Daniel Fulda/Walter Pape (Hrsgg.): Das Andere Essen. Freiburg: Rombach 2001
„Das ist eine harte Rede / wer kann sie hören?“, werden die Jünger Jesu im Johannes-Evangelium der Lutherbibel zitiert, nachdem der Gottessohn ihnen vorgeschlagen hat: „Jch bin das lebendige Brot / vom Himel komen / Wer von diesem Brot essen wird / der wird leben in ewigkeit.“ Aus nicht unverständlichem Grund lehnen die Gläubigen solches Mahl empört ab, das sie zu Kannibalen machen soll und das auch heute noch im Zentrum des Abendmahls der katholischen Kirche steht: In der Transsubstanziation wird aus Wein und Keks Blut und Fleisch des Gottessohnes herbeigeredet, um es an die Gläubigen zu verfüttern.
Das Motiv des Kannibalismus zieht sich durch alle Zeitalter und alle Diskurse menschlicher Kultur. Wohl keine menschliche Handlung ist in so vielen Gesellschaften tabuisiert und übt gleichzeitig eine derartige Faszination aus, wie die Menschenfresserei. Daher verwundert es auch nicht, dass sich der Kannibalismus blutrot durch die gesamte Medien- und Menschheitsgeschichte verfolgen lässt, vom homerischen Epos bis zum Hollywoodkino. Denn die Abbildung, Schilderung oder auch nur Andeutung, dass der Mensch ißt, was er ist, war und ist ein publikumsträchtiges Spektakel.
Im Rombach-Verlag ist nun ein Sammelband von Daniel Fulda und Walter Pape erschienen, der 16 Aufsätze zum Thema „Kannibalismus als Motiv der Kulturproduktion“ umfasst. In vier Oberkapiteln behandeln die Autoren historisch-kritische Alteritätskonzepte („Die Entdeckung des Anderen“), kulturanthropologische („Kultur und Identität im Spiegel der Anthropophagen“), literatur-ästhetische („Ästhetik und Medialität der Anthropophagie“) und last but not least medienwissenschaftliche Konzepte („Die Wiederkehr der Kannibalen“). Zwar geben sich dezidiert nur die letzten beiden Aufsätze dem Thema Kannibalismus im Film hin, doch es liegt in der Natur des Themas begründet, dass der Kannibalenfilm ohne seine literarische Vorspeise wohl kaum möglich gewesen wäre und auch diese wiederum ohne die historische Anthropologie und die Kolonialismusforschung mit leerem Magen dastünde.
Daher passt der Untertitel des Buches („Kannibalismus als Motiv und Metapher in der Literatur“) nicht so recht, denn es wird zwar viel Literatur zitiert, doch eben mit mehr kulturwissenschaftlich weitem, als literaturwissenschaftliche engem Blick. So rundet der Aufsatz über das klassische Kannibalenkino der Münchener Filmwissenschaftlerin Michaela Krützen den ganzen Band ab und setzt seine Lektüre gleichsam voraus. Krützen konzentriert sich in ihrem Text zwar detailanalytisch auf Thomas Harris’ Kannibalen Hannibal, streift jedoch auch zahlreiche andere Filme des Subgenres und ergänzt ihren Text durch eine Kannibalenfilmografie, die Ihres gleichen sucht!
Der Band ist sicherlich – allein schon wegen des Umfangs von 550 Seiten und des hohen Niveaus der darin versammelten Texte – keine Zwischenmahlzeit. Wer allerdings sein Verständnis des wohl interessantesten Motivs des Horror(film)s um eine kritische und verstehende Perspektive erweitern möchte, dem wird das Buch sicherlich auch nicht lange schwer im Magen liegen.
Daniel Fulda / Walter Pape (Hg.)
Das Andere Essen – Kannibalismus als Motiv und Metapher in der Literatur
Rombach Wissenschaften – Reihe Litterae, Bd. 70
Rombach-Verlag 2001
Taschenbuch, 548 Seiten, 50,20 Euro
Stefan Höltgen