Ein Schlüssel für alles

Im Freudjahr 2006 nahmen sich etliche Filme des Vaters der Psychoanalyse, seiner Theorie und Praxis an. Die Verknüpfung beider Kulturphänomene – Psychoanalyse und Film – ist ja auch in mehrfacher hinsicht naheliegend. Vor allem aber sensibilisiert die gesteigerte Aufmerksamkeit für Freud und sein Werk für einen Aspekt, auf den er selbst häufig hingewiesen hatte: Die Kunst denkt die Konzepte der Psychoanalyse oft schon, ohne dass sie Begriffe von ihr hat. Ein eigentlich typischer „Innerspace“-Film wie Mans Marlinds und Björn Steins bereits 2005 fertig gestellter „Storm“ führt durch diese Querlektüre zu interessanten Einsichten über die Entstehung psychosomatischer Erkrankungen durch unverarbeitete Traumata.

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Im Kreise der Familie

Die eigene Biografie, die Herkunft, die Familie – das sind Themen, die, wenn sie im Horrorfilm zur Sprache kommen, nicht selten die intensivsten Erlebnisse zutage fördern. Schon seit Begründung des Genres in der Schauerromantik war kaum ein Sujet so häufig vertreten, die das des family horror, denn alles, was mit dieser intimen Sphäre des Individuums zu tun hat, hat stets auch mit dem Individuum selbst zu tun: Sag mir, wo du herkommst und ich sage dir, wer du bist. Die filmische Selbstfindung und -situierung in einer Familie ist auch das Thema von Nacho Cerdás „The Abandoned“ – einem Horrorfilm, der auf dem diesjährigen Fantasy-Filmfest lief und nun auf DVD erschienen ist.
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Casey is coming home …

Dass Horror nie nur Plot, sondern stets auch Subplot ist, haben Interpretationen seit der romantischen Schauerliteratur immer schon gezeigt. Insofern ist die Verwendung des Genres und der Rückgriff auf ein standardisiertes Sujet auch verbunden mit einer Übernahme an Nebenbedeutungen, die durch die Situierung der Horror-Erzählung in einem konkreten Raum und einer konkreten Zeit immer auch eine Verschmelzung dieser Nebenbedeutung mit ihrem neuen Kontext bedeutet. Konkret lässt sich das an einem Film wie „Mulberry Street“ zeigen: Ein Hybrid aus Tier- und Zombie-Horror, situiert im New York der Gegenwart.

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Ein psychologischer Lehrbuch-Fall

Was treibt einen normalen Mann aus dem Mittelstand dazu, auf der Autobahn ein Auto abzudrängen, den Fahrer des Wagens zu erschlagen und dessen Frau zu entführen, nur um sie ein paar Monate lang im Kofferraum des eigenen Autos gefangen zu halten? Diese Frage filmisch zu beantworten hätte einigen Reiz, könnte man mit ihr doch sowohl auf eine Psychopathologie des Normalbürgers wie auch auf eine Gesellschaft, in der es möglich ist, dass solch ein Verbrechen stattfindet und unentdeckt bleibt, insistieren. Der belgische Spielfilm „Ordinary Man“ führt genau diese Geschichte vor – die Fragen hingegen beantwortet er nicht, er wirft sich sogar nicht einmal auf.

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Out of Focus

Mit „Schläfer“ war im vergangenen Jahr bereits ein Film erschienen, der die Auswirkungen der „allgemeinen Moblimachung“ gegen den Terrorismus zum Thema hatte. Spätestens seit dem 11. Spetember 2001 stehen Menschen aus dem nahen Osten unter Generalverdacht. Allein schon, dass die aus jenen Ländern rund ums Mittelmeer stammenden Menschen überhaupt – wie in „Civic Duty“ – als „Middle Eastern Guys“ klassifiziert werden, scheint ein Hinweis auf die Paranoia des Westens zu sein. In „Schläfer“ war es die Freundschaft zwischen einem Deutschen und einem algerischen Forscher, die durch die Verdächtigungen des Staatsschutzes zerstört wurde. In „Civic Duty“ muss die „Homeland Security“ nicht einmal mehr selbst tätig werden, damit der Bürger gegen den Bürger zu Felde zieht.

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Grausamkeitsspirale

Die Vorstellung, etwas immer und immer wieder erleben zu müssen, hat nicht nur für Spielfilmprotagonisten etwas von der Hölle: Auch die christliche Höllenvorstellung selbst operiert mit dem Motiv der endlosen Wiederholung von Qualen als Strafe für die Sünden. Jeffrey und Joshau Crooks Mysterythriller „Gruesome“ versucht diese Erfahrung nun auch für den Zuschauer plastisch zu machen – leider auf nicht durchweg positive Weise: Für ihn werden die Wiederholungen selbst zur Qual.

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Mann hilft Hund

Nach dem deutschen hatte der Serienmörderfilm das französische Autorenkino als erreicht. Bereits Robert Siodmak („Pièges“, 1939) und Georges Henri Clouzot („Der Mörder wohnt in Nr. 21“, 1941) inszenierten diesen Verbrechenstypen. Und zuletzt durch den international beachteten Beitrag „High Tension“ (2003) ist der französische Serienmörderfilm wieder in aller Munde. Nun kehrt ein alter Bekannter des Metiers in einem äußerst ruhigen und besinnlichen Beitrag auf die Leinwand zurück: Benoît Poelvoorde (bekannt aus „Mann beißt Hund“) spielt in Anne Fontaines „In his Hands“ einen Verdächtigen, dessen Schuld oder Unschuld Gegenstand des Films wie der in ihm erzählten Liebesgeschichte ist.

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Film noir

Die Zukunft ist ein düsterer Ort – zumindest wenn man Filmen wie „A Scanner Darkly“ oder nun auch „Renaissance“ glauben schenken will: Die Städte sind zu riesigen Molochen angewachsen, die Technologie hat ihre Nützlichkeit zugunsten einer den Menschen beherrschenden Totalüberwachung eingebüßt, große Konzerne beherrschen das politische und wirtschaftliche Geschehen und der Staat ist eher der Feind als der Beschützer seiner Bürger. Derlei Dystopien existieren im Kino seit Fritz Langs „Metropolis“ und sind immer wieder beliebte Themen. Doch gerade die beiden oben genannten Filme überführen diese Themen auch in ein ästhetisches, oder besser gesagt: grafisches Setting, mithilfe dessen sie es unterstreichen, forcieren und für den Betrachter auf befremdliche Weise „erfahrbarbar“ machen.

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Die Parallelgeschichte zum Neuen Deutschen Film

Rudolf Thome gehört zu jener Gruppe Regisseure, die sich 1969 ganz bewusst von den Autorenfilmern des Jungen Deutschen Films distanziert haben. Die so genannte „Münchner Gruppe“ hat zwar kein Manifest verfasst, wollte sich aber genau so wie die Gruppe in Oberhausen von „Papas Kino“ lossagen. Ihre Inspiration bezogen die Filmemacher zumeist aus dem us-amerikanischen Genrekino. Mit „Detektive“ erscheint nun ein Frühwerk Thomes aus jener Zeit, das sich ästhetisch und ideologisch zwischen dem frühen Hommagen-Kino Godards und dem nihilistischen Kriminalfilm amerikanerischer Provenienz ansiedelt.

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Gefangenendilemma

Seit ein paar Jahren feiert der so genannte Backwood-Slasherfilm, der in den 1970er Jahren mit Werken wie „Deliverance“ (1972) und „The Hills have Eyes“ (1977) reüssierter, Renaissance. Auf dem letztjährigen Fantasy-Filmfest wurde Michael Bassetts Mixup aus gleich mehreren Inspirationsquellen mit dem Titel „Wilderness“ vorgestellt, der nun vom Kölner Label Legend Home Entertainment auf DVD erhältlich ist.

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No ordinary Killer

Von Beginn an schon nutzt der Serienmörderfilm sein zentrales Sujet, den scheinbar motivlosen Mord an Menschen, dazu, an ihm soziale, psychologische und politische Themen zu spiegeln. Zusammen mit dem „Werdegang“ des Killer oder der Detektion seiner Taten stehen daher immer auch andere Diskurse auf dem Programm, die mal mit dem Serienmord homologisiert werden, mal als seine Gründe angeführt werden, immer aber als zentrale Diskussionsangeboten an den Zuschuer formuliert werden. Im koreanischen Film „Bystanders“ ist einmal mehr das Thema „Schule“ der Hauptaspekt. Bereits aus dem japanischen Genrekino („Suicide Club“, „Battle Royale“, …) ist es als Problemthema bekannt. „Bystanders“ nimmt sich hier nun aktuellerer Schulschwierigkeiten an.

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»Ich finanziere meine Filme mit Nazi-Gold«

Alle paar Jahre hat der deutsche Regisseur Uwe Boll es wohl nötig, all die Kritik, die ihn wegen der Art und Weise, wie er seine Filme finanziert und wegen der Filme selbst, die zu den am meisten verrissenen gehören, die die Filmgeschichte zu bieten hat, seinem Frust Luft zu machen, sich auf eine Bühne zu stellen und es seinen Kritikern mal richtig zu heimzuzahlen. „Postal“ ist nach „German Fried Movie“ der (mir bekannte) zweite Film, in dem Uwe Boll dies praktiziert.

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pars pro toto

Dass Woody Allen nicht nur ein Meisterregisseur, sondern auch ein begabter Darsteller ist, hat er nicht allein in seinen eigenen Filmen immer wieder unter Beweis gestellt. Seit dem ersten Spielfilm, in dem er zu sehen war („What’s new Pussy Cat“, 1965 von Clive Donner) ist Allen für Regie-Kollegen immer wieder auch vor die Kamera getreten und hat dabei so bemerkenswerte Leistungen wie in „Mach’s nochmal Sam“ (USA 1972, Herbert Ross), Martin Ritts „Der Strohmann“ (USA 1976) oder „Ein ganz normaler Hochzeitstag“ (USA 1991, Paul Mazrusky) hingelegt. Eine seiner jüngsten Darbietungen dieser Art lieferte er in Alfonso Araus „Picking up the Pieces“ (USA 2000) ab.

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Ein Knüller

Eines von den vielen Dingen, die man von Woody Allen nicht erwartet hat, ist, dass er seinem Heimatland Amerika und besonders seiner Stadt New York einmal den Rücken kehren würde, um einen Film im Ausland zu produzieren. Genau dies hat er bei „Match Point“ (2005) bereits getan und es in seinem neuen Film „Scoop“ noch einmal wiederholt. Beide Filme spielen in England, genauer: in Lodon. Letzterer wartet aber noch mit einer weiteren Novität auf: Ein Sujet, dass man wohl ebenfalls nie zu denen des Komikers gerechnet hätte, wäre der Serienmord. „Scoop“ ist jedoch ein Serienmörderfilm, ein Londoner Serienmörderfilm und steht damit auch in einer gewissen Tradition. „Ein Knüller“ weiterlesen

Ich ist zwei andere

Die dissizioative Persönlichkeitsspaltung ist ein Topos des Thriller-Kinos, der in den vergangenen Jahren immer beliebter wurde. Nicht nur lassen sich mit der Hilfe dieses Krankheitsbildes besonders beunruhigende Plots und Wendungen konstruieren, auch scheint die Teilung einer Figur in mehrere andere ein besonders filmaffines Gestaltungsmittel zu sein, mit dem sich eine Brücke zwischen Figuren, Plot und Zuschauern schlagen lässt. Im koreanischen Kino ist diese Form der Film-Erfahrung besonders eindrücklich in Kim Ji-woons „A Tale of Two Sisters“ (2004) inszeniert worden. Der Film „Spider Forest“, seines Landsmannes Song Il-gon nutzt das Motiv nun für eine ebenso beunruhigende, jedoch weniger auf den Horror, denn auf eine moralische Frage abzielende Geschichte.
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Die Interessen Grisus können unmöglich die Interessen sein, die Sir Cedric hat.

1977 reüssierte im deutschen Fernsehen die zwei Jahre zuvor in Italien entstandene Zeichentrickserie um den kleinen Drachen Grisu. Grisu lebt im Schottland im Drachental zusammen mit seinem Vater Fume. Der kleine Drache ist von dem Wunsch beseelt, Freuerwehrmann zu werden. Damit stößt er einerseits auf das Unverständnis seines Vaters, der es als die traditionsgemäße Pflicht der Drachen ansieht, Feuer zu entfachen anstatt es zu löschen. Auf der anderen Seite handelt er damit den Interessen des Grafen Sir Cedric McDragon zuwider, unter dessen feudaler Obhut das Drachental steht und der deshalb entscheiden kann, ob Grisu Feuerwehrmann werden darf oder nicht. Die Serie, die seit den 1970er Jahren häufig im deutschen Fernsehen wiederholt wurde, ist nun in einer limitierten 4er-DVD-Box erschienen.

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Der Tod und die Medien II

Die Welle von us-amerikanischen Remakes asiatischer Horrorfilme ebbt nicht ab. Nachdem zuletzt die beiden Teile von Takashi Shimizus „Ju-on – The Grudge“ ins Kino gekommen waren, gelangt nun das kleinere japanische Gruselkino ins Visier der Remaker. Einer der subtileren, aber dennoch etablierten Regisseure ist Kiyoshi Kurosawa, von welchem hierzulande bislang nur „Kôrei“ und „Kairo“ auf DVD erschienen sind. Kinowelt veröffentlicht nun Jim Sonzeros Remake zu letzterem – ein Film, der bereits im Original durch seine komplexe Verknüpfung von Leben, Tod und Medialität oft mehr verwirrtend als beängstigend war. Das Remake schafft – wie so oft bei US-Adaptionen – mehr Klarheit und Horror.

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Forschungsreisende der Liebe

Der mittlerweile mit seiner Familie aus dem Iran nach Frankreich emigrierte Mohsen Makhmalbaf ist so produktiv wie kaum ein zweiter Regisseur seines Heimatlandes. Nicht nur sein eigener Output ist seit Beginn der 1980er Jahre ununterbrochen, auch seine Frau und seine Kinder, die ebenfalls Filme drehen, produziert der 49-Jährige in seinem „Makhmalbaf Film House“. Sein neuestes Werk in Eigenregie, „The Scream of the Ants“ war als Weltpremiere auf dem Münchner Filmfest zu sehen.
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Kaffee ohne Zucker ist kein Kaffee

Ressentiments über das Studentenleben und den Universitätsbetrieb existieren zu genüge. Man braucht bloß einen Blick in die einschlägige Campus-Literatur zu werfen oder sich Filme anzusehen, die in diesem Milieu spielen. Zumeist wird man dort auf Klischees vom Studentendasein und/oder bestimmten Studiengebieten treffen. Zum Bild der Literaturwissenschaft und der mit ihnen beschäftigten gehört offenbar die Vorstellung, dass es alles verhinderte Dichter sind, die nur mangels Gelgenheit die Seiten gewechselt haben, das Schreiben aber dennoch nicht lassen können. Desweiteren wird Geisteswissenschaft nicht selten auf das Daherbeten von Scheinparadoxien, die klug klingen, jedoch eigentlich dumm sind, reduziert. Emmanuel Bourdieus Film “Poison Friends” steht dem in nichts nach – im Gegenteil radikalisiert es dieses Bild noch dadurch, dass er seinen akademischen Protagonisten völlig unglaubwürdige Geschichten auf den Leib schreibt.
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actual case files

Der „Zodiak“-Killer, der zwischen 1968 und 1969 sieben Menschen überfallen und fünf davon getötet hat, gilt gemeinhin als der „amerikanische Jack the Ripper“. Nicht nur ist „Zodiac“ (den Namen hat er sich wie der Ripper selbst gegeben) trotz einer verhältnismäßig niedrigen Zahl von Opfern zu nachhaltiger Berühmtheit gelangt, weil er – wie beim Londoner Prostituiertenmörder – nie gefasst werden konnte; der Mythos, der sich um ihn herum gebildet hat, hat auch ganz ähnliche Ausmaße erreicht. So existieren private Detektivclubs, die die Identität des Serienmörders immer noch zu klären versuchen und eine enorme Anzahl an „Zodiac“-Devotionalien. Die bedeutsamste Ähnlichkeit mit „Jack the Ripper“ lag jedoch in der Fähigkeit des Täters begründet, die Presse für sich zu gewinnen, um so zu zeitweiser Allgegenwärtigkeit zu gelangen. Dies alles hat „Zodiac“ schließlich zu einer popkulturellen Ikone werden lassen, die – wie immer, wenn ein Serienmörder diesen Status erlangt – auch zahlreichen Niederschlag in Filmproduktionen gefunden hat.
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