Ginger & Rocky

Dass man über Gefangenenlager-Filme auch lachen soll, hat nach der TV-Serie „Ein Käfig voller Helden“ abermals Roberto Benigni eingefordert. In Das Leben ist schön (I 1997) hat er eine Kleinfamilie in ein deutsches Konzentrationslager verfrachtet, wo nun der Vater darum bemüht ist, seinen Sohn von der Unmenschlichkeit der Situation zu verschonen. Das ganze nahm einen tragischen Ausgang. Ein wenig freundlicher – wohl auch weil ironischer – geht es da schon in Chicken Run zu: Eine technisch völlig überholte Eierfarm, in der die Hennen wie in einem Gefangenenlager gehalten werden, soll in einen rentablen Mastbetrieb umgewandelt werden. Dass es dem lieben Vieh dabei an die Federn geht, ist allen schnell klar; und so ersinnt die eifrige Henne Ginger einen Fluchtplan nach dem anderen. Als alle Pläne fehlschlagen und die Hühner schon auf- und sich in ihr Schicksal ergeben wollen, landet plötzlich der Zirkushahn Rocky auf dem Gelände. Ginger, die ihn bei seinem spektakulären Flug beobachtet hat, sieht in Rocky die letzte Chance, sich und ihre Kolleginnen aus der Farm zu befreien und hinüber zum grünen Hügel zu fliegen. Daher trifft sie mit Rocky ein Abkommen: Wenn er ihnen das Fliegen beibringt, verstecken sie ihn vor den ihn suchenden Zirkusleuten. Hier nun beginnt der eigentliche Film, der das verkrampfte Bemühen des Federviehs zeigt, fliegen zu lernen, sich an den feschen Rocky ranzuschmeißen und nebenher den Fortgang der Umwandlung der Farm in eine Tötungsanstalt zu vereiteln. Mehr als einmal wird der Bau der Maschine sabotiert, die aus lebendigen Hühner wohlschmeckende Pastete zu machen verspricht. Ein Wettlauf gegen die Zeit.

Doch der Behauptung, bei Chicken Run handele es sich um eine KZ-Fabel muss widersprochen werden: Denn die Fluchtoption oder gar die Emanzipation gegen ihre Unterdrücker hatten die inhaftierten Juden in der Hitlerdiktatur zu keiner Zeit. Weder waren sie mit trotteligen Wächtern gesegnet, die über die eigenen Füße stolpern, noch konnten sie den Mut zu einem Ausbruch aufbringen – der wurde ihnen wohl durch die martialische Tötungsmaschine geraubt, die bei ihrer Internierung längst in Gang gesetzt war. Um sich also nicht auf revisionistisches Terrain zu begeben, macht es mehr Sinn, Chicken Run als eine Persiflage auf Gefangenenlager-Filme überhaupt – wie etwa The Great Escape (USA 1963) – zu sehen. Denn deren Motive werden konsequent angespielt, verdoppelt und ironisiert (oft schon im Soundtrack).

Darüber hinaus stellt Chicken Run auch das ambitionierte Projekt der Artman/Dreamworks-Kooperation dar, das es dem Erfinder der Wallace & Gromit Kurzfilme ermöglichte, einen abendfüllenden Animationsfilm in die Kinos zu bringen. Der Stil von Aardman ist unverkennbar: In der Gestaltung eines jeden Charakters tritt deutlich die Schrift der britischen Animateure hervor. Jedes Huhn wird mit seinen eigenen, oft „typisch britischen“ Schrullen gezeigt, hat seine eigene Art, sich zu bewegen und zu sprechen. Der Aufwand, der eine solche Detailliertheit möglich macht, ist unvorstellbar: „Manchmal schafften wir 90 Sekunden pro Woche, einmal sogar 130. Das war der absolute Rekord.“, äußerte sich Nick Park über die Animationsarbeiten. Und dass es bei den Arbeiten am Film teilweise selbst wie im Hühnerstall zugegangen ist, versteht sich bei 30 Units, 30 Kameras und 30 Sets fast von selbst.

Daher stellt Chicken Run einen formal, wie inhaltlich gelungenen Animationsfilm für Erwachsene dar. Einziger Wermutstropfen ist wieder einmal die deutsche Synchronisation: Nicht nur, dass der britische Akzent in der Originalfassung der Persiflage ihre kritisch-britische Krone aufgesetzt hätte, auch die Rollensprecher (für Rocky: Mel Gibson) waren wohlweislich ausgewählt. Wie man hingegen auf die Idee gekommen ist, Rocky in der deutschen Fassung von Ingolf Lück sprechen zu lassen, bleibt völlig unklar (derjenige hat sich wohl auch den falschen und infantilen deutschen Untertitel „Hennen rennen“ einfallen lassen): Damit hat sich der vermeintliche Retter der Hennen bereits mit dem ersten Wort als Windei desavoriert.

Chicken Run – Hennen Rennen
England/USA 2000
Regie & Buch: Nick Park, Peter Lord
Kamera: Tristan Oliver, D. A. Riddet
Musik: Harry Gregson Williams, John Powell

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