Space Invaders

Glaubt man dem jüngeren Horrorkino, ist alles östlich der Oder „No-Go-Area“ – zumindest für westliche Touristen und Kolonisten: „Hostel“ hat vorgemacht, was kurze Zeit später in „Severance“ nachgemacht und nun im französischen Horrorthriller „Them“ wieder aufgegriffen wurde. Im Osten herrscht Korruption, Barbarei und moralische Depravation, menschliches Leben ist nichts wert und für Geld tut man alles. Warum sich diese falschen Vorurteile so erfolgreich in Filmplots übersetzen lassen und ihre westlichen Zuschauer erschrecken mag vielleicht im Aufwärmen eines jahrzehnte alten Feindbildes liegen. Doch zumindest in „Them“, der einen kleinen Aspekt aus „Hostel“ breiter auswalzt, kommt noch ein anderes Film-Motiv hinzu: die paradoxe Angst vor dem Nachwuchs.

ils2.jpg David Monroes und Xavier Paluds Film erzählt von einem jungen französischen Ehepaar, das in einem abgeschiedenen Haus am Rande eines Waldes in Rumänien wohnt. Clementine ist Lehrerin in einer französischen Schule im nahegelegenen Bukarest, ihr Mann Lucas ist Schriftsteller. Als Clementine eines Abends auf dem Heimweg an einer Unfallstelle vorbeikommt, an der gerade ein verlassenes Auto abgeschleppt wird, denkt sie sich nichts dabei – der Zuschauer ist jedoch kurz zuvor Zeuge von einem Überfall geworden, bei dem die beiden Insassinnen des Autos zu Tode gekommen sind. In der gleichen Nacht wird Clementine durch laute Musik, die vor dem Haus ertönt, geweckt. Offenbar ist gerade jemand dabei ihr Auto zu stehlen und hat trotz des hinzueilenden Lucas auch Erfolg damit. Schon kurze Zeit später bemerken die beiden, dass der Autodiebstahl nur der Auftakt zu einem Überfall war, bei dem eine Horde vermummter Gestalten in das Haus eindringt und das verstörte Ehepaar vor sich herjagt. Sie schaffen es schließlich zwar, sich aus dem zur Falle gewordenen Haus zu befreien, doch Lucas wird schwer verletzt und flüchtet mit Clementine durch den Wald – dicht gefolgt von der marodierende Horde.

„Them“ basiert – glaubt man dem Prätext und den Erläuterungen vor dem Abspann – auf einem authentischen Fall. Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 15 Jahren sollen dabei ein Ehepaar überfallen haben. Sie geben an, nur mit ihnen „gespielt“ haben zu wollen und als es zur Weigerung gekommen sei, wäre die Sache eskaliert. Warum der äußerst routiniert inszenierte und streckenweise sehr effektive Gruselfilm auf diese Authentisierung zurückgreift, ist, selbst wenn es denn eine Tatsache wäre, nur damit zu erklären, dass er den oben genannten Trend der „Dämonisierung des ehemaligen Ostblocks“ aufgreifen will. Schon in „Hostel“ hatten Kinder eine nicht unwesentliche Rolle für den Verlauf der Erzählung gespielt – und schon da war es ihre Brutalität und Amoralität, durch die sie in Erscheinung getreten sind: Für ein paar Bonbons (oder eben wie in „Them“, um zu spielen) gehen sie über Leichen.

ils1.jpg Die Darstellung solcher Kinder (Christoph Dompke hat das in seiner Monografie „Das böse Kind im Film“ nachverfolgt) hat Tradition im Horrorkino und Moreau und Polud rekombinieren sie hier gekonnt mit Versatzstücken aus Filmen wie „Blair Witch Project“ und „High Tension“. Die Effektivität verdankt „Them“ vor allem seiner Trennung von Gesehenem und Gehörtem, so dass über weite Strecken gar nicht klar ist, was dem Ehepaar da zustößt und wer sich hinter den „Home Invaders“ verbirgt. Und gerade hierin offenbart der Film sein eigentlich recht reaktionäres Potenzial: Es ist eben nicht nur der „wilde Osten“, in dem sich das Grauen als Alltäglichkeit entbirgt; es ist auch der Ein- und Übergriff in den schützenden Raum, das Haus, die Privatsphäre. Denn trotzdem sich Clementine und Lucas weitestgehend an die rumänische Kultur assimilieren – sie werden doch selbst als „Fremde“ dargestellt, die sich durch Sprachschwierigkeiten und Verhalten als solche offenbaren. Ihr Haus ist für sie ein Rückzug in die Eigenkultur und damit als „französische Enklave“ dargestellt – und eben eine solche darf es dem Narrativ zufolge nicht geben.

So kann man sich durchaus unentschieden in der Bewertung des Films zeigen. Zum einen besticht er durch die gelungene Inszenierung, zu der über die bereits beschriebenen Ästhetiken der Angsterzeugung die konsequente Verwendung von Handkamera und Videofilmunschärfen gehört (die das ihre zum „primitiven“ Eindruck des Dargestellten beitragen). Zum anderen stellt er sich jedoch in eine Reihe mit den durchaus chauvinistischen Beiträgen, die in Osteuropa, das in „Severance“ sogar zu einem einzigen „Territorium“ wird, einen Hort des Bösen sehen, in dem nach dem Niedergang des Kommunismus und der diktatorischen Schreckensherrrschaft die moralischen Zügel allzu locker gelassen wurden und der Kapitalismus extremste Züge trägt. Die Bewohner des „alten Europa“ sind auf diesem Terrain nichts anderes als Schlachtvieh („Hostel“), Zielscheiben („Severance“) oder eben Spielzeug („Them“).

Them
(Ils, Frankreich 2006)
Regie & Buch: David Moreau & Xavier Palud; Kamera: Axel Cosnefroy; Schnitt: Nicolas Sarkissian
Darsteller: Olivia Bonamy, Michaël Cohen
Länge: 77 Minuten
Verleih: offen

Die DVD von McOne

Bild: Widescreen (1.85:1 – anamorph)
Ton: Deutsch (DD 5.1), Französisch (DD 5.1)
Untertitel: Deutsch
Extras: k. A.
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