Es sei nicht ungewöhnlich gewesen, sich Bemerkungen zu gesehenen Kinofilmen in Tagebüchern zu notieren. Allerdings halten die Beobachtungen Goebbels dem Vergleich mit den festgehaltenen Gedanken Klemperers oder Kafkas nicht stand. Besonders clever war er nicht, der selbst ernannte nationalsozialistische Filmexperte Goebbels, nicht fähig zu kühler Analyse. Seine Bewertungen fallen sehr emotional und extrem aus. „Enthusiastisch“, „bewegt“ , „wunderschön“ oder „pure Freude“ sind die Attribute, die er für die Wiedergabe persönlicher Impressionen nach der Rezeption von Wege zur Kraft und Schönheit (D 1926) oder Die Nibelungen (D 1922/4) findet. Immer wieder äugt er aber auch auf die Reaktion des Publikums, hegt Zweifel an der Wirkung der nationalsozialistischen deutschen Filme der Zwanziger, bemerkt wohl den hohen technischen Standard und die Professionalität des amerikansichen Films, ist von Eisensteins Arbeit fasziniert. Bewundert den Einfluss des russischen Films auf die Massen.
Felix Moeller, der vor sieben Jahren in Berlin über die Goebbels-Tagebücher promoviert hat, deckt anhand der lange geheimgehaltenen Aufzeichnungen die Strategien des Mannes auf, der „Die Buddenbrooks“ (D 1923) als fabelhaft empfindet, Mann aber als „senilen Windbeutel“ tituliert, der Hildegard Knef zu einer Nasenoperation veranlasste, der Zensor, Drehbuchautor, Studiochef und Produzent zugleich war. Moeller beschreibt Goebbels vergebliche Bemühungen um nicht zu augenscheinliche Propanganda. Nationalsozialismus sollte sich in der Narration manifestieren, in dargestellten Kontrasten zu anderen Menschen.
Das Umschlagbild des Buches (eine Aufnahme aus Olympia, 1938) lässt es erahnen: Zwar scheinen die zahlenmäßig nicht überschaubaren Sportler im Takt ihre Liegestütze zu absolvieren. Doch ein genauer Blick ausgerechnet auf die Bildmitte offenbart: einige hängen durch, andere führen entgegengesetzte Bewegungen aus. Die Perfektionismusbestrebungen scheitern bereits bei dieser einfachen Übung. Gerade ideologische Gegner waren dem deutschen Film um Längen voraus. Goebbels erreichte sein hochgestecktes Ziel nicht, musste sich mit einem Mittelmaß begnügen.
Mit der umfangreichen und eindrucksvoll analysierten Biographie des wohl einflussreichsten Mannes des nationalsozialistischen Films, die durch ein Vorwort Volker Schlöndorffs eingeleitet wird, von Michael Robinson sehr streng ins Englische übersetzt wurde und somit nicht ganz leicht zu lesen ist, hält Moeller auch ein Stück Filmgeschichte fest.
Felix Moeller
The Film Minister. Goebbels and the Cinema in the „Third Reich“
Edition Menges, 2000
Preis: 36 €
Konstanze Marx