Es lebe das neue Fleisch

Nachdem David Cronenberg mit Crash (1996) vorläufig seinen Höhe- und Endpunkt im Erzählen menschlicher Tragödien und Allegorien des Zerfalls erreicht hatte, betritt er mit eXistenZ nun wieder altbekanntes Terrain: Horrorkino. Der Film ist dabei dem Thema verpflichtet, dem er seit seinem Debütfilm Shivers (1975) treugeblieben ist, und das sich mit den Worten Vaughans – einem Protagonisten aus Crash – ungefähr so formulieren ließe: „Die Umwandlung des menschlichen Körpers durch die moderne Technologie“.

eXistenZ ist ein Computerspiel der besonderen Art, bei dem der Spieler selbst zur Spielfigur wird. Über einen Anschluss („Bioport“) in der Wirbelsäule wird die Konsole, die selbst organisch ist, mit dem Nervensystem des Spielers verbunden und überträgt die Spieldaten in dessen Bewusstsein: Das ist virtuelle Realität in Reinkultur. Bei der Präsentationsveranstaltung, auf der das Spiel der Weltöffentlichkeit vorgestellt werden soll, findet ein Attentat auf die Erfinderin Allegra Geller (Jennifer Jason Leigh) statt. Mit Mühe entkommt sie den Attentätern und flieht mit ihrem Leibwächter Ted Pikul (Jude Law) aufs Land. Die feindlichen Agenten, die ihr nach dem Leben trachten (denn mit eXistenZ ist auch die politisch-philosophische Frage nach dem Wert der Realität verbunden), sind beiden immer auf den Fersen. Selbst Freunde und Bekannte von Allegra, bei denen sie Hilfe sucht, entlarven sich alsbald als ihre Feinde. Nebenher führt Allegra ihren Leibwächter in das Spiel ein. Auch er lässt sich auf einer alten Tankstelle von Gas (William Dafoe) einen Bioport verpassen und dringt zusammen mit Allegra in die virtuellen Tiefen von eXistenZ ein. Was ursprünglich dazu dienen sollte, eventuelle Beschädigungen des Prototyp-Spiels herauszufinden, mündet schließlich in einen Subplot, der sich nicht anders als „organischer Horrorthriller“ bezeichnen lässt. Seltsam mutierte Echsen, Waffen aus Knochen und Fleisch mit Zähnen als Munition und anderes Groteskes des Cronenberg’schen Arsenals bilden die Materie des Spiels von Allegra.

Cronenbergs eXistenZ bildet auch eine weitere Facette seiner philosophischen Fragestellung. Das „Leib-Seele-Problem“ steht dabei im Mittelpunkt seines Interesses, wieder einmal verpackt in einem für ihn typischen Horrorfilm. eXistenZ hat dabei allerdings mit Probleme zu kämpfen. So ambitioniert, wie Cronenberg seine Fragestellung hier weiterentwickelt, lässt er doch einige Male das Wahrscheinliche außer Acht. Zudem wirken einige Szenen des Films schon fast peinlich infantil – gerade wenn es um die Gegnerschaft von „eXistenZ“ialisten und „transCendeZ“ialisten geht.

eXistenZ ist ein verschachtelter Film, bei dem die Realitätsebenen ständig wechseln. Dies zu inszenieren gelingt David Cronenberg meisterhaft. Der Film weißt damit allerdings auch eine Pointe auf, die man weiterzuerzählen vermeiden sollte. Zwar verlöre eXistenZ dadurch nicht seinen Reiz als Cronenbergfilm, jedoch mag man sich dann nicht mehr so recht in die Erzählung einfühlen – Vielleicht macht dies und die beschriebenen Mankos eXistenZ zu einem Film den es sich einmal zu sehen lohnt.

Stefan Höltgen

eXistenZ
Can/GB 1999
Regie & Buch: David Cronenberg;
Kamera Peter Suschitzky;
Musik: Howard Shore;
Darsteller: Jennifer Jason Leigh, Jude Law, William Dafoe uva.

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