Mein Engel

Still geworden ist es um Vanessa Paradis, die einstmalige Femme fragile und Lolita der französischen Popmusik. Außer ein paar kleinen Auftritten in Kino- häufiger aber TV-Produktionen zaghaften Versuchen an die Gesangskarriere der 80er Jahre anzuknüpfen (die dann aber auch vor ein paar Jahren aufgegeben wurden), ist die Ehefrau von Johnny Depp kulturell nicht in Aktion getreten. Dass man sie jetzt für Serge Friedmans „Mon Ange“ wieder ausgegragen hat, ist ein Glücksfall.

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Überwachen und Schlafen

Der Beginn von Benjamin Heisenbergs viertem Film „Schläfer“ weckt schon gleich passende Assoziationen: Wir sehen einen Park, durch den Menschen spazieren und belauschen eine Unterhaltung. Welche Position wir dabei einnehmen, bleibt zunächst in der Schwebe: Elemente des Subjektiven deuten sich in den suchenden leichten Schwenks an, objektiven Überblick über die Geschichte suggeriert die Situation des heimlichen Beobachter selbst. Der Verkehrslärm, die Unterhaltung und die Geräusche der Umgebung wecken Erinnerungen an Coppolas „The Conversation“ (1974) – und wie dort wird zwischen den beiden sich unterhaltenden schnell klar, dass es um einen Observationsauftrag geht.
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Lesen, Morden, Schreiben

Glaubt man dem Film, bekommen Serienmörder im Gefängnis selten gute Ideen für ihr Leben in Freiheit. Das war bei Kargls „Angst“ so und ist auch noch bei Demmes „Schweigen der Lämmer“ nicht anders gewesen. Auch Antonio Frau, der wegen eines Eifersuchtsmordes an seiner Ehefrau 25 Jahre (!) einsitzt, hat sich für die Zeit nach seiner Freilassung etwas vorgenommen: Er will seine Überlegungen zur Lektüre der Biografie des französischen Serienmörders Henri Landru in die Tat umsetzen und zu einem berühmten Frauenmörder werden. Ihm kommt entgegen, dass er von seiner Tante ein großes Haus (ehemaliges Bordell) erbt, in welchem er sich ein Zimmer einrichtet, das allein diesem Zweck dienen soll. Um sich den Anschein von Bürgerlichkeit zu geben, heiratet Antonio eine Krankenschwester, die ihn in ihren Nachtschichten permanent betrügt. Das ist ihm jedoch egal, denn gerade nachts führt Antionio auch nichts Gutes im Schilde.

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Dawn of the Teeth

berlinale_logo.jpgEin Gespenst geht um in Amerika: Der christliche Radikalfundamentalismus. Unter der Ägide George W. Bushs hat nicht nur ein merklicher Rechtsruck in Sachen Sexualmoral stattgefunden. Auch den Naturwissenschaften weht seit einigen Jahren gehörig Wind ins Gesicht – produziert hauptsächlich von den Vertretern der so genannten „Creative Design“-Theorie, die die Evolutionstheorie zugunsten einer auf Schöpfungsfantasien basierenden Biologie auszuhebeln versuchen. Die Zielrichtung derartiger Bestrebungen ist mehr als klar: Es soll ein fest-definiertes christliches Moralgebäude errichtet werden, das westliche streng von östlichen (sprich: muslimischen) Wertmaßstäben trennt. Dass die größtenteils vernunft- und menschenverachtenden Projekte der „Wiedergeborenen Christen“ u. a. Gruppen als finales Angriffsziel den Menschen selbst haben (und damit eigentlich genau dasselbe Ziel verfolgen, wie die Taliban und ähnliche von ihnen bekämpften Regimes), versuchen Kulturkritiker und Künstler in den USA seit einiger Zeit zu betonen. Nun ist das Thema auch im Splatterfilm angekommen: Mitchell Lichtensteins Erstlingswerk „Teeth“ erzählt von der sozialen Mutation der Gesellschaft parabelhaft fokussiert auf die körperliche Mutation eines jungen Mädchens.

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Der Doktor und das böse Vieh

Dass Kühe nicht die harmlosen Grasfresser sind, für die sie jeder hält, hat nicht nur Gary Larson immer wieder unter Beweis stellen wollen; auch der Horrorfilm hat sich der Kuh als Monsterwesen längst angenommen. In „Dead Meat“ war es eine Rinderseuche, die Kühe Menschen hat überfallen und fressen lassen. In „Isolation“ sind es genetisch veränderte Rinder, die Kälber gebähren, welche selbst die bei ihrer Geburt bereits mit dem Bösen schwanger gehen. Dass sich – vielleicht mit Ausnahme von Gary Larson – hinter solchen Horrifizierungen von Kühen ein Reflex auf die Rinderseuche BSE verbirgt, ist kaum zu verkennen. In Billy O'Brians „Isolation“ ist diese Metaphorik jedoch etwas subtiler und sie kommt keineswegs mehr wie noch bei „Dead Meat“ unter dem Deckmantel der Komödie daher. Kuhhorror will nun ernst genommen und geführchte werden wie jeder andere Tierhorror auch. Demzufolge verbindet der Film auch gleich mehrere Erzählfäden mit durchaus dramatischem Potenzial miteinander:
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„… and i’ll get back to you.“

Die Suche nach Identität ist schwierig und sie wird noch erschwert, wenn das gesellschaftliche Umfeld keinen archimedischen Punkt bietet, an dem sich das Individuum bei seiner Suche und Entwicklung orientieren kann. Dass der Krieg und der Terror, wie er seit Jahrzehnten in Israel allgegenwärtig und derzeit wieder besonders heftig ist, gerade für die junge Generation eine ständige physische und psychische Bedrohung darstellt, scheit evident. Auf welche Weise ein solcher Prozess der Identitätssuche – aus radikal subjektiver Sicht – ins Leere laufen und sich zur Katastrophe entwickeln kann, zeigt Danny Lerners Debütspielfilm „Frozen Days".
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Die innere Unsicherheit

Ein Film über einen Terrorangriff als Parabel über einen Terrorangriff

Die Bilder vom 11. September 2001 haben es gezeigt und Oliver Stone hat es in seinem Film „World Trade Center“ belegt: Der Terrorismus kommt als Katastrophe über die Zivilisation wie eine Naturgewalt. Um das Große dieser Gewalt aus der ästhetischen Erhabenheit zu entreißen und als Schrecken erfahrbar zu machen, hat der Katastrophenfilm schon immer gut daran getan, ihre Mechanismen im Kleinen zu beschreiben. Chris Gorak entwirft in seinem Debutfilm RIGHT AT YOUR DOOR ein Terror-Szenario enormen Ausmaßes. Er beschreibt, wie in Los Angeles gleich mehrere „schmutzige Bomben“ explodieren, das Stadtgebiet und gesamte Umland verseuchen. Was für eine Substanz die Giftwolke über Stadt enthält ist zunächst unklar und so reagieren die Behörden und die Bevölkerung panisch.
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Armee der Schatten

Ohne Zweifel hat der Fall des Kinderschänders Marc Dutroux auch das belgische Kino nachhaltig beeinflusst. Das Thema Kindesmissbrauch wurde und wird seit Bekanntwerden des Verbrechens und der Verstrickung der Behörden darin mal offensichtlich mal unterschwellig filmisch verarbeitet. Werke wie „The Alzheimer Case“ (B/NL 2003), „The Ordeal“ (B 2004), und „Ordinary Man“ (B 2005) verfolgen jedoch nicht nur den Zweck, etwas zur Schau zu stellen, was unsichtbar geblieben ist, sondern transponieren das Thema gleich auf eine Ebene, die als „Verarbeitung“ des Traumas gewertet werden kann. Dass der jüngste Beitrag, Frank van Mechelens „Intruder“, eigentlich gar nicht von Kindesmissbrauch handelt, obwohl das das Thema des Films ist, zeigt, wie tief sich dieses Trauma in die Gesellschaft und ihre Kunst eingegraben hat.
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Find the hidden clues!

Filmische Computerspiel-Adaptionen sind en vogue! Das neuartige Genre „Computerspiel-Film“ hat mit der Umsetzung von „Resident Evil“ (1996/2002) einen frühen Höhepunkt erreicht und die Tatsache, dass selbst wenig begabte Regisseure wie Uwe Boll mit Filmen wie „House of the Dead“ (1998/2003) und „Alone in the Dark“ (1993/2005) einen Treffer nach dem Anderen landen, zeigt, dass Hollywood großen Bedarf an Umsetzungswilligen hat. Doch wie kaum ein anderes Medium sperrt sich das Computerspiel gegen seine Nacherzählung im Film – selbst proto-filmische Games wie „Silent Hill“ (1999) können als Film (2006) ihre Herkunft nicht ganz leugnen.

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Der Feind in meinem Kopf

Zwei neue Filme über die Erschütterung der „inneren Sicherheit“

„Die einzige typische, d. h. regelmäßige Darstellung der menschlichen Person als Ganzes ist die als Haus“, schreibt Siegmund Freud 1916/7 in den „Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse“. Am Motiv des Hauses als kultureller Metapher kristallisieren sich Vorstellungen von Geborgenheit und Privatheit wie auch Ängste vor dem Außen und der „Unheimlichkeit“.
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Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Belgier zur Paarungszeit

Die Situation ist fast schon standardisiert: Ein junger Mann aus der Großstadt fährt mit seinem Auto über’s Land und erleidet eine Panne. Er schlägt sich bis zum nächsten Gasthof durch, wo man ihn bereitwillig aufnimmt und ihm zu helfen verspricht. Die Hilfe wird jedoch immer wieder verzögert und als der Mann sich schließlich allein auf den Weg machen will, wird er überwältigt und als Geisel genommen. Diese aus zahlreichen Redneck- und Backwood-Filmen bekannte Erzählkonstruktion bekommt im belgischen Film „The Ordeal“ eine beängstigend-groteske Steigerung.

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»Eben hast du mich in die Hölle gebracht«

Wie zwiespältig die dokumentarische Annäherung an kriminalistische Themen ist, zeigen nicht wenige Filme, die unter dem Banner der objektiven Berichterstattung segeln und sich ihrer Verwickeltheit und ihres Einflusses auf den Gegenstand gar nicht selbst bewusst sind. Er jüngst hat der deutsche Hochstaplerfilm „Mein anderes Leben“ gezeigt, wohin solch ein Vorgehen führt: undifferenzierte Glorifizierung des Gegenstandes und die Auf- bzw. Abgabe der souveränen Erzählposition an das Objekt der Erzählung. Der deutsche Autoenfilmer Peter Fleischmann vermeidet in seinem neuesten Werk „Mein Freund der Mörder“ nicht nur diesen Fehler, sondern liefert auch gleichzeitig eine Reflexion darüber, wie Film ein auf den ersten Blick unpolitisches Sujet durch radikale Subjektivierung in einen politischen Beitrag verwandeln kann.
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Horror-Lyzeum

Der amerikanische Regisseur Lucky McGee interessiert sich in seinen Filmen für adoleszente Mädchen – das wird nach „May“ (2002) spätestens mit seinem neuen Film „The Woods“ deutlich. Doch anders als im Erstling, der das grausige Psychogramm einer in sich zurück gezogenen Arzthelferin beschrieb, ist die Protagonistin aus „The Woods“ extrovertiert: In Worten wie Taten aggressiv lehnt sich Heather (passend besetzt mit Agnes Bruckner) gegen jede Instanz auf, die sie formen oder erziehen will, seien es die Eltern, die Lehrer oder zickige Mitschülerinnen.
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»Let’s create Memories«

Es müsste der Verlockung, Menschen ins Meer zu werfen, um daraus dann eine spannende Filmerzählung zu konstruieren, endlich einmal widerstanden werden. Doch sie scheint zu groß, bietet eine solche Situation doch eine (alp)traumhafte Möglichkeit Konflikte zu beschreiben, den Kampf des Menschen gegen die Übermacht der Natur zu inszenieren und dem Reiz eines natürlichen minimalistischen Settings nachzugeben, dass die ersten beiden Möglichkeiten noch zu unterstreichen scheint. Schon im vergangenen Jahr hat der Film „Open Water“ gezeigt, dass gerade diese Konstellation mit ihrem „Weniger“ viel mehr vom Filmemacher verlangt, als es auf den ersten Blick scheint. „Open Water“ ist nicht nur an seinem schlechten Drehbuch und der klischeebeladenen Charakterentwicklung gescheitert, sondern letztlich auch an seinem eigenen Anspruch: „Dieser Film basiert auf einer wahren Begebenheit“, kündigte er an und warf damit selbst die Frage nach der (unmöglichen) Zeugenschaft für eine solche Geschichte auf.
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Space Invaders

Glaubt man dem jüngeren Horrorkino, ist alles östlich der Oder „No-Go-Area“ – zumindest für westliche Touristen und Kolonisten: „Hostel“ hat vorgemacht, was kurze Zeit später in „Severance“ nachgemacht und nun im französischen Horrorthriller „Them“ wieder aufgegriffen wurde. Im Osten herrscht Korruption, Barbarei und moralische Depravation, menschliches Leben ist nichts wert und für Geld tut man alles. Warum sich diese falschen Vorurteile so erfolgreich in Filmplots übersetzen lassen und ihre westlichen Zuschauer erschrecken mag vielleicht im Aufwärmen eines jahrzehnte alten Feindbildes liegen. Doch zumindest in „Them“, der einen kleinen Aspekt aus „Hostel“ breiter auswalzt, kommt noch ein anderes Film-Motiv hinzu: die paradoxe Angst vor dem Nachwuchs.
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Wiederholungen sind die Hölle

In einer Folge „Ex Post Facto“ (dt. „Die Augen des Toten“) der Serie „Star Trek – Voyager“ (1995) wird eine Zivilisation vorgestellt, die die ultimative Strafe für Mord gefunden hat: Dem Mörder werden durch einen neurologischen Eingriff die letzten Erinnerungsmomente des Opfers implantiert, die er von nun an bis zu seinem Lebensende im Abstand von 14 Stunden immer wieder gedanklich durchleben muss. Ziel der Strafe ist es, das zugefügte Leid für den Täter erfahrbar zu machen und auf diese Weise für „ausgleichende Gerechtigkeit“ zu sorgen. Der Verurteilte mag diese Bestrafung als Hölle empfinden, der er nicht mehr entkommen kann – und in der Tat hat der Aspekt der „ewigen Qual“, der dahinter steht, seine Wurzeln in der Höllenvorstellung des christlichen Abendlandes – auch dort ist die Hölle ein Ort, an dem Bilanz für die Sünden des Lebens gezogen wird.
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Die Ins-Loch-Geworfenheit

Der Existenzialismus als Loch-Parabel

Zugegeben: Manchmal leidet man als akademischer Filmzuschauer an einer gewissen deformation professionelle, die allzu bereitwillig angelesenes Theoriewissen in gesehenen Filmbildern wiederzuentdecken glaubt. Oft genug verhilft eine solche verkopfte Lesarbeit aber auch zu überraschenden Koinzidenzen – beispielsweise möchte man fast meinen, ein Film wie „Hole“ habe sich der Vermittlung französischer Philosophie der 1940er/50er Jahre verschworen, zumal der Protagonist die Parabelhaftigkeit seines Erlebnisses auch noch ausformuliert: Auf jeden wartet irgendwo ein Loch, dem er zu entrinnen versucht, dessen Ränder er jedoch genauso wenig erreicht wie das Wissen darüber, warum er überhaupt hineingefallen ist.
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Alive and Smoking

Zu den streitbarsten Themen der letzten Jahre gehört zweifellos der Nichtraucherschutz. Dass das so ist, liegt nicht etwa daran, dass die Gefahren des Tabakrauchs unbekannt wären, sondern vielmehr in den ökonomischen und rhetorischen Fußangeln, in denen sich das Lager der “Pro” und das der “Contra” beständig verfangen. Jede Studie, die versucht, die Schädlichkeit des Rauchens emprisch zu belegen, erfährt innerhalb kürzester Zeit eine Gegenstudie, die die Ergebnisse oder zumindest die Schlüsse aus den empirischen Daten anzweifelt. Für beide Seiten arbeiten hochrangige Wissenschaftler und schon allein daran zeigt sich, dass die Wahrheit zu diesem Thema auch etwas mit der Perspektive (und damit mit fiskalischen Interessen) zu tun zu haben scheint. Zuguterletzt sind es dann vor allem die Marketingstrategen der Tabakindustrie, die versuchen, die kritischen Stimmen rhetorisch zum Schweigen zu bringen. Wie diese Mechanismen ineinandergreifen, kann man nun in Jason Reitmans sarkastischer Komödie “Thank you for smoking” miterleben.
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