Reden ist Schweigen

Esteban Sapirs Kunstfilm „La Antena“ war das „Centerpiece“ des diesjährigen Fantasy-Filmfestes. Und wenn man sich einmal anschaut, was in den vergangenen Jahren an dieser Stelle gezeigt wurde (2005: „Renaissance“, 2003: „The Green Butchers“, 2001: „Die fabelhafte Welt der Amelie“), kann man sich des Eindrucks nicht erwähren, dass das Festival langsam wirklich erwachsen geworden ist. Es sind zusehends Kunstfilme, die keines der Genres, „Science Fiction, Horror, Thriller“, die das Fantasy-Filmfest für sich proklamiert, mehr eindeutig bedienen. Vielmehr zeigt sich in der Wahl der „Centerpieces“ auch, dass das reine Genrekino nur noch selten genug Potenzial aus seinem erzählerischen Solipsismus zu fördern in der Lage ist. Filme wie „La Antena“ greifen davon allenfalls Motive auf und verarbeiten sie zu einem Kino der „zweiten Stufe“.

Der Film erzählt von einer Stadt ohne Stimme(n), in der einzig eine Showsängerin sprechen kann und sich alle anderen nur über “Wörter” (nämlich Zwischentitel-Einblendungen) miteinander verständigen. Der Boss des mächtigen Fernsehkonzerns, der ohnehin schon beinahe alle Geschicke der Bewohner der Stadt bestimmt, will sich nun dieser Frau bemächtigen, um die Menschen mit ihrer Stimme noch weiter zu versklaven. Womit er nicht gerechnet hat, ist, dass Sprechen vererbbar ist und der augenlose Sohn der Sängerin ebenfalls über diese Gabe verfügt. Eine kleine Gruppe von Revoluzzern, die die Pläne des finsteren Medienmoguls durchschaut, macht sich dies zu Nutzen und setzt die Stimme des Sohnes gegen die der Mutter ein.

Präsentiert wird diese Geschichte in der Ästhetik des Schwarzweiß- und Stummfilms. Ähnlich den Arbeiten Guy Maddins versucht Esteban Sapir in seinem Film solche Darstellungsweisen gleichzeitig als eine Hommage an die frühen Ästhetiken des Kinos und als eine kreative Art der „Leseanleitung“ einzusetzen: Die überbordenden Gestiken, die langen Einstellungen und scharfen Kontrasten sprechen eine ganz eigene und sehr deutliche Sprache. “La Antena” kommt aber nicht nur in einer überaus charmanten Bildsprache daher, sondern geht auch innovativ mit den aus dem Stummfilm bekannten Zwischentiteln um. Texteinblendungen im Bild werden immer wieder “vergegenständlicht”, indem sie als opake Elemente gesetzt oder von den Protagonisten bewegt, verformt und manchmal sogar wie Waffenprojektile eingesetzt werden. Hier verschmelzen die Allusionen an die Stummfilmästhetik und der Experimentierwille mit der scheinbar simplen Form, die jene Filmepoche mit sich bringt.

Dass sich Sapirs zweite Kino-Regiearbeit so sehr auf die optische Ebene konzentriert, ist kein Zufall: Zuvor war der Spanier als Kameramann im spanischen Kino und als Clipregisseur (für Shakira) tätig. Sein filmisches Bewusstsein, könnte man sagen, ist also auf das Sehen geeicht und auf die klaren, prägnanten Narrative, die die Erzählform des Videoclips mit sich bringt. „La Antena“ ist damit in gewisser Hinsicht abermals ein Produkt aus Kinofilm und Videoclip – in den letzten Jahren eine der fruchtbarsten Verbindungen zweier Formate, gerade auch als Bereicherung des fantastischen Films. Bleibt zu hoffen, dass künftig mehr solcher Werke auf dem Fantasy-Filmfest entdeckt werden können – und dass sie nicht nur dort bekannt werden.

La Antena
(Argentinien 2007)
Regie & Buch: Esteban Sapir; Kamera: Cristian Cottet; Schnitt: Pablo Barbieri Carrera; Bauten/Dekorationsbau: Daniel Gimelberg; Bühnenbildner/Ausstatter: Valentina Llorens & Sebastián Serra; Kostüme: Andrea Mattio
Darsteller: Alejandro Urdapilleta, Valeria Bertuccelli, Julieta Cardinali, Rafael Ferro, Raúl Hochman, Ricardo Merkin u. a.
Länge: 90 Minuten
Verleih: Alive

Die DVD von Alive

Alive veröffentlicht „La Antena“ zeitnah zum Fantasy-Filmfest und bezieht sich dabei explizit auf das Festival. Es besteht also Grund zur Annahme, dass von der alljährlichen Veranstaltung doch deutlichere Signale ausgehen, als gedacht. Die sehr gute DVD-Edition verfügt über zwei Discs: Auf der ersten befindet sich der Film mit einigen Extras, auf der zweiten der komplette Soundtrack als Audio-CD.

Die Ausstattung der DVD im Einzelnen:

Bild: 1.85:1 (16:9)
Ton: Deutsch (DD 5.1, DTS 5.1), Spanisch (DD 5.1)
Untertitel: Deutsch
Extras: Making Of – Trailer – Soundtrack CD
FSK: ab 12 Jahren
Preis: 18,95 Euro

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