Die Ins-Loch-Geworfenheit

Der Existenzialismus als Loch-Parabel

Zugegeben: Manchmal leidet man als akademischer Filmzuschauer an einer gewissen deformation professionelle, die allzu bereitwillig angelesenes Theoriewissen in gesehenen Filmbildern wiederzuentdecken glaubt. Oft genug verhilft eine solche verkopfte Lesarbeit aber auch zu überraschenden Koinzidenzen – beispielsweise möchte man fast meinen, ein Film wie „Hole“ habe sich der Vermittlung französischer Philosophie der 1940er/50er Jahre verschworen, zumal der Protagonist die Parabelhaftigkeit seines Erlebnisses auch noch ausformuliert: Auf jeden wartet irgendwo ein Loch, dem er zu entrinnen versucht, dessen Ränder er jedoch genauso wenig erreicht wie das Wissen darüber, warum er überhaupt hineingefallen ist.

zulo.jpg Miguel (Jaume García) jedenfalls findet sich gleich zu Beginn von C. Martin Ferreras „Hole“ in einem ausgetrockneten Brunnenschacht wieder, der für mehrere Wochen sein Gefängnis wird. Von oben mit Kerzen, Lebensmitteln und ab und zu einer Zigarette, jedoch nicht mit Gründen für seine Einkerkerung versorgt, versucht Miguel selbst einen Sinn zu finden. Das stellt sich jedoch als schwer heraus, wenn alle Daten über die Außenwelt fehlen, auf die der Film auch nur ab und zu kurz schneidet, um dem Blick des Zuschauer etwas vom Eingesperrtsein zu entspannen. Und so wird Miguel zuerst zornig, dann apathisch, dann rebellisch und schließlich krank durch seine Situation. Über seine Wärter erfährt er nicht viel mehr, als dass sie sich untereinander nicht einig sind, wie lange Miguels Existenz so weitergeführt werden soll. Zur Disposition steht Befreiung oder Erschießung – das Paradigma des Films macht jedoch schon bald deutlich, dass es sich bei beiden Optionen nur um eine einzige handelt.

Eine philosophisch orientierte Lektüre des Films ist, wie jede andere, versucht, Details der Erzählung als Sinnbilder der Lesart zu interpretieren. Das gelingt bei „Hole“ und der Anwendung des Existenzialismus-Konzeptes so widerspruchslos, dass der Film dadurch bis hin zu seinem „Ende“ äußerst vorhersehbar wird. Das ganze Plotgerüst orientiert sich an der Sinnfrage, das plötzliche Erscheinen und die Gefangenschaft Miguels im Brunnenschacht werden wie der Ausgang der Geschichte zu einem Bild für das „Geworfensein“ (Heidegger) ins Leben und die verzweifelte Suche nach einem Sinn, der sich aus dem, was das Leben bietet, nicht einstellen will. Ein „Vorher“ wie auch ein „Außerhalb“ des Brunnens (also der Existenz) ist für Miguel ebenso undenkbar wie für den Zuschauer – beide haben keine Gewissheit darüber.

Und so widmet sich der Film detailliert der Beschreibung einer „conditio humana“ (Sartre) angesichts solch einer Existenz. Hier brillieren die beiden vordringlichen Ästhetiken des Films: Die Schauspielleistung Jaume Garcia Arijjos und die Kameraarbeit José Luis Bernals. Immer näher rückt das Objektiv dem Körper des Gefangenen, zeigt, wie er sich unter der Situation aufbäumt und schließlich zusammenbricht. In Groß- und schließlich Detail-Einstellungen wird der Verfall der Physis vorgeführt, der im Sinnzusammenhang als Metapher für den Verfall jedes Glaubens und aller Metaphysik steht. Miguel zerbricht an seinem Loch-Dasein bevor er aus ihm erlöst wird. Was das Leben als solches lebenswert macht und welche Werte es angesichts einer fundamentalen Sinnlosigkeit zu wahren gilt, das verrät der Film im heimlichen Stolz seines Protagonisten, der trotzdem er alle Demütigungen erträgt, am Leben festhält, weil er in der „Revolte“ (Camus) gegen die Sinnlosigkeit und im beständigen Aufwerfen der Sinnfrage seinen „Sinn“ längst erkannt hat.

Ferraras Hole vermag auf diese Weise einen ein wenig aus der (philosophischen) Mode gekommenen Gedanken neu zu beleben. Diese vom Film selbst nahe gelegte Lesart macht das Gezeigte schließlich nicht nur erträglich, sondern aus „Hole“ gleichzeitig ein Lehrstück in philosophie-geschichtlicher wie lebenspraktischer Hinsicht. Mit den in ihm aufgeworfenen Grundfragen: „Was darf ich hoffen?“ und „Wie soll ich handeln?“ verlässt man als Zuschauer das Kino mit Gewinn.

Hole
(Zulo, Spanien 2005)
Regie: Carlos Martín Ferrera; Buch: Pep Garrido; Musik: Pau Vallvé; Kamera: José Luis Bernal; Schnitt: Xavi Carrasco
Darsteller: Jaume García, Enric López, Isak Férriz
Länge: 82 Minuten
Verleih: Notro
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