Déjà vu

Der Reproduktionsgedanke ist am Anfang des dritten Jahrtausends überall vertreten: Medien verdoppeln die Lebenswelt, Biologen verdoppeln die Chromosomen (und damit augenscheinlich die „Individuen“) und Walter Benjamins Essay vom „Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ erlebet seine x-te Renaissance. Da wurde es höchste Zeit, dass „die Welt im Zeitalter ihrer tatsächlichen Reproduzierbarkeit“ endlich einmal auf den Punkt gebracht und mit einer Kulturgeschichte der Verdopplung begonnen wurde. Diesem Projekt stellt sich der ehrgeizige Versuch des amerikanischen Kulturhistorikers Hillel Schwartz.


Auf seinem 450 Seiten umfassenden Rundgang durch die Stationen der Verdopplung unternimmt er in acht Kapiteln die Auswertung des Phänomens von den greifbar-realen Zwillingen bis hin zu den diffusen Simulationsstrategien der Medien. Er argumentiert dabei, dass der Doppelgänger immer der notwendige Antagonist zum vermeintlichem Original ist, dass die Fälschung mit demselben Recht einen Platz im Pantheon der Kultur beansprucht wie ihre Vorlage, dass das Echte und das Falsche jederzeit die Plätze tauschen können. Das beginnt bei der Serienproduktion von Gebrauchsartikeln und geht bis hin zur „identischen“ Reproduktion von Goethes Gartenhaus beim Weimarer Kulturjahr 1999, dass sich letztlich größerer Beliebtheit beim Publikum erfreut hat, als das „Original“.

Damit deutet sich die Tragweite der Analyse bereits an: Das Verlangen nach Wahrheit, das der Ursprung unserer Suche nach dem Authentischen einmal gewesen ist, weicht nach und nach einer ganz und gar nicht oberflächlichen Freude an der „gelungenen Fälschung“. Ehrfurchtsvoll verneigt das Publikum das Haupt, wenn es erfährt, wie genial ein Kuhjau die Handschrift des GröFaZ nachzuahmen vermochte und jeder Urlaub ist erst dann gelungen, wenn die Fotos, die man dort geschossen hat, den Abbildungen im Reiseprospekt bis zum Verwechseln ähneln.

Schwartz hütet sich jedoch davor, das Phänomen moralisch zu werten oder gar im Sinne des Feuilletonjournalismus vom „Verschwinden der Wirklichkeit“ zu reden. Seine Argumentation geht viel weiter und ähnelt eher den Thesen Jean Baudrillards, der bereits Ende der 70er Jahre wusste, dass die Welt voller Simulationen schon bald selbst simuliertes Ereignis sein wird, in der niemand mehr unterscheiden kann, ob etwas „wirklich“ passiert ist, oder nur das verhallende Echo eines medialen Ereignisses ist.

Und folgerichtig beschließt Schwartz seine Betrachtungen dann auch bei den Medien: Film, Fernsehen und Computerspiel stellen bislang den Endpunkt der Simulation dar und den Einzug des Virtuellen in die Realität, weil der Betrachter sich ihrer Omnipräsenz gar nicht mehr entziehen kann.

Hillel Schwartz
Déjà vu – Die Welt im Zeitalter ihrer tatsächlichen Reproduzierbarkeit
Berlin: Aufbau-Verlag, 2000
441 Seiten (gebunden), 29,00 €

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