko Tsuji; Schnitt: Shuichi Kakesu
Darsteller: Shinobu Terajima, Emi Masuda, Keigo Kasuya, Sabu Kawahara, Maki Ishikawa, Mariko Terada u. a.
Länge: 85 MinutenDieser Text ist erstmals erschienen in Splatting Image Nr. 81 (März 2010).