Ein Schlüssel für alles

Im Freudjahr 2006 nahmen sich etliche Filme des Vaters der Psychoanalyse, seiner Theorie und Praxis an. Die Verknüpfung beider Kulturphänomene – Psychoanalyse und Film – ist ja auch in mehrfacher hinsicht naheliegend. Vor allem aber sensibilisiert die gesteigerte Aufmerksamkeit für Freud und sein Werk für einen Aspekt, auf den er selbst häufig hingewiesen hatte: Die Kunst denkt die Konzepte der Psychoanalyse oft schon, ohne dass sie Begriffe von ihr hat. Ein eigentlich typischer „Innerspace“-Film wie Mans Marlinds und Björn Steins bereits 2005 fertig gestellter „Storm“ führt durch diese Querlektüre zu interessanten Einsichten über die Entstehung psychosomatischer Erkrankungen durch unverarbeitete Traumata.

Diese brechen, so schreibt Freud schon in den Studien zur Hysterie, nach einer Latenzphase oft erst so spät hervor, dass der Patient – im Film der Lifestyle-Journalist Donnie Davidson (Eric Ericson), DD genannt – die Symptome mit deren psychischer Ursache gar nicht in Verbindung bringen kann – erst recht nicht, wenn sich über sie die dichte Decke der Verdrängung gelegt hat. Wie der von seinen Freunden genannte DD zu seiner psychoanalytischen Kur gelagt, ist zunächst unklar: Es scheinen mehrere Ereignisse zu sein, die sich beiläufig abspielen und die, wie wir später erfahren, Details aus seiner traumatischen Kindheit und Jugend wiederholen: eine junge Frau, die ihm auf einer nächtlichen Straße ein Gedicht vorlesen will, ein Besuch seines Bruders, der im Trauerflor erscheint, Bilder von zerbrochenem Glas. DD unternimmt die Analyse in Eigenregie, das heißt, er imaginiert einen Analytiker, der ihm durch die verschobenen und verdichteten Bilder seiner Traumwelt hilft: In dieser leben zwei junge Frauen, die einen ominösen Metallwürfel vor einer dunklen Macht zu schützen haben – der Würfel gehört DD und enthält ein Geheimnis, dass er zu gegebener Zeit lüften soll. Eine der Frauen, Lova (Lina Englund), wird in der Folge zu einer Art Reiseleiterin, die ihn an die Orte seiner Kindheit führt, an denen er seinen Mitmenschen Grausames zugefügt hat und für das er die Schuld nicht aufzunehmen bereit ist. Der Widersacher dieses Erkenntnisprozesses ist ein mysteriöser Unbekannter, der nicht nur Lova ständig nach dem Leben trachtet, sondern DD von seiner Selbsterkenntnis abzuhalten versucht.

Lässt man sich auf den Film als Versuch Bilder für einen psychischen Heilungsprozess zu bieten, ein, hat „Storm“ seinem Zuschauer einiges zu bieten. Vor allem die aus Versatzstücken jüngerer „Innerspace“-Filme wie „Matrix“, „Donnie Darko“ oder „Silent Hill“ (bildliche Reminiszenzen drängen sich gerade zu letzerem förmlich auf) zusammengestellte Innenwelt von DD Psyche liefert beunruhigende und zugleich tieftraurige Bilder. Der Film bemüht sich durch das Aufgreifen solch populärer Medien-Fundstücke, zu denen auch ein Comic und ein Computerspiel namens „Storm“ gehören, die Kunstproduktion überhaupt auch als einen solchen Verarbeitungsmechanismus darzustellen. Hiermit scheint er Freuds Diktum eines immer schon vorhandenen psychoanalytischen Unterbaus von Kunst zu verifizieren – weist aber doch mindestens auf diese bevorzugte Lesart hin. Wenn DD durch die nebelverhangenen Straßen seines Geburtsortes streift, in dem er sich an seinen beiden Geschwistern und an einer Jugendfreundin schuldig gemacht hat, dann versinnbildlicht sich in der Mise en scène bereits jener Mechanismus auf deutlichste.

Ohne diese Lesart bereits beim Sehen des Films zu antizipieren macht es „Storm“ seinen Zuschauern jedoch ein wenig zu schwer, auch nur als befriedigendes Seherlebnis gewertet zu werden. Zu zusammenhanglos stellen sich die einzelnen Elemente des Plots nebeneinander, zu willkürlich wirken die Sprünge zwischen den Realitätsebenen – obwohl der Filmbösewicht diese doch selbst als „Gedankensprünge“ klassifiziert – und zu pathetisch erscheinen die Kindheits- und Jugendepisoden DDs. Es spricht also vieles dafür, sich vor der Lektüre des Films „theoretisch“ zu rüsten oder zumindest ein Auge für den Subtext offen zu halten. Das kann der Film von seinen Zuschauern zwar nicht verlangen, aber im Zuge des Freudjahres wäre es sowieso einmal wieder angebracht, den Vater der Psychoanalyse zu lesen.

Storm
(Schweden 2005)
Regie: Måns Mårlind & Björn Stein; Buch: Måns Mårlind; Musik: Carl-Michael Herlöfsson; Kamera: Linus Sandgren; Schnitt: Björn Stein
Darsteller: Oscar Åkermo, Sasha Becker, Jörgen Berthage, Martin Blad, Jens Ekbom, Lina Englund u. a.
Länge: 111 Minuten
Verleih: Sunfilm

Die DVD von Sunfilm 

Bild: Widescreen (2.35:1 – anamorph)
Ton: Deutsch (DD 5.1), Schwedisch (DD 5.1)
Extras Trailer, Storyboard / Splitscreen, Behind the Scenes, Deleted Scenes
FSK: ohne Jugendfreigabe
Preis: 18,98 Euro

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