The Horror!

Wie rezensiert man ein Filmlexikon? Natürlich könnte man einige allgemeine Worte darüber verlieren, wie notwendig oder obsolet lexikalisches Wissen über dieses und jenes Genre ist. Man könnte auch eine Gegenüberstellung wagen und fragen, ob das neue Lexikon eventuell mehr oder weniger, bessere oder schlechtere Beiträge hat, als seine Konkurrenten. Interessanter scheint es da schon, wenn man in der glücklichen Lage ist, die Geschichte eines Lexikonprojektes nachzuzeichnen. Diese verrät nämlich nicht nur, was sich am Gegenstand des Lexikons über die Jahre hinweg so alles getan hat, sondern vor allem auch, ob und welchen Perspektivwechsel die Autoren durchgemacht haben.

In dieser Hinsicht gibt es über „Das neue Lexikon des Horrorfilms“ von Ronald M. Hahn und Rolf Giesen einiges zu berichten. Gestartet wurde das Projekt nämlich bereits im Jahre 1985 (damals noch ohne Giesen und mit dem Koautoren Volker Jansen). Natürlich ist seit dem eine Menge Blut die Leinwände hinab geflossen und das Genre des Horrorfilms hat sowohl filmästhetisch als auch ökonomisch ganz neue Bedeutung gewonnen.

Daraus ergibt sich vor allem die Differenz in der Wertschätzung, welche die Autoren dem Genre damals angedeihen ließen und sie ihm heute entgegenzubringen: In der 1985er-Ausgabe schien es fast so, als wäre eine systematische Enzyklopädie des Horrorfilms mehr notwendiges Übel als interessante Herausforderung. Den Eindruck der „Verachtung“ gegenüber Filmen wie Zuschauern bestärkten die damaligen Autoren nicht nur in der oft miserablen Qualität ihrer Besprechungen, sondern auch in Ihrem Vorwort, in dem es etwa über nicht in das Lexikon aufgenommene Filme hieß: „Wer deswegen enttäuscht ist, weil er gerade die auf dem Index stehenden Horror-Filme für »super« (oder wie der passende Ausdruck momentan lautet) hält), darf wissen, dass wir am größten Teil dieses menschenverachtenden Schundes eh kein gutes Haar gelassen hätten. Die meisten indizierten Video-Filme, meinen wir, sind zu recht indiziert.“

Vergessen, vergeben! Denn dem Horrorfilm und seinen Zuschauern wird in der 2002er-Neuausgabe des Lexikons wesentlich angemessener Beachtung und Respekt gezollt. Nicht nur, dass sich der Umfang an besprochenen Filmen mehr als verdoppelt hat, auch wurden etliche der Kritiken des alten Bandes in ihren geifernden Film(ver)rissen stark entschärft und relativiert. Natürlich – und das liegt teilweise in der Natur des Genres – gibt es auch in der Neuausgabe immer noch bösartige Besprechungen. Doch die tragen eigentlich mehr zum „Lesespaß“ bei. Denn das Lexikon versteht sich keinesfalls allein als „Nachschlagwerk“ sondern auch als kritische Auseinandersetzung und Rezeptionsgeschichte. Hierauf deuten vor allem die oftmals augenzwinkend übernommenen Filmkritiken zeitgenössischer filmblätter hin.

Eingestreut in das Werk sind – wie damals schon, jedoch in weit größerem Umfang – Texte zu heraus stechenden Motiven und Personen des Horrorfilms. An ihnen lässt sich die gewandelte Perspektive der Autoren am deutlichsten ablesen: Waren es 1985 noch allein die ganz Großen des Genres, die eine eigene Textbox bekamen, so haben sich diesen nun sogar Lucio Fulci, Tom Savini und andere „Newcomer“ zugesellt. Und auch die Einleitung des fast 800seitigen Bandes nimmt sich heute etwas differenzierter aus: In einem dreiseitigen Abriss der Horror(film)-Geschichte finden wie selbstverständlich auch die damals verschmähten Serienkillerfilme der 70er und 80er Jahre Eingang.

Auch der Duktus der Einführung nimmt sich nicht mehr ganz so positivistisch aus, wie noch in der 85er-Ausgabe: Auf das schon damals ziemlich „niedlich“ wirkende Schaubild, das dem geneigten Leser die Unterschiede zwischen Fantasy-, Horror-, Psychothriller-, und Science Fiction-Film vor Augen halten sollte, wird in Anerkenntnis der inhärenten Hybridität des Horrorfilms ganz verzichtet.

Dafür wird die angesetzte Genregeschichte in interdiskursive Zusammenhänge gestellt – wobei offenbar auch ein Blick auf die „Wirkung“ von Filmgewalt und das Datum „11. September“ sowie die Stadt „Erfurt“ nicht fehlen durfte. Soviel Begründung scheint es dann wohl doch noch zu brauchen, wenn man sich mit dem Horrorfilm auseinandersetzen will.

Ronald M. Hahn & Rolf Giesen
Das neue Lexikon des Horrorfilms
ca. 1800 Einträge, zahlreiche Abbildungen
Berlin: Lexikon Imprint Verlag, 2002
780 Seiten, Paperback
29,90 Euro

Stefan Höltgen


Bei dieser Rezension handelt es sich, wie im Text erwähnt, um die Neuauflage des „Lexikon des Horrorfilms“ bekommen, welches erstmals bei Bastei im Jahre 1985 erschienen ist. Die damaligen Autoren (Ronald M. Hahn und Volker Jansen) hatten bei mir immer den Eindruck erweckt, als hätten sie das Lexikon nur veröffentlicht, „weil man eben auch auf solche Filme wohl mal hinweisen muss“. In dem Bändchen mit 700 Einträgen ist nämlich so gut wie kein Film, der nach 1930 produziert wurde, gut weggekommen. Ich zitiere mal eine übliche Kritik des Lexikons von damals:

Fröhliche Weihnacht:

Hirni, der als Kind zusehen mußte, wie ein als Nikolaus verkleideter Mann seine Mutter umbrachte, fängt an, dem gleichen Hobby zu frönen.

(Jansen/Hahn. Lexikon des Horrorfilms, Bergisch Gldb. 1985, S. 607)

Nein, das war kein Auszug und das ist auch nicht von Don Martin (trotz der Worte „Frön“ und „Hirni“)! Das war eine Komplettbesprechung zu „Fröhliche Weihnacht“ aus besagtem Lexikon. In der Neuauflage von 2002 mit mehr als 1800 Einträgen nimmt sich das schon etwas differenzierter aus:

Fröhliche Weihnacht:

Irrer Mörder, der als Kind zusehen musste, wie jemand in der Maske des heiligen Nikolaus seine Mutter umbrachte, versetzt London in Angst und Schrecken, als er in der Weihnachtszeit einem ähnlichen Hobby fröhnt: Er bringt Weihnachtsmänner um. Zu den Hauptverdächtigen dieses preiswerten Films gehört auch der Inspektor, der sich (erfolglos) bemüht den Killer zu schnappen. »Lustlos tischt das Drehbuch … eine Unmenge von Hinweisen, Zeugen und Verdächtigen auf, ohne sich im weiteren Verlauf noch um sie zu kümmern. Bezüge zwischen der ausgiebig gezeigten Halbwelt Londons, die psychologische Erklärung wirkt so lächerlich wie aufgesetzt.« (Norbert Stresau. Enzyklopädie des phant. Films)

(Giessen, Hahn. Lexikon des Horrorfilms. Berlin 2002, S. 234)

OK. Zwar auch ein Verriss, aber einer mit Begründung und fast ohne Schmähwörter. In dem Lexikon sind neben Filmen und Genretypologien (gab’s auch schon im alten, aber die herzzerreißende „phänomenologische“ Übersicht des phantastischen Films fehlt leider in der Neuausgabe) Biografien zu finden, die sogar (1985 noch zu Unpersonen erklärte) Regisseure wie Lucio Fulci mit einbeziehen!

Ich nehme mal an, dass die „Gestaltwandlung“ der Neuausgabe (von Neuauflage kann man weder im technischen noch im inhaltlichen Sinne sprechen), nicht einzig dem Auswechseln von Jansen (lebt der noch?) gegen Giessen geschuldet ist. Denn sowohl das neue Vorwort als auch die Pesseankündigung verweisen auf die Misere des Horrorfilms nach dem 11.9. und nach Erfurt. In der Pressemitteilung des Verlags heißt es zu dem Buch:

Gewaltexzesse wie der Anschlag in Erfurt bringen die einschlägigen Filmgenres immer wieder
auf den Prüfstand. Die Produktionsfirmen drosseln daraufhin zwar ihr Tempo. Doch sobald die Erinnerung an den realen Schrecken verblasst, lockt der Horror die Zuschauer erneut vor die Leinwände und Bildschirme.

Hätte ich es nicht gratis zur Rezension bekommen … ich würde es mir glatt kaufen! (Meine alte Ausgabe behalte ich – ob deren Trashigkeit – natürlich trotzdem!)

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