Mann hilft Hund

Nach dem deutschen hatte der Serienmörderfilm das französische Autorenkino als erreicht. Bereits Robert Siodmak („Pièges“, 1939) und Georges Henri Clouzot („Der Mörder wohnt in Nr. 21“, 1941) inszenierten diesen Verbrechenstypen. Und zuletzt durch den international beachteten Beitrag „High Tension“ (2003) ist der französische Serienmörderfilm wieder in aller Munde. Nun kehrt ein alter Bekannter des Metiers in einem äußerst ruhigen und besinnlichen Beitrag auf die Leinwand zurück: Benoît Poelvoorde (bekannt aus „Mann beißt Hund“) spielt in Anne Fontaines „In his Hands“ einen Verdächtigen, dessen Schuld oder Unschuld Gegenstand des Films wie der in ihm erzählten Liebesgeschichte ist.

inhishands.jpgDie Liebende ist die Familienmutter und Versicherungsangestellte Claire (exzellent verkörpert von Isabelle Carré). Sie lernt Laurent (Benoît Poelvoorde) durch einen Wasserschadensfall, der sich in seiner Tierarzt-Praxis ereignet hat, kennen. Sehr behutsam beginnt Laurent der jungen Frau den Hof zu machen – die Absicht, mit ihr eine Beziehung einzugehen, ist dabei jedoch nie zu erkennen. Vielmehr nimmt er die Frau und das Publikum durch seinen erfrischenden Humor, seine Fähigkeit zur Beobachtung und Menschenkenntnis und nicht zuletzt durch seine Ehrlichkeit ein. Diesem Charme kann Claire nicht lange widerstehen und beginnt schon bald, sich trotz ihrer Familienpflichten an den ihr eigentlich fremden Mann heran zu machen. Indes treibt in Lille, dem Ort der Filmhandlung, ein Serienmörder sein Unwesen. Er ermordet immer wieder Prostituierte mit einem Skalpell und die Polizei hat keine Spuren, die den Täter überführen könnten. Der Verdacht, Laurent könnte der Gesuchte sein, befällt Claire zunächst nur wie eine Ahnung, dann, als sie bei einem gemeinsamen Bar-Besuch einen Skalpell in dessen Jacket findet, wird sie panisch und flieht vor dem Mann, in den sie sich doch eigentlich zu verlieben begonnen hatte. Doch schon einen Tag später wird ein Verdächtiger verhaftet – und es ist nicht Laurent. Claire gesteht ihrem neuen Freund ihren Verdacht und versucht die Beziehung zu diesem noch zu intensivieren. Dann wird jedoch ihre beste Freundin und Arbeitskollegin Valérie (Valérie Donzelli) das nächste Opfer des immer noch freien Mörders.

„In his Hands“ ist die Film gewordene Verführung zum Misstrauen. Alles, von den im Film aufgeführten Indizien bis hin zu der Tatsache, dass Schauspieler Poelvorode, der den Verdächtigten spielt, in dem Serienmörderfilm „Mann beißt Hund“ zu internationaler Bekanntheit gelangt ist, soll darauf hindeuten, dass Laurent der Täter ist. Und dennoch möchten weder der Zuschauer noch Claire, die die zentrale Figur der Erzählung in den ersten beiden Dritteln des Films ist, es wahrhaben. Anstelle dessen inszeniert Anne Fontaine eine Liebesgeschichte, die von diesem Verdacht überschattet ist – ein Verdacht, der genauso gut als das „schlechte Gewissen“ der ihren Ehemann betrügenden Frau erklärt werden könnte. Erst als die Kamera die Protagonistin verlässt und sich an das Objekt ihrer Begierde heftet, wird diese Verführung offenkundig.

inhishands1.jpg„In his Hands“ hält also auch den Zuschauer in seinen Händen und spielt mit seinen Erwartungshaltungen wie mit einer Marionette. Und doch ist er mehr als diese Art der „Verführungskunst“. Indem er vom Alltagsleben eines Mannes erzählt, der für einen Lustmörder gehalten wird, wirft er auch einmal mehr die Frage auf, woran der Soziopath – außer in seiner Tat – erkennbar ist. Laurent wäre nicht nur für Claire der ideale Traummann, der mit Kindern umgehen kann, humorvoll und tiefsinnig ist und als Veterinär beweist, dass er selbst für die ihm fremdesten Lebewesen Mitgefühl empfindet. Er „beißt“ nicht die Hunde, wie die von Poelvoorde in „Mann beißt Hund“ gespielte Serienmörderfigur, er heilt sie. Und seine Annäherungsversuche an Claire sind von Anfang an so ehrlich, dass darin das Hauptargument gegen seine Täterschaft liegt: Es ist nicht einfach eine Masche, sich an das nächste Opfer anzunähern, es ist echtes Gefühl, dass den Mann sich immer wieder vortasten und zurückziehen lässt.

Anne Fontaines Film ist also vieles in einem und führt dieses Viele in einem Punkt zusammen – in einer Serienmördererzählung. Damit greift sie eine Struktur auf, die dem Serienmörderfilm von Beginn an eigen ist. Dass ihr Film dennoch ein überaus origineller Beitrag in der Geschichte dieses Motivs ist, liegt daran, dass sie auf Eindeutigkeiten nicht zugunsten von falschen Ermittlungsfährten, sondern zum Zweck einer intensiven Personal- und Sozialstudie verzichtet. Dass dem Film diese gelingt, verdankt er zuallererst seinen beiden großartigen Hauptdarstellern. Die gesamte zurückhaltende Ästhetik von „In his Hands“, das bewusst unaufdringlich gehaltene und inszenierte Hintergrundthema und eine der Nähe zur Figur verpflichtete Bildästhetik sind die Instrumente für die Verführung des Zuschauers, der nach der Sichtung des Films sicherlich mit seinen eigenen Erwartungshaltungen zu hadern hat. Dann hat der Film ein wichtiges Ziel erreicht.

In his Hands
(Entre ses mains, Frankreich/Belgien 2005)
Regie: Anne Fontaine; Buch: Julien Boivent; Musik: Pascal Dusapin; Kamera: Denis Lenoir; Schnitt: Luc Barnier & Philippe Ravoet
Darsteller: Benoît Poelvoorde, Isabelle Carré, Jonathan Zaccaï, Valérie Donzelli u. a.
Länge: 90 Minuten
Verleih: N. N.

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