Kinder des Schattens

Dass jeder Film neben seiner Geschichte auch von der Bedingung seiner Möglichkeit erzählt – mal offensichtlich, mal zwischen den Bildern – ist hinlänglich bekannt. So ist jedes Melodram gleichzeitig Stellvertreter und Vorreiter für sein Genre, genau wie jeder Western und natürlich auch jeder Horrorfilm. Den Horrorfilm knüpfen darüber hinaus engere Bande an seinen materiellen Träger und damit an den Apparatus des Kinos als alle anderen Genres. Stellen doch Erzählung und Medium in ihm gleichzeitig ihre Substanz aus Licht und Schatten aus, die einander bedrohen und bei denen die Anwesenheit des einen die Abwesenheit des anderen bedeutet: Ein hell erleuchteter Kinosaal verunmöglicht die Projektion genau so wie ein überbelichteter Filmstreifen. Vampire, künstliche Menschen, Werwölfe – auch sie sind abhängig von der Dunkelheit und fürchten das Licht.

Wo am hellen Tag Friede und heile Welt herrschen, verkehrt sich im Horrorfilm des Nachts alles in sein Gegenteil. Und nur derjenige, der „Licht ins Dunkel“ bringt (sei’s nun substanziell mit Feuer und Sonnenlicht oder metaphorisch durch „Reinheit“ oder christlichen Glauben) vermag die Geschöpfe der Nacht, die „dunkle Magie“ zu besiegen. So lautet das Leitmotiv des Horrorfilms. Diese „mediale“ Verbindung zwischen dem Genre und dem Apparatus besteht seit den frühesten Tagen Filmgeschichte: Schon Frankensteins Monster wird eines Nachts durch eine kleine Luke im Dach des Laboratoriums „belichtet“ und fällt später dem selben Licht (als Feuer) in einer Mühle wieder zum Opfer. Auch der Vampir existiert in dieser besonderen Nähe zum Medium Film und so erzählt der Vampirfilm seit fast 100 Jahren (angefangen mit VAMPIRES OF THE COAST von 1909) die Geschichte vom lichtscheuen Blutsauger.

E. Elias Merhiges SHADOW OF THE VAMPIRE stellt den jüngsten Beitrag und gleichzeitig so etwas wie eine Zusammenfassung des Vampirfilms dar: Erzählt wird von den Dreharbeiten zur wohl bekanntesten Dracula-Adaption NOSFERATU von Friedrich Wilhelm Murnau, entstanden 1922. Murnau – grandios verkörpert von John Malcovich – macht sich mit seiner Crew (zu der u. a. „Andy Warhols Dracula“ Udo Kier gehört, der den Produzenten Albin Grau, spielt) auf in die Kaparten, um am Originalschauplatz erstmals mit Max Schreck (Willem Dafoe) zusammenzutreffen und die Vampir-Szenen zu drehen. Schreck sei ein Schauspieler aus der Schauspielschule Stanislawsikis, der sich dort in den Kaparten voll in seine Vampirrolle aufgehend auf die Dreharbeiten vorbereitet, bereitet Murnau seine Crew auf das erste Zusammentreffen vor. Daher sei es unbedingt notwendig, nur Nachts zu drehen und den Schauspieler Schreck mit seinem Rollennamen „Graf Orlok“ anzusprechen. Der Crew kommt diese Vorgehensweise und erst recht die Erscheinung Schrecks zwar äußerst befremdlich vor, doch man stellt sich darauf ein – Im Filmgeschäft begegnet man ja schließlich den skurrilsten Gestalten. Schreck selbst scheint so in seine Rolle aufzugehen, dass er sich wie ein Vampir benimmt: Er schrickt vor Kruzifixen zurück, verabscheut das Tageslicht und saugt Fledermäuse aus. Als er dann allerdings den Kameramann Wolfgang Müller (Ronan Vibert) am Set überfällt und beißt und Murnau flugs Ersatz aus Berlin beschaffen muss, wird klar: Schauspieler Schreck spielt nicht einen Vampir namens Graf Orlok, sondern der Vampir Graf Orlok spielt einen Schauspieler namens Max Schreck (der deswegen so gut einen Vampir namens Graf Orlok zu mimen versteht). Murnau hat – um der Authentizität willen – einen echten Vampir angeheuert und ihm als Gage das Blut der Hauptdarstellerin Greta (Cathrine McGormack) versprochen, die natürlich noch nichts davon ahnt. Dass Schreck jedoch bereits vorab bei der Crew nascht, bringt ihn in mehrfachen Konflikt zu Murnau, der dadurch seine Dreharbeiten in Gefahr geraten sieht. Man einigt sich schließlich durch allerlei Erpressungen und Drohungen und begibt sich zusammen – nebst Vampir und angeschlagener Crew – nach Wismar, um den Schluss des Filmes mit der Hauptdarstellerin und der Sterbeszene des Vampirs abzudrehen. Doch dort überschlagen sich die Ereignisse. Während Murnau mit Grau und dem neuen Kameramann Fritz Arno Wagner (Cary Elwes) plant, den Vampir vor vollendeter Verspeisung seiner Gage zu „belichten“ und damit dessen Sterbeszene besonders realistisch zu gestalten, kommt dieser der Falle rechtzeitig auf die Schliche und dezimiert kurzerhand während des Drehs die Crew soweit, dass nur noch Murnau übrig bleibt, der den Film nun allein fertig stellen muss.

Vordergründig bildet die Erzählung von SHADOW OF A VAMPIRE eine zwar interessante aber nicht ungewöhnliche Gruselkomödie ab: ein besessener Regisseur, ein echter Vampir, eine sich in Drogen und Starallüren ergießende Filmcrew. Doch schon bald blättern sich die weiteren Ebenen des Filmes auf und offenbaren ein vielschichtiges Meisterwerk: Parallelen von der „Blut saugenden Filmindustrie“ zum Blutsaugergenre werden genauso en passant angestellt, wie Anspielungen auf den platonischen Idealismus, bei dessen Höhlengleichnis die Menschen ebenso vom „falschen“ Schattenspiel fasziniert sind wie die Kinozuschauer und unter denen der Philosoph derjenige ist, der aus dem Loch heraus kriecht – so wie Schreck in seiner ersten NOSFERATU-Szene – und als erster Mensch ins Sonnenlicht sieht – wovor sich Schreck tunlichst hüten würde. Der Platonische Philosoph stellt diesbezüglich einen echten Antagonisten zum Schreck-Vampir dar, welcher solche Vergleiche dann auch sofort als „Sophismus“ abtut. Durch solche zahlreichen Anspielungen erhält SHADOW OF A VAMPIRE eine höchst selbst/referenzielle Struktur. Besonders interessant sind dann auch die Momente, in denen der Vampir auf den Apparatus trifft: Wie hypnotisiert schaut er – nach Drehschluss – mitten in die Linse eines Projektionsgerätes und erblickt das filmische Abbild eines Sonnenuntergangs, dass er durch Änderung der Kurbelrichtung in einen Sonnenaufgang verwandelt und sich damit einer mediale Simulation aussetzt, die er realiter nicht erleben könnte. Und später, als das Finale zu Nosferatu gedreht werden soll und der Schreck-Vampir schon voller Ungeduld Greta anstarrt, entdeckt diese zufällig, dass er kein Spiegelbild hat, beginnt zu ahnen, was ihr bevorsteht und fängt wild an zu schreien und zu strampeln (was ihr allerdings nichts hilft, denn Murnau und Grau verabreichen ihr flugs eine Ladung Morphium und lähmen sie dadurch). Der Vampir indes läuft während der ganzen Prozedur wild vor dem Spiegel hin und her und es scheint fast so, als wolle er allein durch seine Bewegung den die filmische Realität schaffen, die seinem natürlichen Abbild (dem Spiegelbild) fehlt. Schließlich gewinnt Murnau nach hohen Verlusten den Zweikampf gegen den Vampir, doch das Spiel ist damit noch nicht beendet. Wie hypnotisiert kurbelt er – als einzig Überlebender – nun selbst Meter um Meter Film durch die Kamera, filmt die ganze Szenerie, schwenkt zwischen den Leichen des Produzenten, des Kameramanns und der Hauptdarstellerin hin und her, ganz so als wolle er der Szene dadurch wieder Leben einhauchen. Erst als von Außen zustoßende Mitarbeiter ihm die Schlussklappe vor die Linse halten, kann er aufhören. Doch während seiner manischen Filmerei wechselt der Blick immer wieder von der Szenerie über das Bild des Okulars in das Gehäuse der Kamera hinein und zeigt, wohin all die Schatten geflohen sind und wo sie nun selbst als Tote echte Unsterblichkeit erfahren und damit zu ewigen Untoten, zu Schatten auf der Kinohöhlenwand geworden sind.

Shadow of the Vampire
USA 2000
Regie: E. Elias Merhige
Kamera: Lou Bouge
Drehbuch: Steven Katz
Musik: Dan Jones
Darsteller: John Malkovich, Willem Dafoe,
Udo Kier, Cathrerine McCormack, uva.
Verleih: 20th Century Fox
Laufzeit: 95 Min.

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