Der Alte Diogenes von Sinope hat einmal – lang vor der Erfindung des Films und damit des Filmbuches – behauptet, das schönste unter den Menschen sei die Redefreiheit. Nun, Diogenes, der alte Zyniker, kannte Vinnie St. Johns Buch „Murdermind“ nicht. Sonst hätte er anders gesprochen.
Auf etwa 190 Seiten entfaltet St. John seine Gedanken über das Phänomen des Serienkillers, nicht ohne zuvor auf dem Buchdeckel reißerisch zu proklamieren „Ein gnadenloses Buch über gnadenlose Menschen und ihre Wahnsinnstaten. Unzensiert – erschreckend – grausam“. Und wie Recht soll er behalten: Das Buch ist in der Tat erschreckend und grausam, aber nur WEIL es unzensiert (d. h. unlektoriert) geblieben ist.
In krudester Vulgärsprache nimmt sich St. John dem Wirken und Werken von etwa 10 Serienmördern (ein Inhaltsverzeichnis gibt es nicht) des 20. Jahrhunderts an. Seine reduzierte Auswahl begründet er genau so wenig, wie den Grund, ein solches Buch überhaupt geschrieben zu haben. St. John begründet gar nichts, denn sein Text kommt in der primitivsten Gossensprache daher, die noch nie etwas zu argumentieren brauchte, wenn sie nur genug Kraftausdrücke zur Hand hatte. Dabei scheut sich St. John weder vor stammtischparolierenden Gemeinplätzen („Amerika ist krank. Ein Tumor. Ein Geschwür. Bösartig. Ein Volk, das mit Scheuklappen durch’s Leben latscht und nur das sieht, was es sehen will.“) noch vor wilden Spekulationen („Augusta Gein war eine Herrschsüchtige, Dominante und gottesfürchtige Wetterhexe der allerschlimmsten Sorte (…) Eine unbequeme, keiffende Alte Schachtel (…) deshalb vergurgelte ihr Mann auch Unmengen an Alkohol.“). Ihm ist kein Mittel zu schade, um seinen ohnehin erbärmlichen Gedankenketten noch die absurdesten Theorien hint- oder vornan zu stellen. So behauptet er über die Motive des Serienkillers: „Er hatte möglicherweise eine versaute Kindheit, mittelmäßige Bildung und schlechte Erfahrungen im Umgang mit Frauen. Eventuell ist er auch noch Impotent oder kam nie zu richtigen Geschlechtsverkehr.“
Hier erhärtet sich ein Verdacht, der auf dem Buchdeckel schon angedeutet wurde: „Serienkiller (..) sind nicht die Monster, wie man annimmt, nein, sie sind das Produkt zerrütteter Familien, brutaler Erziehung, sexueller Mißhandlungen und mangeldner Liebe.“ St. John entlehnt „seine“ Gedanken den vollständig überkommenen vulgär-psychologsichen Klischees pädadogischer Provenienz. Jedem seiner – nach eigener Angabe in „Romanform“ (nicht nur dem Germanisten stehen die Haare zu Berge!) verfasster – Serienkillerbiografien lässt er eine unerhört subjektivistische Sicht auf Motive und Fakten angedeihen. Aus etlichen Textstellen lässt sich gar entnehmen, dass St. Johns einzige Quellen ausschließlich die Spielfilme, die über die Jahre zu den genannten Serienkillerbiografien entstanden sind, bilden.
Unnötig hinzuzufügen, dass St. John sich schnell und gründlich in seinen eigenen analytischen Gehversuchen verhaspelt. Objektivität in der Darstellung versprechend buhlt der Text in jedem Wort mit prahlerischen Dummheiten. Und darüber hinaus fügt der Autor noch jeder seiner Serienkillerbiografien eine „Filmografie“ hinzu, die aus nichts anderem als dem Geständnis besteht, ein unkritischer, fachfremder Gorehound zu sein, etwa, wenn er über „Citizen X“ resümmiert: „Kein Overacting, kein Hollywood Quatsch sondern beinharte Realität kracht den Zuseher an den Kopf. Volles Brett.“
Nicht unerwähnt sollte auch die „Edition“ des Bandes bleiben. Ein Lektorat kennt der Verlag wohl genauso wenig, wie der Autor die Regeln deutscher Orthografie. Keine Seite verfügt über weniger als 10 Tipp-, Orthografie- oder Grammatikfehler. Bei langen Sätzen (wohl dem Merkmal komplexerer St. John’scher Gedankenketten) vergreift der Autor sich schon bis zu zwei Mal im Fall. Jeder seiner Sätze endet mit einem Absatz, was das ohnehin unangenehme Lesen vollends erschwert. Insgesamt ist die Aufmachung des Bandes ein deutliches Zeichen für dessen inhaltliche Qualität – und man möchte sich den sarkastischen Kommentar kaum verkneifen, dass dieses Buch ein gutes Beispiel dafür ist, nicht alles, was gedacht wird auch unbedingt geäußert werden sollte. Manche Dinge sollte man besser für sich behalten. In St. Johns Fall: die halbgaren Gedanken, im Fall des potenziellen Käufers: die 19,90 Euro.
Das Buch ist also allenfalls als Erheiterung zu ertragen und auch dann wohl nur für alte Zyniker, wie Diogenes von Sinope einer war.
Vinnie St. John
(Neuerdings: Vinnie Rauscher)
Murdermind – Serienmörder
Ein gnadenloses Buch über gnadenlose Menschen und ihre Wahnsinnstaten
Unzensiert – erschreckend – grausam
Medien- Publikations- und Werbegesellschaft mbH
MPW-Filmbibliothek, Hille 2000
Taschenbuch, 191 Seiten, 19,90 Euro
Stefan Höltgen