Auf dem Abfallhaufen der Filmgeschichte tümmeln sich neben unwerten Produkt(ion)en von 100 Jahren Filmgeschichte allerlei unliebsame Gesellen: Gangster, Serienmörder, Tagediebe, Schmarotzer, Junkies, … Sie bevölkern das kontemporäre Kino – nicht mehr als sein Gegenstand (in moralisierenden Dokumentarfilmen), sondern als dessen Helden, als Archetypen und Sinnbilder der »Schere des Kapitalismus«, die – zumindest im Kino – nur noch ganz Arme und ganz Reiche zu kennen scheint.
Den »White Underdogs« ist der Thementeil dieser zweiten Ausgabe unseres Magazins gewidmet. In vier thematisch sortierten Texten bieten wir einen Einstieg in die Debatte des »White Trash«-Phänomens, wie es sich vor allem, aber nicht nur im Film zeigt. Arno Meteling und André Suhr umreißen die »White Trash«-Philosophie des Rappers Eminem und kontrastieren die Motive seiner Musik und seiner Show mit populären Beiträgen der Filmgeschichte. Larissa Vogt stellt die sich gerade zu aufdrängende Symbiose von Trash-Film und Trash-Figuren am Beispiel des Undergroundregisseurs John Waters dar. Der Text, der ein Surrogat Ihrer 1997 entstandenen Abschlussarbeit darstellt, liefert skizzenhaft einen Einblick in die Forschungssituation zum Undergroundkino und gleichzeitig eine strukturierende Annäherung an die Filme Waters’. Sigrid Lange widmet sich in ihrem Beitrag über Fassbinder dem »Queer«-Phänomen, das aus der homosexuellen Kunstszene hervorgegangen ist und das mit den »Queer studies« einen eigenen Theorie(n)-Kanon ins (akademische) Leben gerufen hat. Das Thema abschließend liefert Reinhard Hucke einen Überblick über das filmische Werk der Coen-Brüder mit Konzentration auf deren Figuren, die wohl als Archetypen des »Whithe Underdog« gelten können.
Im zweiten Teil des Heftes finden sich wieder unsortiert Texte verschiedenster Couleur zum zeitgenössischen Film. Zunächst überblickt Manfred Riepe das Cronenberg’sche Kino vom Lacan’schen Hügel aus und stellt in seinem Essay exzerpthaft die wesentlichen Motive und Methoden seiner jüngst erschienen Cronenberg-Monografie vor. Thomas Groh liefert eine Lektüre zu Thomas Riedelsheimers Dokumentarfilm Rivers and Tides, die gleichzeitig die Wesensmerkmale cineastischer Darstellung und Land-Art herausarbeitet. Dennis Eick schließlich startet einen Versuch über die Beziehungen von Bild und Wort am Beispiel des Drehbuchs und argumentiert hier vor allem von der verschwiegenen, ja totgeschwiegenen Existenz des Drehbuch-Auteurs und seiner Texte. Den Abschluss des zweiten Teils dieser F.LM bildet ein von mir und Thomas Groh konzipiertes und geführtes Interview mit Georg Seeßlen über die Perspektiven des Filmjournalismus – gerade angesichts des Internets als freiem Publikationsraum.
Schließlich freuen wir uns darauf hizuweisen, dass vom 24. bis 26. April 2003 die Tagung »Bodies that Splatter« vom Gradiuiertenkolleg Codierung von Gewalt im medialen Wandel in Berlin stattfinden wird. Eine Tagungsbeschreibung sowie einen vorläufigen Tagungsplan finden Sie im Heft. Die kommende Ausgabe der F.LM wird sich dem Thema »Wunden« widmen und passend dazu Materialien zur Veranstaltung in Berlin enthalten. Doch bevor wir mit unserem Magazin durchs Blut waten zunächst ein (un)heimlicher Blick in die Mülltonnen …
Stefan Höltgen