Monstrum

Mediävist und Cineast zu sein, ist nicht unbedingt ein Widerspruch. Denn auch wenn das im Film vermittelte Bild des „düsteren Mittelalters“ leider allzu oft das Bild jener Epoche ist, das wohl jeder im Hinterkopf hat, so ist es zumindest auch eine Freude zu sehen, dass selbst die allerneuesten Medien nicht ohne Tradition auskommen. In der Literatur vergangener Jahrhunderte finden sich erstmals die Figuren, von denen vor allem der fantastische Film bis heute zehrt: Hexen, Vampire, Wolfsmenschen, Zyklopen und Golems.

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Déjà vu

Der Reproduktionsgedanke ist am Anfang des dritten Jahrtausends überall vertreten: Medien verdoppeln die Lebenswelt, Biologen verdoppeln die Chromosomen (und damit augenscheinlich die „Individuen“) und Walter Benjamins Essay vom „Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ erlebet seine x-te Renaissance. Da wurde es höchste Zeit, dass „die Welt im Zeitalter ihrer tatsächlichen Reproduzierbarkeit“ endlich einmal auf den Punkt gebracht und mit einer Kulturgeschichte der Verdopplung begonnen wurde. Diesem Projekt stellt sich der ehrgeizige Versuch des amerikanischen Kulturhistorikers Hillel Schwartz.

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A Bug’s life

… roughly translated: Das große Krabbeln ist nach Toy Story (USA 1995) der zweite vollständig computeranimierte Langfilm Disneys. Eigentlich wollte man im Verbund mit Pixar (der Firma des Chefs Steve Jobs) seinen vollständig computeranimierten Film noch vor dem Konkurrenzprodukt Antz (USA 1998) aus dem Hause Dreamworks in die Kinos bringen. Warum es nicht geklappt hat – es hätte für Disney immerhin ein immenses weihnachtliches Zubrot bedeutet – kann nur vermutet werden. Denn viel aufwendiger als in Antz sind die Animationen nicht. Sicher ist jedoch, dass aufgrund der kurzen Abfolge der beiden Filme ein Vergleich nicht nur von Seiten der Produktion, sondern wohl auch der Zuschauer und Kritiker angestrebt ist. „A Bug’s life“ weiterlesen

Still.

Damit lässt sich Claude Chabrols neues Kriminaldrama „Die Farbe der Liebe“ wohl am ehesten charakterisieren. Und in dieser Stille unterscheidet es sich auch kaum von den anderen Filmen Chabrols, wie z. B. „Die Phantome des Hutmachers“ (1982) oder „Der Schlachter“ (1969). Ja, es führt geradezu eine Linie durch das Werk des Mitbegründers der Nouvelle Vague, durch nun mittlerweile 50 Filme, hin zu „Die Farbe der Lüge“. Eine Linie, die man bei so vielen Regisseuren der Gegenwart vermisst: eigener Stil.

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The Horror!

Wie rezensiert man ein Filmlexikon? Natürlich könnte man einige allgemeine Worte darüber verlieren, wie notwendig oder obsolet lexikalisches Wissen über dieses und jenes Genre ist. Man könnte auch eine Gegenüberstellung wagen und fragen, ob das neue Lexikon eventuell mehr oder weniger, bessere oder schlechtere Beiträge hat, als seine Konkurrenten. Interessanter scheint es da schon, wenn man in der glücklichen Lage ist, die Geschichte eines Lexikonprojektes nachzuzeichnen. Diese verrät nämlich nicht nur, was sich am Gegenstand des Lexikons über die Jahre hinweg so alles getan hat, sondern vor allem auch, ob und welchen Perspektivwechsel die Autoren durchgemacht haben.
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O Mensch gib acht, was spricht die Mitternacht

Christian von Asters Horror-Lexikon ist nun in Zusammenarbeit mit dem Universal-Filmsender „13th Street“ in einer stark erweiterten Neuauflage erschienen. Bemerkt sei hierzu, dass das mittlerweile 400 Seiten starke Werk aus dem Lexikon Imprint Verlag zunächst einmal ein Textsortenfehler ist, denn es handelt sich gar nicht um ein echtes Lexikon. Auf den ersten Blick scheint die alphabetisierte Aneinanderreihung der Stichworte zwar zum Nachschlagen zu verführen, wer sich allerdings seinen Hang zum Morbiden freimütig eingesteht, wird das dunkle Büchlein bald schon ganz brav wie einen Roman von vorn bis hinten durchlesen und dabei Erhellung über Filme, deren Regisseure, Motive, Phantastisches und Grauenhaftes in Fiktion und Wirklichkeit finden.

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Fantasyfilm

Der Fantasy-Film fristet schon von je her ein Schattendasein zwischen dem Horror- und dem Science- Fiction-Film. Das liegt augenscheinlich daran, dass die Sujets beider letztgenannter Genres verlockenderes Potenzial zu besitzen scheinen: futuristische oder grauenvolle Stoffe sind in der Publikumsgunst höher angesiedelt, als die Pittoresken irrealer Fantasiewelten.

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Auch Werner Herzog hat klein angefangen

Sie lässt immer noch auf sich warten, die große, umfassende Werner Herzog-Monografie, in der sein Werk nicht nur gewürdigt, sondern die auch analytisch Ansätze dazu geboten werden. Woran mag’s liegen? Sind Herzogs Filme zu opak oder im Gegenteil sogar zu offen(sichtlich) für eine Analyse? Anfänge gab es bereits in den 70er Jahren in motivgeschichtlich orientierten Veröffentlichungen im Hanser-Verlag. An einem liegt die Schweigsamkeit gegenüber dem »Opus Herzog« jedenfalls nicht: Werner Herzog ist nicht »out«, wie sich jetzt zu seinem sechzigsten Geburtstag wieder einmal zeigte. Im Berliner Filmhaus fand über das entfant terrible des Neuen Deutschen Films jüngst eine Ausstellung statt.

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Trash Visions

Trash (Abfall) ist – anders als im Heftthema der vorliegenden Ausgabe – auch in einem anderen medienwissenschaftlichen Diskurs zu verstehen – als Genre. Mit Trash (oder Schlock oder Sleaze) werden absichtlicht »günstig« produzierte Filme oder TV-Beiträge bezeichnet, die sich durch Eindimensionalität in Inhalt und Darstellung auszeichnen. Begonnen mit dem Horrorkino der 40er Jahre (den sog. »B-Picures«) hat sich bis heute eine Subkultur des Trash herausgebildet, die gerade durch ihre massenmediale Vervielfachung im Fernsehen zu einem nicht unwichtigen Genre geworden ist. Dort gesellen sich zu den erzählenden Werken Daily Talks, Spielshows, SitComs, Reality-TV-Shows und Dauerwerbesendungen, die sich allesamt darin ähneln, dass sie nach dem ökonomischen Prinzip (minimaler Input mit maximalem Ergebnis) hergestellt werden.

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Das ist eine harte Rede!

Daniel Fulda/Walter Pape (Hrsgg.): Das Andere Essen. Freiburg: Rombach 2001

„Das ist eine harte Rede / wer kann sie hören?“, werden die Jünger Jesu im Johannes-Evangelium der Lutherbibel zitiert, nachdem der Gottessohn ihnen vorgeschlagen hat: „Jch bin das lebendige Brot / vom Himel komen / Wer von diesem Brot essen wird / der wird leben in ewigkeit.“ Aus nicht unverständlichem Grund lehnen die Gläubigen solches Mahl empört ab, das sie zu Kannibalen machen soll und das auch heute noch im Zentrum des Abendmahls der katholischen Kirche steht: In der Transsubstanziation wird aus Wein und Keks Blut und Fleisch des Gottessohnes herbeigeredet, um es an die Gläubigen zu verfüttern.
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Es lebe das neue Fleisch

Nachdem David Cronenberg mit Crash (1996) vorläufig seinen Höhe- und Endpunkt im Erzählen menschlicher Tragödien und Allegorien des Zerfalls erreicht hatte, betritt er mit eXistenZ nun wieder altbekanntes Terrain: Horrorkino. Der Film ist dabei dem Thema verpflichtet, dem er seit seinem Debütfilm Shivers (1975) treugeblieben ist, und das sich mit den Worten Vaughans – einem Protagonisten aus Crash – ungefähr so formulieren ließe: „Die Umwandlung des menschlichen Körpers durch die moderne Technologie“.
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Ginger & Rocky

Dass man über Gefangenenlager-Filme auch lachen soll, hat nach der TV-Serie „Ein Käfig voller Helden“ abermals Roberto Benigni eingefordert. In Das Leben ist schön (I 1997) hat er eine Kleinfamilie in ein deutsches Konzentrationslager verfrachtet, wo nun der Vater darum bemüht ist, seinen Sohn von der Unmenschlichkeit der Situation zu verschonen. Das ganze nahm einen tragischen Ausgang. Ein wenig freundlicher – wohl auch weil ironischer – geht es da schon in Chicken Run zu: Eine technisch völlig überholte Eierfarm, in der die Hennen wie in einem Gefangenenlager gehalten werden, soll in einen rentablen Mastbetrieb umgewandelt werden. Dass es dem lieben Vieh dabei an die Federn geht, ist allen schnell klar; und so ersinnt die eifrige Henne Ginger einen Fluchtplan nach dem anderen. Als alle Pläne fehlschlagen und die Hühner schon auf- und sich in ihr Schicksal ergeben wollen, landet plötzlich der Zirkushahn Rocky auf dem Gelände. Ginger, die ihn bei seinem spektakulären Flug beobachtet hat, sieht in Rocky die letzte Chance, sich und ihre Kolleginnen aus der Farm zu befreien und hinüber zum grünen Hügel zu fliegen. Daher trifft sie mit Rocky ein Abkommen: Wenn er ihnen das Fliegen beibringt, verstecken sie ihn vor den ihn suchenden Zirkusleuten. Hier nun beginnt der eigentliche Film, der das verkrampfte Bemühen des Federviehs zeigt, fliegen zu lernen, sich an den feschen Rocky ranzuschmeißen und nebenher den Fortgang der Umwandlung der Farm in eine Tötungsanstalt zu vereiteln. Mehr als einmal wird der Bau der Maschine sabotiert, die aus lebendigen Hühner wohlschmeckende Pastete zu machen verspricht. Ein Wettlauf gegen die Zeit. „Ginger & Rocky“ weiterlesen

Arnold Schwarzenegger im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit

Die Frage nach dem filmischen Original hatte Walter Benjamin bereits 1936 geklärt: In einer Maschinerie, wie der Medienproduktion, die von Vervielfältigung lebt und deren Produkt immer schon das „Negativ“ ist, bleibt die Frage nach der Echtheit obsolet. Knapp 40 Jahre später griff Jean Baudrillard das Problem ein weiteres Mal auf, jedoch nun in Hinblick auf die medial überflutete Gesellschaft. Auch seine Frage nach dem „Original der Information“ wurde negativ beantwortet und werfen darüber hinaus Zweifel am Begriff der „Wirklichkeit“ auf. Das 20. Jahrhundert scheint also als eine Epoche der Fälschung, der Kopie, der Simulation entlarvt worden zu sein. Derlei Befunde können sich mittlerweile von den neuesten Errungenschaften der Biotechnik bzw. Gentechnik bestätigen lassen. Kopien lassen sich nicht mehr nur von Medien herstellen, sonder mittlerweile auch von „Individuen“ – und zweifeln damit allein schon den Begriff des Individuellen in seiner ursprünglichen Bedeutung – der Unteilbarkeit – an.

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»Eine fremde, seltsame Welt«

Mit „A strange world. Das Universum des David Lynch“ liegt die zweite deutschsprachige Publikation über David Lynch von 1998 vor. Der Band enthält auf mehr als 300 Seiten Aufsätze verschiedener Autoren zum Werk des amerikanischen Regisseurs. In einem jedoch unterscheidet er sich von allen deutschsprachigen Veröffentlichungen: Die Beiträge sind sowohl von ihrer Sprache als auch von ihren Themen durchgängig (film-) wissenschaftlich gehalten. Somit bietet der Ludwig-Verlag nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Forschung sondern stellt auch gleichzeitig einen Ausschnitt derselben dar. Dass das Buch als Einführung in die Thematik daher ungeeignet ist, versteht sich von selbst.

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Kinder des Schattens

Dass jeder Film neben seiner Geschichte auch von der Bedingung seiner Möglichkeit erzählt – mal offensichtlich, mal zwischen den Bildern – ist hinlänglich bekannt. So ist jedes Melodram gleichzeitig Stellvertreter und Vorreiter für sein Genre, genau wie jeder Western und natürlich auch jeder Horrorfilm. Den Horrorfilm knüpfen darüber hinaus engere Bande an seinen materiellen Träger und damit an den Apparatus des Kinos als alle anderen Genres. Stellen doch Erzählung und Medium in ihm gleichzeitig ihre Substanz aus Licht und Schatten aus, die einander bedrohen und bei denen die Anwesenheit des einen die Abwesenheit des anderen bedeutet: Ein hell erleuchteter Kinosaal verunmöglicht die Projektion genau so wie ein überbelichteter Filmstreifen. Vampire, künstliche Menschen, Werwölfe – auch sie sind abhängig von der Dunkelheit und fürchten das Licht.

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Wunden

Wunden sind sichtbare Zeichen für Verletzung und Schmerz. Sollen diese eigentlich nicht-kommunizierbaren Phänomene vermittelt werden, so ermöglicht die Darstellung der Wunde dies noch am besten. Über sie wird beim Betrachter Empathie evoziert – aber auch Abscheu. Die blutende Wunde stößt ab – der Verwundete fordert jedoch Anteilnahme ein. Über den filmischen Kodierungsprozess und dessen Interpretation durch den Betrachter lassen sich eine Reihe sichtbarer und unsichtbaerer Wunden darstellen: von der Verletzung des Körpers über das psychische Trauma bis hin zur historischen (Erb-)Schuld. Filme bilden jede Form von Verwundung ab und bieten sich selbst als Bestandteil des Heilungsprozesses an.

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Welcome to the Swamp!

Auf dem Abfallhaufen der Filmgeschichte tümmeln sich neben unwerten Produkt(ion)en von 100 Jahren Filmgeschichte allerlei unliebsame Gesellen: Gangster, Serienmörder, Tagediebe, Schmarotzer, Junkies, … Sie bevölkern das kontemporäre Kino – nicht mehr als sein Gegenstand (in moralisierenden Dokumentarfilmen), sondern als dessen Helden, als Archetypen und Sinnbilder der »Schere des Kapitalismus«, die – zumindest im Kino – nur noch ganz Arme und ganz Reiche zu kennen scheint.

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